Im Zweifel antiamerikanisch

Es ist aber auch immer wieder das Gleiche mit diesen Amerikanern. Kaum lässt man sie unbeaufsichtigt, schon fressen sie hier irgendwas aus oder benehmen sich dort erneut unanständig. Nie hat man seine Ruhe. Vor allem nicht, wenn man als Deutscher den Posten des guten Gewissens des Planeten gepachtet hat und es daher natürlich oberste Pflicht ist, den Amis den Kopf zu waschen. Denn auch auf den zunächst als unamerikanisch empfundenen Präsidenten kann man sich nun nicht mehr verlassen. Nicht nur, dass er Guantanamo immer noch nicht zu gemacht hat, nein, jetzt stellt sich zudem heraus, dass er Millionen von Menschen „überwacht“. Prism wird man ihm hier wohl nie verzeihen.

Und wie das im Land der Moralhüter so üblich ist, ist auch bei dieser Aktion made in USA eines garantiert: nämlich das Nicht-Stattfinden einer halbwegs sachlichen Diskussion. Natürlich sind Kritik und Fragen berechtigt, wenn ein Geheimdienst theoretisch in der Lage ist, die Korrespondenzen zwischen Max Mustermann und seiner Geliebten mitzulesen. Nur ist das ja nicht Sinn der Sache. Zumal im Grunde, so hört man zumindest, Verbindungsdaten im Vordergrund stehen und über alles weitere ein Gericht wacht. Oder, um es mit Alan Dershowitz zu sagen: „There is an enormous difference between listening to the content of people’s phone calls and creating a database of telephone numbers.“

Unabhängig davon, dass das Angebot an Informationen zu Prism ohnehin denkbar schmal ist, böte die NSA-Causa dennoch Anlass, um konstruktiv über das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit zu debattieren. In Deutschland jedoch, wo man tendenziell keine Ahnung vom Innenleben eines terrorgeprüften US-Bürgers hat, bevorzugt man es dieser Tage unsachlich. Wutentbrannte Mitbürger spazieren durch Berlin, und ihre Plakate klären darüber auf, dass im Weißen Haus eigentlich gar kein Amerikaner, sondern die Reinkarnation Honeckers herrscht.

Wie schlimm es aber wirklich um den Weltfrieden bestellt ist, erklärte uns diese Woche der Chefbedenkenträger Jakob Augstein im Rahmen seiner Kolumne. Denn nun, da er sich ausgiebig an Israel abgearbeitet hat und dafür mit dem neunten Platz innerhalb der „Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs“ des Simon-Wiesenthal-Centers ausgezeichnet wurde, kann er sich in Ruhe um den großen Satan kümmern. Doch an dem Ort, an dem Jakob Augstein seine Kolumnen spinnt, macht man in Washington nicht nur einen „falschen Freund“ aus. Zudem verfügt man dort auch über politische Weltkarten, die dem gemeinen Fußvolk bislang verborgen blieben:
„Wer meinte, die Drohnenangriffe in Pakistan oder das Lager von Guantanamo seien bedauerliche Ereignisse am Ende der Welt, der hält jetzt inne. Wer bisher noch dachte, die Folter in Abu Ghuraib oder das Waterboarding in den CIA-Gefängnissen gehen ihn nichts an, der denkt jetzt um. Wer dachte, dass wir auf der Seite der Guten sind und dass nur die anderen die Menschenrechte mit Füßen treten, dem gehen die Augen auf: In den USA herrscht heute ein Regime, das in dem Sinne totalitär ist, als es Anspruch auf totale Kontrolle erhebt. Auch der sanfte Totalitarismus ist einer.“
Es wäre überdies allerdings erhellend, von Augstein noch Folgendes zu erfahren: Wenn die USA also sinngemäß ein die Menschenrechte mit Füßen tretendes Land sind, wie nennt man dann das, was bei „den anderen“ so passiert? Bei „den anderen“ also, die gemeinhin als Regime gehandelt werden und Menschenrechte für überflüssig halten – Iran und Nordkorea etwa, oder auch Syrien, aktuell gewissermaßen die Türkei, Saudi-Arabien? Wo Ehebrecherinnen gesteinigt, Homosexuelle aufgeknüpft und Andersdenkende in Arbeitslager gesperrt werden? Nun, Herr Augstein verrät es lieber nicht. Er weiß nur, dass es sich bei den USA, die den Menschenrechten und der Freiheit schon seit dem Jahre 1776 Unantastbarkeit garantieren, um ein übles „Regime“ handelt. Dass es mindestens so übel wie all die realen Diktaturen dieser Welt agiert, schwingt unüberhörbar mit.

Nun gibt es kein Gesetz, wonach eine Kolumne sich an den Fakten und einer gewissen Verhältnismäßigkeit orientieren muss. Es besteht auch keine Notwendigkeit, sich über politische Systeme schlau zu machen, bevor man die Feder zückt. In dem Fall hätte es allerdings auch schon Wikipedia getan, um zu erfahren, dass totalitaristische Systeme Überwachung nicht aus Sicherheitsgründen, sondern vor allem zwecks effizienterer Sanktionierung Andersdenkender betreiben. Aber vielleicht hält er Gestalten wie die Boston-Attentäter ja auch für „Andersdenkende“, wer weiß das schon.

Was Augstein hier allerdings macht, erscheint wie „wishful thinking“ mit dem Ziel, sich moralisch über die Amerikaner erheben zu können. Wenn die USA schon kein Regime sind, dann sind sie es vorerst wenigstens auf dem Papier. Und das ist ja auch was Schönes. Vor allem für jemanden, der offenbar ohnehin Freude an kruden historischen Analogien empfindet. Bezeichnete er erst kürzlich Gaza als ein „Lager“, in dem Menschen dank Israel „zusammengepfercht“ würden, so befördert er nun diejenigen zu Verbrechern, die vor knapp 70 Jahren den deutschen Totalitarismus durch Freiheit ersetzten. Beide, die Amis und die Juden, sind also nicht besser als die Nazis.

Im Übrigen ist es auch noch gar nicht lange her, da sorgte sich Augstein um den Kampf gegen den Antisemitismus. Dieser würde „geschwächt, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert“ wird. Gerne wüsste man nun von ihm, was denn mit dem Kampf für globale Menschenrechte und gegen die real existierenden Diktaturen passiert, wenn die Wörtchen „totalitär“ und „Regime“ inflationär verwendet werden. „Im Zweifel“ wird er allerdings auch das schön brav für sich behalten.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.

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