Tagesschau goes Pallywood

Im Leben eines durchschnittlichen Nahostkorrespondenten gibt es genau zwei Dinge, die ihm regelmäßig einen innerlichen Reichsparteitag bescheren:
  1. Wenn Israel sich gegen Liebesgrüße aus dem Gazastreifen, die zumeist via Kassam-Rakete und Mörsergranate überbracht werden, wehrt (denn das kann man gut als zionistischen Angriffskrieg verkaufen!)
  2. Wenn die Hamas bei ihren Bestrebungen, die Juden endlich ins Meer zu treiben, tatkräftige Unterstützung von außen – wahlweise durch die UN, Iran oder Inge Höger – erfährt (denn so wirkt die sogenannte „Israelkritik“ gleich viel seriöser!) 
Das letzte Stimmungshoch erreichte die örtlichen Korrespondenten erst vor ein paar Tagen, nämlich als Ägypten im Alleingang die Öffnung des Grenzübergangs in Rafah beschloss und so die Palästinenser aus ihrem „Freiluftgefängnis“ befreite. Anlässlich dieses wahrlich historischen Ereignisses knallten die Sektkorken ganz offensichtlich nicht nur in der örtlichen Hamas-Parteizentrale, sondern ebenso im ARD-Studio Tel Aviv. Auch Dr. Clemens Verenkotte, seinerseits profilierter Nahostexperte und ARD-Studioleiter, wollte dieses Jahrhundertspektakel natürlich keinesfalls verpassen. Und so raste er mit 180 Sachen quer durch Zion in Richtung Rafah, um dort rechtzeitig an den örtlichen Feierlichkeiten im Kreise hochrangiger Hamas-Friedenskämpfer teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund entstand dann das eine oder andere Glanzstück der deutschen Journalismusgeschichte, die der interessierte Gebührenzahler auf tagessschau.de bestaunen kann.

Wahrlich, es lässt sich nicht leugnen: Clemens Verenkotte, die Edelfeder vom Dienst, ist nicht nur eine Zierde seiner Zunft, sondern gleichsam ein wahrer Gewinn für die öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten. Anstatt wahllos beliebige Agenturmeldungen umzuschreiben und das Ergebnis als „Qualitätsjournalismus“ zu verkaufen, lässt er nicht nur befreite Palästinenser, sondern auch freundliche Hamas-Cops selbst zu Wort kommen. Objektiver Journalismus, wie er im Buche steht! So erfährt der Leser bereits eingangs von Mahmud, der seine Familie sage und schreibe 25 Jahre nicht gesehen hat und nun endlich seinen Bruder in die Arme schließen kann. Ein schöner Erfolg – nicht nur für Mahmud, sondern auch für Dr. Verenkotte, der dies natürlich unkommentiert stehen lässt und so dem Leser genau das Bild suggeriert, das er selbst offenbar aus seinem Lieblings-Pallywood-Streifen übernommen hat. Denn dass Mahmud bereits seit 25 Jahren im Gazastreifen verweilt, liegt freilich nicht an Israel oder Ägypten (das die Schotten berechtigterweise erst 2007 dicht machte), sondern an ihm selbst.


Doch mit Gefühlsduselei allein lässt sich der knallharte Lokalreporter Clemens natürlich nicht abspeisen. Für ihn zählen nur Fakten, Fakten, Fakten! Und die bekommt er auch, z.B. vom Humusverkäufer Khalid, einem weltweit bekannten und renommierten Analysten der aktuellen Nahostpolitik. Dieser lässt verlauten: „Ich glaube, dass der Grenzübergang für so lange Zeit geschlossen war, weil die ägyptische Seite unter massivem Druck von außerhalb stand.“ Treffer versenkt, denkt sich Clemens, und übernimmt auch dieses aussagekräftige Statement in seinen äußerst lesenwerten Tatsachenbericht. „Außerhalb“ – das impliziert natürlich nichts anderes als „zionistisches Terrorregime“. Und da ein Nahostbericht ohne obligatorisches Israel-Bashing in der Chefetage der ARD offenbar als handfester Kündigungsgrund gilt, kommt Clemens der weise Humusverkäufer natürlich sehr gelegen. Ebenso übrigens wie der äußerst kooperative Hamas-Polizeichef, der sich trotz der alltäglichen Hektik (hier mal ein bisschen foltern, da die ein oder andere Hinrichtung und zwischendurch noch ein paar Mörsergranaten in Richtung Israel abfeuern) dennoch Zeit für seinen Kumpel aus Deutschland nimmt. Der wiederum honoriert dies mit den Worten „Hamas zeigt sich aufgeschlossen“ und suggeriert so dem Leser, dass die netten Jungs mit der Kalashnikov eigentlich herzensgute Menschen sind. Deren Forderung nach Warenverkehr in Rafah wurzelt selbstverständlich im ausgeprägten Bedürfnis der Palästinenser nach lustigen Souvenirs aus Gizeh, keinesfalls jedoch im Interesse der friedfertigen Hamas, ein paar Waffen mehr ins Land zu schaffen.

Es ist daher nur verständlich, dass Dr. Verenkotte bei dieser Fülle an höchst objektiven Quellen wohlwollend darauf verzichtete, dem interessierten Leser ein Minimum an Hintergrundinformation zu bieten. Der Tatsache, dass erst der Regierungsantritt der demokratisch gewählten Terrorgruppe Hamas den entscheidenden Anlass zur Schließung der Grenze gab, widmet der ARD-Qualitätsjournalist nicht mal einen Nebensatz. Faktentreue wird ohnehin überbewertet. Stattdessen zitiert Meister Clemens fleißig Hamas-Kämpfer sowie Opfer der israelischen „Besatzung“ und liefert so ein nettes Märchen aus 1001 Nacht made in Pallyschauwood. Dass er so in die Fußstapfen der Marietta Slomkas und Jörg Schönenborns dieser Welt tritt, bei denen die vertraglich festgelegte journalistische Objektivität allenfalls als „nice to have“ gilt, ist freilich nichts Neues. Ebenso wenig übrigens wie die ARD’sche Interpretation des „Grundversorgungsauftrags“, der sich höchstens auf die umfassende Versorgung des Bürgers mit öffentlich-rechtlich-kompatiblen Informationen beschränkt.

Aber vielleicht sollte man mit Dr. Verenkotte auch nicht allzu hart ins Gericht gehen. Vermutlich hat er bei all dem Jubel und Trubel einfach nur vergessen, zum Zwecke der Ausgewogenheit kurz beim israelischen Regierungssprecher anzurufen oder einen zufällig vorbeikommenden Israeli um seine Meinung zu bitten. Kann schon mal vorkommen. Schließlich hat das Freiluftgefängnis zu Gaza, wo laut journalistischer Einheitsmeinung pausenlos humanitäre Krisen stattfinden, ja so viel zu bieten. Darum ist es doch nur verständlich, dass Herr Verenkotte lieber ein bisschen in der neu eröffneten Gaza Shopping Mall bummeln geht oder einen Cocktail im mondänen Gaza Grand Palace Hotel schlürft, anstatt seriösen Journalismus zu produzieren. Wer könnte es ihm schon verübeln?





Dieser Text erschien ursprünglich als Gastbeitrag auf  "Spirit of Entebbe" (s. hier) - die Verfasserin bedankt sich ganz herzlich bei Claudio Casula für seinen Support. 

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