Donald Trump: Der Siebener im Lotto für die Feinde des Westens

Donald John Trump aus Queens ist ein fleißiger Mann. Mit Immobilien, Hotels, Misswahlen und vielen anderen hübschen Dingen hat er sich nicht nur einen Namen, sondern auch aus seinem Namen ein Geschäft gemacht. Vor fast eineinhalb Jahren fühlt er sich allerdings zu Höherem berufen. Nur mit Casinos und Golfplätzen in die Geschichte einzugehen, wäre schließlich etwas langweilig. Da traf es sich gut, dass die USA ohnehin gerade damit begannen, einen neuen Präsidenten zu suchen. Trump kam, sah und siegte im Kreise der Republikaner. Nun gibt er alles, um seine Kontrahentin Clinton in die Flucht zu schlagen. Zwar ist Politik dieses Formats nicht immer so glamourös wie der Alltag zwischen Miss Universe und Las Vegas -  und ein wenig anstrengend oben drein. Aber die Aussicht auf ein Leben als mächtigster Mann der Welt ist auch nicht übel.

Schließlich muss ja irgendjemand dafür sorgen, dass Amerika „great again“ wird. Denn aktuell soll es, zumindest vom Trump Tower in Manhattan aus betrachtet, alles andere als großartig sein. Dementsprechend hat es nicht nur einige Makel und Probleme, so wie das in Staaten der westlichen Hemisphäre eben üblich ist. Vielmehr ist das Land Trump zufolge schon dem Untergang geweiht. Hier der Terror auf den Straßen, dort Drogen dealende und wild umher vergewaltigende Mexikaner, und zudem auch noch Chinesen, die das amerikanische Volk  im Rahmen der Globalisierung in die Armut treiben – kurz: ein Schicksal, das nur ein „strong leader“ wie er abzuwenden weiß. Um sein Verhältnis zur Realität kann er sich ja eventuell noch kümmern, nachdem das Oval Office entsprechend eingerichtet ist.

Ein Herz für Diktatoren und böse Jungs aus aller Welt

Aber natürlich ist Trump kein Demagoge, sondern ein viel beschäftigter Mann. Zur Lektüre von Büchern fehlt ihm die Zeit. Auch mit Höflichkeit, die er öfter mal mit "political correctness" verwechselt, hält er sich nicht auf. Denn schließlich will Trump nicht nur Amerika wieder in die Großartigkeit katapultieren. Mindestens ebenso liegen ihm die Diktatoren und Autokraten dieser Welt am Herzen. Mussten sie all die Jahre hinweg noch vor dem jeweiligen GOP-Kandidaten zittern, so treten sie heute in Scharen dessen Fanclub bei.

Dazu zählt beispielsweise der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un, dessen Propaganda-Organ schon die Werbetrommel für Trump rührt. Auch ein nuklear gerüstetes Steinzeitregime muss sich erkenntlich zeigen, wenn sich schon mal ein potentieller US-Präsident findet, der die eigenen Interessen so teilt, wie es der Kandidat der GOP mit seiner Agenda (Abzug der US-Truppen aus Südkorea und Japan) tut. Da ist es fast schon schade, dass Saddam Hussein sich nicht mehr post-hum für die Blumen bedanken kann, die Trump ihm neulich angedeihen ließ. Aber vielleicht kann Recep Tayyip Erdogan, für den der Immobilienexperte ebenfalls lobende Worte übrig hat, das ja übernehmen.

Ähnlich sieht es mit Vladimir Putin aus, der Trumps Herzchen regelmäßig höher schlagen lässt. Auf die Ukraine und Russland angesprochen, betonte der Präsidentschaftskandidat in einem Interview, Putin würde mit Sicherheit nicht die Ukraine überfallen. Dass das schon längst geschehen ist, muss den Immobilien-Magnaten dabei nicht weiter irritieren. Denn wann immer es um seinen Buddy im Kreml geht, tritt bei Trump der Bündnisfall in Kraft. Über Mexikaner und Chinesen lässt sich verhandeln, Putin steht allerdings unter Naturschutz.

Make Russia great again!

Es ist vor allem die „great again“-Machung Russlands, die auf der to-do-Liste des New Yorker Unternehmers ganz weit oben rangiert.  Und dabei stört insbesondere die transatlantische Partnerschaft. Die NATO hält Trump für „obsolet“ – unter anderem, weil sie im Kampf gegen den Terror versagt hätte. Dass sie zwischendurch zu genau diesem Zweck in Afghanistan aktiv wurde und seit Ende des 2. Weltkriegs für den Frieden in Europa ganz ordentliche Dienste leistete, hat sich offenkundig noch nicht bis in jedes Trump Resort herumgesprochen. Insofern ist es nur konsequent, wenn der Retter Amerikas das Bündnis wie eine illegale Putzfrau aus Acapulco behandelt.

Würde Russland im Baltikum einmarschieren und den Bündnisfall ausrufen, wäre das für einen Präsidenten Trump kein Grund, dem Partner automatisch zur Hilfe zu kommen. Erst würde er nachsehen, ob der Angegriffene überhaupt seine Rechnung bezahlt hat, bekannte er in einem Interview. Freiheit? Frieden? American exceptionalism? Der Gedanke, dass militärischer Beistand nicht einfach eine Dienstleistung für Dritte, sondern ebenso eine Investition in die eigene Sicherheit ist? Aber nein. „It’s the budget, stupid!"

Ein US-Präsident Trump wäre für das Baltikum also mindestens ein Abenteuer. Das Nicht-NATO-Mitglied Ukraine könnte dagegen gleich die weiße Flagge hissen. Der Vorschlag etwa, die Ukraine mit defensiven Waffensystemen zu beliefern, um der russischen Aggression etwas entgegenzusetzen, wurde aus Trumps Wahlprogramm gestrichen. All die Kreml-nahen Wahlkämpfer in seinem Team, darunter etwa zeitweise der ehemalige Berater von Viktor Janukowitsch, müssen schließlich zu etwas gut sein.

Mehr Obama wagen – jetzt auch mit Überzeugung statt aus Feigheit

Ohnehin hat Trump außenpolitisch ganz andere Prioritäten. Der „Islamische Staat“ etwa steht weit oben auf seiner Abschussliste, was prinzipiell eine gute Idee ist. Noch besser wäre sie allerdings, wenn Trump auch wüsste, wie es danach weitergeht. "Nation building" ist seine Sache nicht, die Absetzung des Massenmörders Assad ebenso wenig, russische Kooperation dafür umso mehr. Das eint ihn mit Barack Obama, der den Brandstifter ebenfalls für die Feuerwehr hält. Dass Putin, der Seit an Seit mit dem Iran nicht unbedingt den IS, sondern Zivilisten, Kinder, Krankenhäuser und vor allem die vergleichsweise gemäßigten Rebellen plattmacht, muss den potentiellen US-Präsidenten so wenig kümmern wie den amtierenden. „Ordnung“ ist schließlich auch auf einem Leichenberg möglich. Offerierte Obama bislang nur den Freifahrtschein für Assad, die Mullahs und ihn selbst, so dürfte ein Präsident Trump künftig noch einen Blumenstrauß hinterherschicken.

Doch Trump will natürlich kein Obama, sondern ein starker Anti-Obama sein. Mit Recht kritisiert er den Iran-Deal, den der amtierende Präsident für die größte Errungenschaft seit ObamaCare hält. Dass aber sein Kumpel Vladimir mit demselben Iran paktiert, ist für Mister Trump offenbar kein Problem. Vielmehr stört ihn all das Chaos, das in der Region so stattfindet und überhaupt erst durch die Zurückhaltung der USA entstanden ist. Beseitigen möchte er es aber dennoch nach Obama’scher Hausfrauen-Art - nämlich mit noch mehr Isolationismus und mehr Vertrauen in regionale Mörder.

Der Verdienst Barack Obamas und auch Hillary Clintons besteht vor allem darin, erfolgreich pro-westliche Partner im Stich gelassen zu haben, die an die USA glaubten. Die frühe syrische Opposition, die Ukrainer und die grüne Bewegung Irans waren es dem Friedensnobelpreisträger nicht wert, seine eigenen roten Linien ernst zu nehmen und womöglich einen Makel in späteren Geschichtsbüchern zu riskieren. Trump hingegen will sich damit offenbar nicht begnügen. Er macht das Maß stattdessen ganz voll und betätigt sich proaktiv als Interessenvertreter aller Diktatoren und Despoten, die den Westen bis aufs Blut zu bekämpfen gedenken.

Gute Nachrichten für Amerika-Feinde: Die Propaganda kommt nun direkt vom US-Präsidentschaftskandidaten

Seinem Freund im Kreml etwa stellt er daher keineswegs nur freies Geleit in Osteuropa in Aussicht. Auch in Sachen PR gibt er alles. Putin hält er wahlweise für einen "strong leader", „powerful leader“ oder auch einen "leader far more than our president [Obama] has been", der immerhin ordentlich Kontrolle über sein Land habe  – was vielleicht daran hängt, dass Kontrolle dieser Art eben in der Natur eines Autokraten liegt. Aber vielleicht hätte Barack Obama besser mal das mexikanische Tijuana überfallen oder Vancouver Island annektieren sollen, um Trumps hohen Qualitätsstandards gerecht zu werden.

Darauf angesprochen, dass Putin mit ungeklärten Morden an kritischen Journalisten in Verbindung gebracht wird, fiel ihm sogleich die passende Antwort ein. "Well, I think that our country does plenty of killing, too“, gab der New Yorker zu bedenken, was natürlich nicht völlig falsch ist. Der Terrorfürst Osama bin Laden und die Journalistin Anna Politkovskaya waren letzten Endes auch nur Menschen. Ohnehin hätten die USA bei all ihren Verfehlungen gemäß Trump nicht das Recht, andere Staaten hinsichtlich Freiheit und Demokratie zu belehren. Ein wichtiger Hinweis, den linke Diktatorenfreunde schon seit Jahrzehnten auf ihre Plakate pinseln. Vladimir Putin, dessen Herz vor allem für moralische Äquidistanz schlägt, gefällt das.

Die staatlich kontrollierten Medien Russlands kommen derweil gar nicht mehr hinterher, ihr Programm mit Trump-Statements zu bereichern, die das antiamerikanische Ressentiment im Land prächtig gedeihen lassen. Dass Obama etwa den IS erschaffen hätte, zählt zu denjenigen Trump-Enthüllungen, die nicht nur bei radikalen Moslems, sondern auch zwischen St. Petersburg und Wladiwostok gut ankommen. Ohnehin spricht Trump zuverlässig all jene Dinge aus, die die Feinde des freien Westens schon immer gewusst haben wollen. Und das ist ja auch eine Leistung, von der Autokraten, Massenmörder und Islamisten bereits jetzt und ganz ohne Wahlergebnis profitieren.

„The Donald“ oder westliche Werte – beides geht nicht

Doch Trump, der Diplomatie für ein Monatstreffen der Cosa Nostra hält und die Lösung globaler Konflikte mit Immobiliendeals verwechselt, lässt sich von alledem nicht beirren. Auch die Maxime der Republikaner, wonach sich Außenpolitik am Ideal der Freiheit orientieren sollte, entspricht weniger seinen Vorstellungen. Nicht unterdrückte Bürger müssen befreit werden, sondern die Unterdrücker selbst. Und wenn vieles darauf hindeutet, dass es russische Hacker sind, die sich sowohl auf dem Server der Demokraten-Führungsriege als auch im Umfeld zweier Wahlcomputer umgesehen haben, dann schlägt das Herz des „great again“-Kandidaten keineswegs für amerikanische Interessen, sondern für seine eigenen. Dann fordert er Hacker im Auftrag Russlands lieber auf, Clintons Emails zu finden und zu veröffentlichen, anstatt sich über nationale Sicherheit Gedanken zu machen.

Aber auch der Retter Amerikas muss eben gelegentlich Prioritäten setzen. Westliche Werte hat er nicht im Angebot, dafür aber autoritär gewürzte Stärke. Es ist auch keineswegs Obama, sondern das Modell der Freiheit an sich, das Trump für dessen vermeintliche Schwäche verachtet. Dabei ist der Westen nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Freiheiten stark und dem autokratischen Modell weitaus überlegen. Nicht trotz, sondern wegen seiner attraktiven Werte – Marktwirtschaft, Wohlstand und Individualismus – wird er immer wieder von Islamisten, Kommunisten und weiteren Gruselfiguren angegriffen.  Ob die USA Mauern bauen oder einreißen, Diktaturen beenden oder befördern, ist ihren Gegnern völlig egal. Sie hassen die Vereinigten Staaten nicht für das, was sie tun, sondern für das, wofür sie stehen.

So klappt es mit dem Rubel: Darlehen gegen Weltordnung

Mag sein, dass Donald Trump nicht jedes seiner Worte selbst glaubt. Vielleicht ist es auch nur die Eitelkeit, die ihn dazu nötigt, jedes Kompliment aus dem Kreml mit XXL-Kreml-Lob zu beantworten. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass er westliche Werte und Interessen einfach nur aus eigenen finanziellen Erwägungen verkauft. Dass nicht Amerika, sondern vor allem er selbst „great again“ werden soll. Dass ihm gar nicht Russland als solches, sondern nur die russische Oligarchie und deren Geld am Herzen liegen. Denn letztlich ist es mehr und mehr russisches Kapital, von dem Trump abhängt, nachdem amerikanische Banken ihm schon länger kein Geld mehr leihen wollen. Alles gute Gründe, seine Steuererklärung doch lieber für sich zu behalten. In diesem Fall kämen immerhin Freunde des schwarzen Humors auf ihre Kosten: Nicht jeder besitzt die Chuzpe, die eigene Konkurrentin als „korrupt“ und „Kandidatin der Wall Street“ zu bezeichnen, gleichzeitig aber das Amt des US-Präsidenten als Business-Plattform zu betrachten, um von dort aus eine ganze Weltordnung gegen ein paar Darlehen und einen Trump Tower in Moskau zu tauschen.

Den Gegnern dieser Weltordnung kann derweil ziemlich egal sein, was den GOP-Kandidaten eigentlich antreibt und warum er ihre Interessen so vehement vertritt. So oder so wäre ein US-Präsident namens Trump ein Siebener im Lotto für alle Kontrahenten des Westens. Obama half seinen Feinden aus Naivität und Feigheit. Donald J. Trump tut es aus Überzeugung. Eine Präsidentin Clinton wäre kein Segen. Ein Präsident namens Donald Trump hätte allerdings das Zeug zum Super-GAU. Und das hat immerhin auch noch kein US-Präsidentschaftskandidat vor ihm geschafft. Die Chancen auf ein Plätzchen im Geschichtsbuch stehen also gut. Die Geschichte wiederum hatte bekanntlich schon öfter eine Portion Ironie im Gepäck.


Zuerst auf der Achse des Guten erschienen.


Freiheitskämpfer beim Musizieren
(Marine 1st Division Old Breed Band - © J. N. Pyka)
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Die SPD, die AfD und das Kapital - der Beginn einer wunderbaren Freundschaft

Kaum sind die Wahlen in Meck-Pomm durch, schon rollt das Kümmerkommando durch die Lande. Der eine will mehr zuhören und besser erklären, der andere möchte den Bürger lieber abholen, und alle gemeinsam wollen sie Sorgen ernstnehmen. Offen gestanden macht mir das alles ein wenig Angst. Ich befürchte ernsthaft, dass Sigmar Gabriel demnächst im Rahmen eines „Solidarpakts“ einen Geldsack über "strukturschwachen Gegenden" zwischen Rügen und Rostock ausleeren wird, Ralf Stegner mit einem Best-of seiner "Soziale Kälte"-Tweets auf dem Schweriner Marktplatz auftritt und Manuela Schwesig noch einen mobilen Spielplatz hinterherschickt.

Nun allerdings ist alles viel schlimmer gekommen. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) betritt die Bühne und nimmt eine von vielen Sorgen nicht nur ernst, sondern teilt sie. "Wer über Rechtspopulismus redet, darf über Marktradikalismus nicht schweigen. Die Unsicherheit durch die ungeregelte Globalisierung ist eine der Ursachen für den Erfolg der AfD. Wir reden darüber zu wenig.", diagnostiziert er im Interview mit der "ZEIT". Leider erklärt er nicht, wo genau man diesen Marktradikalismus eigentlich findet. In Deutschland? Womöglich in der Meck-Pomm'schen "Ami go home!"-AfD? Zwischen staatlich verordneter Milchquote und subventioniertem Windrad? In kargen Ortschaften, die vor allem deshalb so traurig aussehen, weil ihnen der Unternehmergeist fehlt?

Man weiß es nicht. Aber vielleicht ist es mit dem Markt so wie mit den Asylbewerbern und den Atomkraftwerken, die Frau Merkel nach einem Erdbeben in Japan abschaltete: Er muss gar nicht erst wie ein Raubtier durch die Mecklenburgische Seenplatte wildern. Es reicht schon, wenn er irgendwo anders sein Unwesen treibt. Zum Beispiel im Reich des Bösen, das zwischen Monsanto, Nestlé und TTIP verläuft. Letzteres, so Herr Schäfer-Gümbel, ist übrigens wichtig, denn sonst könnten "die Märkte weiter unreguliert vor sich hin wurschteln". Und das wäre nicht nur eine ziemlich arge Katastrophe, sondern dürfte zugleich auch der Grund sein, weshalb Sigmar Gabriel und die dem Wurschteln noch vergleichsweise zugeneigten Amerikaner sich nicht einig werden.

Aber das nur am Rande. Denn eines steht fest: "Der Markt" ist radikal und böse, die SPD dagegen dein Freund und Helfer. Das berührt mitunter Menschen mit Kapitalophobie, die der Ansicht sind, ein in Freiwilligkeit operierendes Unternehmen könne ihnen mehr schaden als staatlicher Zwang. Und es freut Thorsten Schäfer-Gümbel, weil mehr Markt auch weniger Staat bedeuten würde - und dann wäre er selbst ja ein wenig überflüssig, was freilich niemand wollen kann. Am wenigsten er selbst. Darum ist es unerlässlich, den Markt noch mit einem chicen Schlagwort - Rechtspopulismus - zu assoziieren. Dass diejenigen, die gemeinhin unter diesem Label laufen, seine Ansichten teilen - Marine Le Pens Wirtschaftsprogramm sieht beispielsweise nach nationalem Sozialismus aus - tut dem keinen Abbruch. Davon lässt sich ein Thorsten Schäfer-Gümbel nicht beirren.

Vielmehr hilft die "Markt = rächts"-Milchmädchenrechnung doch dabei, gleich zwei weltanschauliche Gegner in die Flucht zu schlagen: die Rechtspopulisten zum einen, die Liberalen zum anderen. Das weiß auch Dietmar Bartsch von der Linkspartei, der seine verloren gegangen Schäfchen nun wieder einzufangen gedenkt, indem er die AfD nach einer ausführlichen Unterredung mit seinem Kaffeesatz als "zutiefst neoliberale Partei" einstufte. Und Neoliberalismus ist ja wie Markt, nur schlimmer.

Klasse wäre, wenn auch mal eine andere Devise salonfähig würde. Zum Beispiel diese hier: Wer über "Marktradikalismus" redet, sollte vorher den Begriff "Markt" googlen - und dann eine Schweigeminute einlegen. Aber das ist freilich keine Option, sobald es darum geht, gegen "den Markt" und dessen grauenvolle Risiken und Nebenwirkungen wie Wohlstand und Innovation zu Felde zu ziehen. Die SPD, die AfD, die Globalisierung, das Kapital und die verängstigten Bürger - ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
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Zuckerbergs Werk und Heikos Beitrag

Die Löschpolitik des US-Unternehmens Facebook war schon bizarr, bevor deutsche Politiker ins „no hate speech!"- Fieber verfielen. Doch seit Bundesjustizminister Heiko Maas den Kampf gegen Hassbotschaften im Netz intensiviert hat, wird die Lage immer unübersichtlicher und die Grauzone größer. Willkürliche Sperrungen bieten einen Boden für Hysterie, mancherorts üben deutsche Opfer mithilfe russischer Propaganda schon die Dissidentenrolle. Die Meinungsfreiheit muss offenbar alleine sehen, wie sie weiterkommt. Mehr davon in der heutigen (4.9.16) Print-Ausgabe des Berliner "Tagesspiegel" - beziehungsweise auch hier (Online-Version).

Auszug:
"Facebook hingegen gibt sich bedeckt und lässt mitteilen, dass jede Meldung von eigens etablierten Löschteams überprüft wird und es nicht auf die Masse ankäme. Das klingt allerdings auch besser als das Eingeständnis, dass die sogenannten „Community Standards“ den Webspace nicht wert sind, in dem sie erscheinen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre es nur logisch, diejenigen Inhalte zu löschen und folglich pauschal solche Nutzer zu sperren, die eben vermeintlich besonders vielen anderen Nutzern auf die Nerven gehen. Doch wenn es nicht mehr um Inhalte, sondern nur um Quantität geht, bestimmt bei Facebook nicht das Hausrecht, sondern das Recht des Stärkeren.
Im Lichte dessen hat die Vorstellung eines Facebook-Mitarbeiters, der jeden gemeldeten Beitrag gewissenhaft auf Herz und Hatespeech prüft, natürlich einen Reiz. Kaum tippt jemand „Merkel muss weg!!!!!" und wird dafür gemeldet, schon ergreift ein Mitarbeiter aus dem deutschen Lösch-Team die Initiative. Erst kontaktiert er einen Juristen, dann bittet er noch bei der Amadeu Antonio Stiftung um Rat, nur um drei Stunden später und nach sorgfältiger Lektüre der Tageszeitung zu dem Entschluss zu kommen, den Kommentar nicht zu löschen. Das wäre natürlich verantwortungsvoll, aber auch ein wenig utopisch. Vielmehr bietet es sich an, künstliche Intelligenz ans Werk zu lassen – so, wie es auch schon bei graphischen Grusel-Inhalten (etwa Köpfungsvideos des IS) der Fall ist, um Mitarbeiter-Kapazitäten zu schonen.

Mag sein, dass Facebook eine besondere gesellschaftliche Verantwortung hat. Am Ende des Tages bleibt das soziale Netzwerk allerdings ein profitorientiertes Unternehmen, das sich mehr um Effizienz als um Moral kümmert, solange Nutzer und Werbekunden dies nicht übermäßig monieren und es sonst keine bessere Lösung gibt. Wenn ein deutscher Justizminister meint, dass immer noch zu langsam zu wenig entfernt würde, dann löscht Facebook eben vielleicht im Schleppnetz-Verfahren lieber zu viel als zu wenig, um weiterem Ärger zu entgehen. Dann bringt es seinen Algorithmen eventuell bei, auf Schlagworte wie „Wirtschaftsflüchtling“ anzuspringen, ohne dabei genauer zu überprüfen, inwiefern es sich um Hetze, sachliche Kritik oder Kritik der Hetze handelt. Wer auf Hass-Postings von Islamisten oder AKP-Fans aufmerksam machen möchte, indem er sie im Original oder per Screenshot teilt, wird dann genauso gesperrt wie jemand, der sich diesen Hass tatsächlich zu Eigen macht. So ließe sich zumindest erklären, warum eine Videodokumentation des „Jüdischen Forums für Demokratie“, die eine rechtsextreme Demo zeigt, auf Facebook entfernt wurde."
 
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Randnotiz: So schön ist das Leben nach dem Kapitalismus

In Berlin machen momentan Aktivisten des "Blockupy" Bündnisses gegen "soziale Spaltung, Spardiktat und rassistische Abschottung" mobil. Das Schöne daran ist, dass sie dabei aus ihren Plakaten keine Mördergrube machen. Ein besonders reizendes Exemplar sieht etwa so aus:

source: https://twitter.com/ndaktuell/status/771589608123404289

Nun ist gegen Weisheiten dieser Art freilich nichts einzuwenden. Denn natürlich gibt es ein "gutes Leben nach dem Kapitalismus", liebe Blockupy-Aktivisten. In Venezuela soll es derzeit beispielsweise sehr angenehm sein. Gut, Klopapier hat man dort schon überwunden. Oder man bringt es eben selbst mit. Zum Einkaufen begibt man sich nicht nach Caracas, sondern nach Kolumbien. Da muss man halt ein bisschen Zeit und Geduld parat haben, aber Schlangestehen ist ja auch romantisch. Genauso wie die Vorstellung, zum Essen nicht ins Restaurant, sondern in den örtlichen Zoo zu gehen, um dort eigenhändig ein abgemagertes Pferd zu erlegen. Alles friedlicher und gerechter als ein Land, in dem Frau Nahles mit mickrigen 130 Milliarden das "Ministerium für Ausbeutung" kaputtspart. Wenn ihr also den Sozialabbau samt Raubtierneoliberalismus in die Flucht geschlagen habt, solltet ihr unbedingt in aller internationaler Solidarität eine Mahnwache vor der Botschaft Venezuelas in Berlin abhalten. Und dabei bitte das "Kapitalismus tötet!"-Plakat nicht vergessen.
 
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