Für einige Debatten gelten hierzulande besondere Regeln. Die
Diskussion rund um Atomkraft ist dafür ein geeignetes Beispiel. Hier
muss nämlich zwischen der bösen Atomkraft, die in deutschen AKWs
produziert wurde, und den vergleichsweise harmlosen Atomen, die im Iran zu Bomben werden sollen,
unterschieden werden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Datenschutz:
Den fordern nicht nur die Piraten, sondern wir alle. Wenn aber Julian
Assange gegen das Recht US-amerikanischer Diplomaten auf Datenschutz
vorgeht, ist das völlig legitim. Und ja, selbst bei Dingen wie Hass,
Rassismus und Intoleranz muss gemäß des deutschen Hangs zur
Differenzierung säuberlich nuanciert werden.
So kämpft beispielsweise jeder anständige Deutsche gegen Nazis, was
selbstverständlich zu begrüßen ist. Mittlerweile verfügen
Hundertseelen-Orte über ein „Bündnis gegen Rassismus“, jede Hausfrau
geht gegen Intoleranz vor, und zusammen stellen sie sich tapfer dem um
sich schlagenden Hass entgegen. Beim Stichwort „Toleranz“ liefert Google
zuverlässig unzählige Bündnisse, Initiativen, Landes- und
Aktionsprogramme, die eben jene stärken und fördern sollen. Jawohl, das
ist quasi „unsere Lektion aus der Geschichte“.
Doch gleichzeitig gibt es auch Fälle, in denen Hass und
Fremdenfeindlichkeit nicht nur völlig unbedenklich sind, sondern
vielmehr zum guten Ton gehören. Zum Beispiel, wenn es um die Amis geht.
So wartet eine aktuelle Studie des Pew Research Centers
nun mit neuen Erkenntnissen auf, die gleichzeitig so alt wie die
Bundesrepublik selbst sind. Demzufolge hegen nur 52 Prozent der
Deutschen Sympathien für Amerika, wohingegen es vor drei Jahren noch 62
Prozent waren. Das liegt natürlich alles an Barack Obama. Der nämlich
„frustriert die Deutschen“, wie „Spiegel Online“ zu berichten weiß
– was unter anderem daran liegt, dass er Israel noch nicht fallen
gelassen und das Klima nicht gerettet hat, dafür aber mit Drohnen auf
pakistanische Terroristen losgeht. Fast so schlimm wie Bush, dieser
Obama. Ami bleibt eben Ami.
Unabhängig davon gilt jedoch: Jeder zweite Deutsche kann Amerika
nicht ausstehen. Das ist natürlich nichts Neues und hat Gründe. Zum
einen liegt es an der seelischen Kränkung, die vor knapp 70 Jahren
stattfand, als ausgerechnet Kaugummi kauende US-Soldaten den
nationalsozialistischen Wahn der Dichter und Denker beendeten und diese
mit Coca Cola und Demokratie belästigten. Zum anderen nervt es „uns“,
wenn die Amerikaner sich immer und überall einmischen. Der Deutsche
macht lieber gar nichts und sitzt stattdessen mit Popcorn in der ersten
Reihe, um immer dann pünktlich den Zeigefinger zu heben, wenn die Amis
in Afghanistan versehentlich einen Koran entsorgen. Natürlich nicht
wissend, dass nur derjenige, der gar nicht handelt, frei von Fehlern
ist.
Insofern erstaunt es nicht, dass die Deutschen mehr Mitleid für einen
getöteten Topterroristen als für rund 3.000 Todesopfer empfanden, deren
Vergehen darin bestand, sich rein zufällig in und um „provozierenden“
Wolkenkratzern aufzuhalten. Selbst schuld, raunte es vor über zehn
Jahren durch Redaktionsstuben und Wohnzimmer, wo heute eifrig daran
gearbeitet wird, die Täterschaft des Weißen Hauses und des Mossad doch
noch irgendwie nachzuweisen. Eine gute Portion Amerika-Hass, bestehend
aus Verachtung gegenüber der Freiheit, der Moderne und dem Fortschritt,
gehört nun mal zum deutschen Nationalgericht. Toleranz würde erst dann
wieder Thema, wenn 52 Prozent der Deutschen die Türkei nicht sympathisch
fänden.
Insofern
hat Obama die Deutschen keineswegs frustriert, sondern vielmehr einen
wesentlichen Beitrag zu deren Seelenhygiene geleistet. Nach vier
elendig langen Jahren darf der Anti-Amerikanismus sich wieder ungestört
entfalten. Auch das haben „gerade wir als Deutsche“ aus der Geschichte
gelernt.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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