Piratige Paranoia

Bis vor Kurzem war die heile Welt der Piraten noch in Ordnung. Der eine saß bei Lanz, der andere kümmerte sich um den Holocaust, der nächste philosophierte über die „Tittenquote“, zwischendurch ein bisschen Urheberrecht, und am Ende des Tages „enterte“ man noch ein paar Landesparlamente. Doch nun droht nichts Geringeres als die ultimative Identitätskrise. Der Anlass: Piratenpartei-Chef Bernd Schlömer hatte vorigen Donnerstag ein Date. Mit Polit-Schwergewicht Henry Kissinger. Und noch dazu im Axel-Springer-Journalistenclub, der ganz offenbar nicht nur Alt-68ern im Rentenalter als Vorhof zur Hölle gilt.

Ein Vorhaben also, das freilich kein vorbildlicher Pirat mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Denn schließlich hätte sich hier ein „Nazi-Jude mit internationalem Haftbefehl“ angekündigt. Ein „Antidemokrat“, ein „Kriegsverbrecher“ und daher ein Mann, dem man nicht mal die Hand reichen dürfe, weil sonst die eigene Hand „verfaulen“ oder zur „demokratentötenden Zombiehand“ werden würde, wie aufgeregte Piraten auf Twitter warnten. Nein, mit so einem Ganoven wollen sich die Sauberpiraten, die natürlich kein Antisemitismusproblem haben, nicht abgeben! Bernd Schlömer möge bitte absagen, tönte es aus dem Shitstorm der Empörung, der kurz darauf noch mit ein paar Drohungen gegen den Piratenchef angereichert wurde.

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Fatwas gegen Shahin Najafi - Wo bleibt der Sturm der Entrüstung?

Es ist noch gar nicht lange her, da brach in deutschen Wohnzimmern, Redaktionsstuben und Abgeordnetenbüros mit reichlich Moralin versetzte Entrüstung aus. Der Anlass: Tod eines „54-jährigen Familienvaters“, der mit seinen Kindern sicher gern mal „Blinde Kuh“ spielte, sofern er nicht gerade Terrorattentate plante, koordinierte und ausführen ließ. Osama bin Ladens Leichnam hatte noch nicht mal den Grund des Indischen Ozeans erreicht, da war man hierzulande ob der Aktion der Navy SEALs schon völlig aus dem Häuschen.

Besonders empörte man sich damals über die Tatsache, dass die Amerikaner einfach in ein fremdes Haus in einem fremden Land einfielen und den Hausherrn erschossen, ohne ihn zuvor über sein Aussageverweigerungsrecht zu informieren. Altkanzler Schmidt echauffierte sich über einen „Verstoß gegen das Völkerrecht“, Peter Scholl-Latour über die „Verletzung der pakistanischen Souveränität“, und Alfred Buß (Präses der Landeskirche von Westfalen) ergänzte geschäftig, man müsse auf seine Feinde zugehen, anstatt Menschen einfach zu töten. Egal ob Hobby-Imker mit Antikriegstag-Erfahrung, Linksparteimitglied, Talkshow-Gast, Friedensforscher oder gefühlter Nahoststratege – jeder entrüstete sich eifrig mit und wusste ganz genau, dass das Problem nicht etwa Osama, sondern die unverschämten Amis waren. Es roch gewaltig nach Margot Käßmann, während landesweit bin Ladens Ableben betrauert wurde.

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BILD dir deinen Gratismut!


Jede Menge Heldentum gab es letzten Freitag bei der Verleihung des honorigen „Henri Nannen Preises“ in Hamburg zu bestaunen. Da sei es nämlich zum „Eklat“ gekommen, wie dem Rauschen des Blätterwaldes dieser Tage zu entnehmen ist. Eine Kategorie, zwei „Henris“ – der eine für zwei BILD-Reporter, der andere für drei SZ-Redakteure  – und ein völlig empörter Hans Leyendecker, der den Preis selbstverständlich ablehnte, um ihn sich bloß nicht mit den Schmuddelkindern von der Bild-Zeitung teilen zu müssen.

Gemein aber auch! Da erklimmen zwei Angehörige der „Springer-Presse“ mal eben den journalistischen Olymp, wofür Otto-Normal-Redakteur so lange leitartikeln muss, bis er sein eigenes Geschwurbel nicht mehr durchschaut. Nun aber hat die TAZ Tacheles gesprochen: „Drei Helden hatte der Abend. Jene Redakteure der Süddeutschen Zeitung, die eine Auszeichnung in der Kategorie „Investigation“ ablehnten – aus Protest gegen die Bild. Sie haben bewiesen, was vielen Journalisten im Umgang mit Deutschlands größtem Boulevardblatt fehlt: Courage.“
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Erfrischend: Piraten kümmern sich um lebende Juden


Nun, da die Piraten schon das vierte Landesparlament „geentert“ haben, ist es auch mal an der Zeit, sich über Inhalte Gedanken zu machen. Urheberrecht, Transparenz, schön und gut. Aber nach sechs Jahren Existenz und unzähligen Talkshow-Auftritten wäre eine Erweiterung des Themenspektrum vielleicht doch ganz erfrischend. Außenpolitik wäre zum Beispiel ein Terrain, das bislang noch kein Pirat betreten hat. Bis jetzt! Denn nun haben sich ein paar diplomatisch veranlagte Exemplare gefunden, die schon immer mal die Welt retten wollten. Und wo fängt man da am besten an? Logisch, in Israel! Darum hat Pirat "Filipp" zur Gründung einer „AG Nahostpolitik“ aufgerufen, „in der ein Programm zum Thema Israel, Palästina, Iran und Ähnlichem erarbeitet werden soll“. Dass Ahnungslosigkeit dabei kein Hindernis, sondern vielmehr zwingende Voraussetzung ist, wurde hier* schon mal eindrücklich dokumentiert:
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Über den Unsinn des Karikaturenverbots

Es hätte ja alles so schön sein können. Stellen wir uns vor, ein ausländerfeindlicher Rentnerclub namens „Pro NRW“ macht mit Karikaturen Wahlkampf, und keiner wäre hingegangen. Oder zumindest keiner außer den Salafisten, die im Gegenzug auch lustige Plakate gebastelt hätten. Weil aber Salafisten obskure Wesen sind, die den Koran „wörtlich nehmen“ und ihn damit gleichzeitig „missbrauchen“, kam alles anders. Statt Rentner-Karikaturen gab es also Messer, Pflastersteine und schwer verletzte Polizisten, was für die zahlenmäßig überlegenere „Wahre Islam“-Fraktion ein legitimes Vorgehen gegen die Verletzung ihrer religiösen Gefühle durch islamkritische Bildchen darstellt.

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Wie man die Antisemitismus-Keule richtig bedient

Zu den großartigsten Errungenschaften, die Deutschland so zu bieten hat, gehört zweifellos die Israelkritik. Einst behutsam im „Nie wieder“-Biotop kultiviert und seitdem liebevoll gehegt und gepflegt, erblüht sie heute in den prächtigsten Formen und Farben. Damit das auch so bleibt, sind „wir“ stets bemüht, das zarte Pflänzchen vor dem giftigsten Schädling – nämlich der „Antisemitismus-Keule“ – zu bewahren. Klar, denn lieber einmal Antisemitismus zu viel, als einmal Israelkritik zu wenig, wie es eine Woche zuvor an dieser Stelle nachzulesen war.

Seitdem hat sich viel getan. In Großbritannien soll es wie aus Kübeln schütten, und auch TE-Kolumnist Mark T. Fliegauf, der neulich schon die Broder’sche „Antisemitismus-Keule“ beklagte und sodann von einer „Welle der ganz anderen Art“ heimgesucht wurde, hat sich von diesem Schock offenbar immer noch nicht ganz erholt. Nun ging er „in Berufung“ und philosophierte dazu über „die Dreistigkeit, all jene berechnend zu stigmatisieren, die nicht mit Broder einer Meinung sind“, und darüber, dass dieser sich „hierzu nur allzu gern der Antisemitismus-Keule bedienen“ würde. Dinge also, die offenbar noch mal todesmutig gesagt werden müssen.

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