Haben Sie morgen eigentlich schon was vor? Falls nicht, so könnten Sie zum Beispiel am „Tolerance Day“
teilnehmen, der praktischerweise nicht auf der Straße, sondern auf Pro
Sieben stattfindet. Sinn der Sache ist, den Zuschauer „mit
Dokumentationen, Reportagen, Tests und Spielfilmen für das Thema“, also
Toleranz, „zu sensibilisieren“. Der Sender will damit insbesondere junge
Menschen „zum Nachdenken über Vorurteile anregen“, weshalb das Ganze
wohl auch mit zweifellos erfrischenden Herrschaften in „hippen“
Klamotten garniert wird. Eine nette Idee also, gegen die auch rein gar
nichts einzuwenden wäre – wenn, ja, wenn Pro Sieben da nicht einen
dummen Fehler gemacht hätte, der auch mit sehr viel Toleranz kaum
nachvollziehbar ist.
Denn um das junge Publikum gebührend auf das Großevent einzustimmen,
hat der Sender schon im Vorfeld diverse Trailer produziert. Einer davon
ist besonders skurril. Darin nämlich äußert sich die Moderatorin Nela Panghy-Lee,
und auf die Frage, was sie denn schon zum Thema Toleranz erlebt habe,
führt die Dame doch tatsächlich einen Aufenthalt in Saudi-Arabien an –
übrigens ihr „Klassiker“ in dieser Angelegenheit. Der Umstand, dass sie
mal in einer saudischen Shopping-Mall unterwegs war und bei Christian
Dior auf Frauen traf, die dort Abayas – also Vollschleier – mit „viel
Bling-Bling“ erstanden, scheint Panghy-Lee offenbar zur Expertin für
Frauenrechte im Geiste qualifiziert zu haben. Zumindest insofern, als
die Moderatorin über Stimmen aus Europa, wonach Frauen in Saudi-Arabien
„keine Rechte, keine Freiheiten“ hätten, nur müde lächeln kann. Denn
nach ausgiebiger Shopping-Erfahrung weiß Panghy-Lee zu berichten, dass
die Frauen sich in ihrem Vollschleier „super super wohl“ fühlen würden.
Deshalb, so Nela, dürfe man erst dann urteilen, „wenn man eine Kultur
richtig kennengelernt hat“.
Nun fragt man sich natürlich nicht nur, inwieweit sich fremde
Kulturen in der Umkleidekabine bei Christian Dior erkunden lassen,
sondern auch, wie genau man eigentlich darauf kommt, in dieser
Angelegenheit ausgerechnet einen autoritären Gottesstaat ins Feld zu
führen. Denn dass Saudi-Arabien mit Toleranz ungefähr genauso viel zu
tun hat wie eine Partie Gummitwist mit einem Atomkrieg, das weiß man ja
eigentlich nicht erst seit gestern. Und gerade der Umstand, dass nun
auch noch das Schicksal eines Journalisten bekannt geworden ist, dem
wegen drei Mohammed-kritischen Tweets nun die Todesstrafe droht, sollte
eigentlich selbst den letzten Redaktionspraktikanten zum „Nachdenken
anregen“. Nicht jedoch bei Pro Sieben, wo man offenbar noch nicht
bemerkt hat, dass es doch ein wenig peinlich ist, einen „Tolerance Day“
mit Bling-Bling-Anekdoten aus intoleranten Staaten zu bewerben.
Es sei denn natürlich, Pro Sieben hält Toleranz der Intoleranz für
probat und sich selbst für eine geeignete politische Plattform. Dann
könnte man den nächsten „Tolerance Day“ zum Beispiel mit netten
Ansprachen über tolerante Steinigungen im Iran oder den noch
toleranteren Gulag in Nordkorea anpreisen. Alternativ könnte der Sender
sein junges Publikum einfach wie gewohnt unterhalten, anstatt es zu
„sensibilisieren“ und dabei über „Kulturen zu urteilen“, von denen man
ganz offensichtlich nicht viel Ahnung hat. Das würde dann übrigens auch
peinlichen Vorurteilen über Pro Sieben effektiv vorbeugen.
Erschienen im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European".
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