Erdbeben light: Mutter Natur lässt’s gern krachen!

Berichte aus der freien Welt, notiert in San Francisco - California - USA.

Grüne Idealisten verbessern nicht nur von Deutschland, sondern auch von San Francisco aus die Welt. Allerdings tragen sie heute keine Blumen mehr im Haar, sondern „Save our planet!“-Plakate durch die Gegend. Außerdem bestücken Sie ihre Dächer gerne mit subventionierten Solarzellen und fahren abends mit dem „Green Cab“ ins „Dosa“, ein garantiert ökologisch korrektes südindisches Restaurant, wo man sich ein biodynamisch aufgezogenes „Organic Chicken ‚Frankie“ garniert mit „Tamil Vegetable Curry“ bestehend aus regionalem Grünzeug einverleiben kann. San Francisco ist geradezu vorbildlich grün und demzufolge auch überaus naturverbunden. Umso härter muss es die hier lebenden Mülltrenner getroffen haben, als sie neulich feststellen mussten, dass Natur eben nicht nur inmitten der nahegelegenen Muir Woods, sondern auch oberhalb des San Andreas Grabens statt findet und deshalb die Einwohner der Bay Area gelegentlich mit einem Erdbeben überrascht.

Nun sind Erdbeben in San Francisco freilich nichts Neues, sondern vielmehr die Regel. Zumeist ist Mutter Natur allerdings freundlich genug, die in ihr lebenden Wesen nicht allzu sehr zu überfordern und verursacht daher lediglich Erdbeben der Stärke zwei, die man faktisch nicht bemerkt, dafür allerdings täglich stattfinden. Vorgestern war Mutti allerdings in Hochform und überraschte uns gleich mit zwei Erdbeben vom Kaliber Stärke vier, die noch dazu derart nah an der Erdoberfläche lokalisiert waren, dass man sie unweigerlich wahr nehmen musste – faktisch also Beben von einer Intensität, die so zuletzt vor Jahren auftauchten. Und während im Universitätsstädtchen Berkeley, dem Epizentrum des Bebens, Thomas Jefferson, John Rawls und Milton Friedman aus den ihnen angestammten Bibliotheksregalen purzelten, erlebten auch die Einrichtungsgegenstände in meiner Wohnung ein Feng Shui der etwas anderen Art.
Um Punkt 2.15 pm bebt es, begleitet von einer Geräuschkulisse im Stil eines Betonbohrers, erstmals für drei bis vier Sekunden, die sich eher wie Stunden anfühlen – und wer zu diesem Zeitpunkt nicht gerade saß, der wurde von Mutter Natur gesetzt. Alles, was sich zuvor auf Tischen, Nachtkästchen und Ablagen aller Art befand, liegt nun in unregelmäßiger Anordnung auf dem Boden, und während ich im ersten Moment noch an eine Art Rache Gaddafis aus dem Jenseits denke, heulen auf den Straßen bereits die wohlbekannten Sirenen der Polizei auf. Ruhe solle man bewahren, so der Sheriff, der zehn Stockwerke unter mir in sein Megaphon plärrt und dies wohl präventiv zur Beruhigung der Bevölkerung tut, damit allerdings genau das Gegenteil bewirkt. Zudem rät er dazu, sämtliche Gebäude besser zu verlassen, was ich natürlich umgehend und trotz funktionsunfähigen Fahrstuhls tue. Unten auf der Straße herrscht bereits große Aufregung: Der nette Inder von nebenan fabuliert über „Apocalypse Now!“, während eine ältere Dame bereits beschlossen hat, mit Katz und Kegel sofort in Richtung Osten zu flüchten. Indes statte ich „M“, dem Besitzer des nahe gelegenen„M-Cafés“, einen kurzen Besuch ab und lasse mich bei einem Gläschen Whiskey beruhigen. „Alles halb so schlimm“, meint „M“, der gerade seine Peanutbutter-Muffins vom Boden aufsammelt. Und nachdem auch ich keine Lust habe, die nächsten Stunden oder gar Tage präventiv auf der Straße zu campieren, kehre ich wieder in meine Wohnung zurück.

Im Lokal-TV verhält man sich mittlerweile auch schon den Umständen entsprechend und betreibt das, was ich eigentlich nur aus Deutschland kenne: Panikmache. Die allround-gebotoxte Moderatorin interviewt gerade einen Geologen vom US Geological Survey (USGS), der den Zuschauern rät, beim nächsten Beben die Wohnung zu verlassen, sich alternativ zwecks schnellerer Flucht eine Wohnung im unteren Stockwerk zu suchen (freilich ohne zu erklären, woher ich so schnell eine neue Bleibe nehmen soll) oder sich im absoluten Notfall unter dem Tisch zu verkriechen. Die überaus besorgte Moderatorin hakt nach: “What about the survival-kit?” Das wüsste ich, als Besitzerin eines deutschen Migrationshintergrundes und nahezu ohne jegliche Erfahrung im Umgang mit Naturkatastrophen aller Art, auch gerne. Ein Survival-Kit müsse ich mir also laut TV-Experten dringend anschaffen, und beinhalten sollte es vorwiegend Kerzen, Wasser und Lebensmittel, die keiner Kühlung und keiner Herdplatte bedürfen – schließlich könne man ja nie wissen, wie gut sich Stromversorgung und Mutter Natur in naher Zukunft noch verstehen werden. Gut, das wiederum kommt mir, nachdem ich in einem Sommer drei Hurricanes in Florida überlebte, doch recht bekannt vor. Allerdings würde mein Survival-Kit im Notfall nur aus Cranberry-Juice und „Petite Brownie Bites“ (beides ungekühlt) bestehen, wohingegen sich der Kühlschrank, befüllt mit California-Rolls, Three-Pepper-Hummus, Import-Erdbeeren, Weißwein aus dem Nappa Valley und weiteren Schmankerln, als recht gut bestückt erweist. Was mir natürlich im Fall des Falles nicht viel bringen würde. Und wie es weiter geht, vermag auch niemand zu sagen.

Einige Stunden später bebt es pünktlich zur Primetime um 8.15 pm erneut, was insofern ärgerlich ist, als ich nun zum zweiten Mal an diesem Tage aufräumen muss. Das Gefühl der Sorge wird letztlich übertüncht vom Wissen um die Alternativlosigkeit der Situation. Während ich schon längst auf den History Channel umgeschaltet habe und dort eine gut gemachte Doku (eine deutsche Antithese) über die Navy Seals verfolge, sinniere ich dennoch darüber, wie meine Landsleute wohl reagiert hätten. Erdbeben haben nun mal die etwas störende Eigenschaft, sich weder durch Abschalten noch durch Lichterketten verhindern zu lassen. Zudem mag Mutter Natur keine festen Termine, sie entscheidet lieber spontan, wann sie ein paar Erdplatten ihren Auslauf lässt, weshalb man Beben auch langfristig nicht vorhersagen kann. Deshalb fragt man in der gesamten Bay Area schon längst nicht mehr ob, sondern lediglich wann „The next big one“ kommen wird. Natürlich ist die Stadt vorbereitet: „Earthquake Coachings“ finden regelmäßig statt, die Architektur hat sich ebenso wie die dazugehörigen Versicherungen den Gegebenheiten angepasst und die U-Bahn verzeichnet trotz zweier Beben lediglich 15 Minuten Verspätung. Nichtsdestoweniger wird das nächste große Beben wieder Tote, Zerstörung und Chaos nach sich ziehen, wenn auch dank genannter Maßnahmen nicht im gleichen Ausmaß der Verwüstung, das das große Beben 1989 verursachte. Ein Restrisiko bleibt dennoch – etwas, was man in Deutschland, wo man Radelfahrer gerade per Gesetz zum Tragen einer schützenden Plastikschüssel zu zwingen plant, gerne gänzlich und auch auf Kosten des Fortschritts eliminieren würde. Offensichtlich hat sich die Erkenntnis, wonach das gesamte Leben ein einziges Risiko darstellt, noch nicht wirklich durchgesetzt – und das gilt auch für die schönen und ertragsreichen Dinge im Leben. Das gilt zugleich für AKWs, deren Restrisiko dennoch im Vergleich zum Nutzen verschwindend gering ist, ebenso wie für das Dasein in der kalifornischen Bay Area, wo es sich so angenehm lebt, dass man das Risiko eines Erdbebens sponsored by Mutter Natur in Kauf nimmt. Wäre San Francisco hingegen eine deutsche Kolonie, die primär von Deutschen bevölkert würde, so wäre die Stadt unter Garantie schon längst ausgestorben.




Überlebte das letzte große Erdbeben 1989: Golden Gate Bridge



Fotos: Jennifer N. Pyka.

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