Wenn die Deutschen auf etwas besonders stolz sind, dann ist es
ihre Fähigkeit, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Nie wieder
Krieg, nie wieder Rassismus, nie wieder Nazis - das klappt schon recht
gut, nur bei den Juden läuft es noch nicht ganz rund.
So haben „gerade wir als Deutsche“ aus der Geschichte gelernt, wie man
den eigenen Judenknacks politisch korrekt auslebt. Statt Antisemiten
gibt es heute nur noch professionelle „Antizionisten“, notorische
„Israelkritiker“ oder „Kritiker der israelischen Regierung“ (egal
welche). Sie alle können einfach nicht untätig zusehen, wenn der
Judenstaat mal wieder mit Selbstverteidigung droht. Und beinah jeder
kennt oder hat „jüdische Freunde“, die seine Ansichten teilen.
Wer sich in diesem Milieu umsehen will, der ist auf der Facebook-Seite
von Ruprecht Polenz (CDU) an der richtigen Adresse. Polenz war mal ganz
kurz Generalsekretär der CDU, heute sitzt er dem Auswärtigen Ausschuss
im Bundestag vor. Er ist auch fleißiger Facebook-Nutzer, so fleißig,
dass sich einige seiner Fraktionskollegen inzwischen fragen, wann er
denn noch zum Arbeiten kommt.
Seine Facebookseite hat sich im Laufe der Zeit zu einer Kontaktbörse für
Psychoten aller Art entwickelt. Hier tauschen sich Antisemiten mit
Esoterikern und Salafisten aus, Selbstmordbomber kündigen ihre
Attentate an, während nebenan der Holocaust geleugnet und das
Existenzrecht Israels negiert wird. Über alledem thront Polenz selbst,
der sich – nota bene! - für einen wahren Freund Israels hält, wie er
immer wieder betont.
Nun ist es so, dass auch ich gelegentlich im Polenz’schen
Kuriositätenkabinett vorbeischaue, um zu sehen, was er und seine 5000
skurrilen „Freunde“ so treiben. In diesem Getümmel begegnete ich vor
etwa zwei Jahren zum ersten Mal einer gewissen Irena Wachendorff aus
Remagen, einer mir bis dahin unbekannten „deutsch-jüdischen“ Lyrikerin,
die ihren Wohnsitz auf Polenz’ Pinnwand verlagert hatte, um vom dort aus
den Israelis Nachhilfe in Friedenskunde zu geben.
Aber das allein war es nicht, das sie von den anderen Polenz-Freunden
unterschied. Ihr Alleinstellungsmerkmal war der Umstand, dass sie sich
als Jüdin präsentierte und damit in Polenz‘ Panoptikum eine Art
„Judenbonus“ innehatte. Wer ihr zu widersprechen wagte, wurde umgehend
von Herrn Polenz abgemahnt und aufgefordert, sich bei der „Jüdin Irena
Wachendorff“ zu entschuldigen. Wer nicht gehorchte, wurde von Polenz‘
„entfreundet“, der es „unerträglich“ fand, wenn „eine Jüdin“, seine ganz
besondere Jüdin, „beleidigt“ wird. Und wer der „Jüdin“ eine Frage
stellte, dem teilte Polenz mit, er würde seine Seite nicht für
„Kampagnen gegen Irena Wachendorff“ zur Verfügung stellen.
Was hatte Frau Wachendorff nur an sich, das in Herrn Polenz den
Beschützerinstinkt weckte, während ihn die ständige Hatz gegen Israel
und die Zionisten auf seiner Seite keineswegs störte?
Nun mag der Münsteraner Politiker ein hilfsbereiter, jedoch sicher kein
gänzlich uneigennützig handelnder Mensch sein. So fragte ich mich, wie
sich die rheinische Lyrikerin wohl für Polenz‘ Support erkenntlich
zeigen würde – und fand die Antwort schwarz auf weiß in der „Frankfurter
Rundschau“. Ein dort am 11. Januar 2012 erschienener Artikel mit der
Überschrift „Beschimpfungen im Internet“ zeichnete das Schicksal der
beiden nach, die wegen ihres Einsatzes für den Frieden beleidigt und
bedroht würden. Am besten gefiel mir diese Passage: „In der
Vergangenheit hatte Wachendorff Polenz häufig verteidigt, wenn der
Politiker wegen Kritik an der israelischen Regierung angefeindet worden
war.“ So sind sie, die jüdischen Freunde – immer einsatzbereit, wenn ein
Israelkritiker in die Kritik gerät.
Bereits vor dem Artikel in der FR war mir allerdings schon aufgefallen,
wie eifrig sie „als Jüdin“ (eine für sie identitäts-stiftende Funktion,
die sie nie zu erwähnen vergaß) jedem israelkritischen Statement aus dem
Hause Polenz den Koscher-Stempel aufdrückte. Polenz tadelt Siedlungen –
Wachendorff kann das nur bestätigen. Polenz warnt vor „Säbelrasseln
gegenüber Iran“ – Wachendorff schwingt ebenfalls den Zeigefinger in
Richtung Netanyahu. Pausenlos mit dem Ausstellen von „jüdischen“
Persil-Scheinen für Polenz beschäftigt, muss sie das antisemitische
Pack, das sich auf Polenz’ Seite tummelte, übersehen haben.
Aber das war noch lange nicht alles. Irena Wachendorff hatte eine
weitere Identität, mit der sie nicht hinterm Berg hielt. Oder besser
gesagt: einige Identitäten, sie die wahlweise und additiv ins Spiel brachte:
„Ich arbeite in der Region in Friedensprojekten: Kindergarten und Schule
bilingual,gleiche Voraussetzungen für Bildung, psychologische Betreuung
für Kinder in Gaza, die nicht mehr sprechen können...Ich kann ihnen nur
sagen: Gäbe man der Hamaz die Chance ohne Gesichtsverlust einschwenken
zu können...Sie würde es tun! Es ist eine Mär, dass die
arabische/palästinensische Bevölkerung den “totalen Krieg” will. Diese
Menschen sind zermürbt, traumatisiert, arbeitslos, chancenlos...bleibt
das israelische Regime weiterhin so hart, dann bleibt nur der Weg der
Verzweiflung! Ich habe sehr viel Misstrauen erlebt, da ich als Jüdin in
diese Gebiete ging und habe so viel Öffnung erlebt, als ich Hilfe
anbot.“
„Ich kann mich nur immer wieder wiederholen: Vom ersten Tag nach dem
Entern der Mavi Marmara war das eines meiner Hauptargumente: Das wird
den Antisemitismus Auftrieb verleihen und ALLE JUDEN in Gefahr bringen!“
„Es ist kein Weg, Siedlungen zu zerstören, Häuser zu enteignen,
Wohnviertel zu schleifen, Mauern und Zäune zu ziehen, die verhindern,
dass Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten können, Brunnen
abzugraben, Menschen zu ermorden, sich und andere in die Luft zu
sprengen, zu kidnappen, einzuschüchtern, zu verhaften, zu foltern!“
„Natürlich sind durch die ewig bedrohte Lage die rechten, unerbittlichen
jüdischen Israelis bestärkt worden, doch im Gegenzug mehren sich die
Israelis,die den Frieden wollen und dafür auch auf die Strasse gehen,
gemeinsame Schulen und Dörfer bauen, Friedensprojekte hochziehen usw.“
„… und ich hoffe...doch ich sehe mein Ziel noch ferne, da solche
Extremisten wie Islamisten und Zionisten, diese, meine Vision von
friedlicher jüdischer Existenz, nicht teilen wollen!“
„Ich würde nach meinen Erfahrungen auf dieser Seite sagen: Einige Juden
haben leider gar nichts aus dem gelernt, was Juden angetan worden
ist...“
„Ein für allemal verbitte ich mir diesen dämlichen Antizionisten=
Antisemitenvergleich! Selbst mir platzt irgendwann der Kragen! Das ist
Verhöhnung meiner ermordeten Familie!“
Richtig böse wurde sie jedoch, wenn jemand ihre Kompetenz „als Jüdin“ anzweifelte:
„Herr A. hüten Sie ihre Zunge! Ich pflege täglich meine 85 Jahre alte
Mutter mit der tätowierten Nummer im Arm! Schämen sie sich!“
„Ich denke, ich sollte hier auf dieser Seite überhaupt nur jemanden
ernst nehmen, der ad 1 mal seinen Armeedienst bei der IDF abgeleistet
hat, ad 2 mindestens 2 Jahre in Israel gelebt hat und ad 3 überhaupt
Jude ist...Hallo .....ist hier jemand???? ach..ich vergass ad 4..mal in
Gaza war. Dann könnte ich nämlich jemanden ernst nehmen, der meinen
Horizont teilen kann ...“
Und auch von juristischen Auseinandersetzungen mit der Remagenerin ist
dringend abzuraten, denn: „Für Nachkommen von Shoaopfern gibt es nämlich
eine gesonderte juristische Klausel!“
Holla, die Waldfee! Eine „Jüdin“, die ihre aus dem Lager
gerettete Mutti pflegt, Kinder in Gaza therapiert, gegen Zionisten sowie
das „israelische Regime“ kämpft und für mehr Vertrauen in die Hamas
eintritt. Mit einem Wort: eine Superjüdin, die ihre Lektion aus der
„Lehranstalt Ausschwitz“ gelernt hatte.
Wobei sie so dick auftrug, dass ich mich fragte: Ist die Frau überhaupt
Jüdin? Oder ist sie nur in eine Rolle geschlüpft, wie es vor ihr schon
andere taten (z.B. Edith Lutz aus Sötenich in der Eifel, Binjamin
Wilkomirski aus der Schweiz), um der eigene Vita eine besondere Aura zu
verleihen?
Die Wachendorff’schen Erzählungen waren jedenfalls so abenteuerlich,
dass ich neugierig wurde und als erstes bei Google nachschaute.
Da wird Irena Wachendorff als deutsch-jüdische Lyrikerin und
Friedensaktivistin geführt, die von Remagen aus den ersten
arabisch-jüdischen Waldorfkindergarten „Ein Bustan“ in Israel fördert.
Doch hier kümmert sie sich nicht „nur“ um die Kleinsten, ganz im
Gegenteil! Auf dem Spiel steht vielmehr das das große Ganze, also „ihr
Land Israel“, das nur mit ihrer Hilfe vor dem Untergang bewahrt werden
kann: „Ich arbeite in Israel an der Verständigung zwischen Juden und
Arabern, und ohne diese Verständigung hat Israel keine Chance!“
Neuerdings kann die Rheinländerin bei der Rettung Israels auch auf die
Hilfe von Ruprecht Polenz zählen. Seine letzte Dienstreise nach Israel
Ende Januar / Anfang Februar d. J. nutzte er – vermutlich auf Bitte der
Lyrikerin hin – sogar dazu, den Kindergarten höchstpersönlich zu
besichtigen und sich mit den Kindern und Erzieherinnen fotografieren zu
lassen. Der offizielle Anlass der Reise war eine Sicherheitskonferenz,
an der Polenz aber nicht durchgehend teilnehmen konnte, weil er ja „Ein
Bustan“ besuchen musste. Wer, wenn nicht der Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses des Bundetages, ist für die jüdisch-arabische Verständigung
zuständig?
Indes kämpft Frau Wachendorff an der Heimatfront tapfer weiter für den
Frieden. So veranstaltet sie zuweilen Benefiz-Konzerte zugunsten „ihres“
Kindergartens, der sonst nur von ominösen NGOs subventioniert wird. Zu
diesem Zweck hat die Remagenerin sogar den Förderverein „Ein Bustan
Deutschland e.V.“ ins Leben gerufen. Vor lauter Spenden-Sammel-Stress
schaffte sie es jedoch erst eineinhalb Jahre nach der Gründung, diesen
auch ordnungs- und vor allem namensgemäß ins Vereinsregister eintragen
zu lassen.
„Ein Bustan“ ist nicht das einzige Projekt, das Frau Wachendorff
betreut. Sie demonstriere „3-4 mal im Jahr mit anderen jüdischen
Freunden bei der Sheikk Jarrah Demonstration“ in Ostjerusalem gegen den
Bau von Siedlungen, sorge dafür, dass Geigen nach Gaza geschickt würden
und unterstütze israelische Wehrdienstverweigerer. Und überhaupt: Sie
arbeite in Israel und habe dort einen zweiten Wohnsitz, jedes Jahr
verbringe sie sechs Monate in Haifa und spreche fließend Ivrit. Behauptet sie.
Doch Nahost-Auftritte stellen nur einen Bruchteil ihres Engagements dar.
Daheim, also rund um Remagen, ist sie immer dann zugegen, wenn tote
Juden wieder zum Leben erweckt werden. Ihre Gedichte, in denen es um die
Shoah geht, trägt sie bevorzugt an Gedenktagen vor. Mal in einer
ehemaligen Synagoge, mal in einem jüdischen Museum, mal in einer
Gedenkstätte. Sie tingelt durch Schulklassen, um den Kindern in ihrer
Eigenschaft als „Jüdin“ und Tochter Überlebender „Einblick in das
Schicksal jüdischer Familien im 3. Reich“ zu geben.
Trotzdem bleibt der rheinischen Pazifistin noch genug Zeit, um Vorträge
über Antisemitismus zu halten. Im Sommer 2011 referierte sie beim
Kreisverband der Linkspartei Ahrweiler über die Frage: „Was ist
antisemitisch? Was ist antizionistisch?“
Als „Jüdin und Tochter Shoah überlebender Eltern“ kann sie nicht nur
sauber zwischen Antisemitismus und Antizionismus unterscheiden, sie weiß
auch über die „Verschränkung von Zionismus und Faschismus“ Bescheid.
Bei einem Vortrag zu diesem Thema in einer Bonner Buchhandlung
berichtete sie darüber, wie sie selbst ins „Visier deutscher Zionisten,
Neokonservativer“ und Antideutscher geriet. Das sei quasi die
„Neonazitruppe unter den Juden“, weshalb die dauerverfolgte „Jüdin“
Polizeischutz sowie intensive Beratung durch den Verfassungsschutz
beantragte. Jedoch: Wie durch ein Wunder überlebte sie die Angriffe
hinterlistiger Zionisten und gab schon kurz darauf antizionistischen
Organen Interviews, in denen sonst nur erfahrenere „Israelkritiker“ wie
Hermann Dierkes oder Evelyn Hecht-Galinski zu Wort kommen.
Was mich immer wieder irritierte, war, dass Frau Wachendorff jeden
zweiten Satz mit „ich als Jüdin“ einleitete. Gleichzeitig wies sie aber
Nachfragen zu ihrer jüdischen Herkunft als Zumutung zurück, da „zu
intim“. Anstatt auf meine – harmlosen - Fragen zu antworten, teilte sie
mir lediglich mit, ihr Rechtsanwalt würde meine Email an die
Staatsanwaltschaft weiterleiten. So wissen wir bis heute nicht, wann und
wie viele Geigen sie nach Gaza geliefert und ob sie „ihren“
Kindergarten „Ein Bustan“ jemals live und in Farbe gesehen hat
Wer dagegen ihre private Facebook-Seite besucht, findet in 143
Foto-Alben eine immense Fülle an Fotos vor. Bilder von Heim und Garten
der Irena Wachendorff, Familienfotos der vergangenen (recht unjüdischen)
Weihnachtsfeste sowie unzählige Aufnahmen von jeder Lesung, die sie
hält und eines jeden Konzerts, das sie besucht. Seltsam, dass kein
einziges Foto Irena im Stuhlkreis von „Ein Bustan“, am Strand von Tel
Aviv, beim Demonstrieren in Ostjerusalem oder gar in Gaza zeigt. Und
das, obwohl sie doch dort arbeitet und sechs Monate pro Jahr in Haifa
verbringt!
Aber gut, vielleicht hatte sie einfach im entscheidenden Moment immer
nur den Fotoapparat vergessen. Was Frau Wachendorff hingegen nie zu
erwähnen vergisst, ist ihre heroische Teilnahme am Libanonkrieg 1982, die sie ihren Facebook-Freunden immer wieder um die Ohren haut:
„Nein, mein Vater war orthodox! Er hat Zeit seines Lebens nie etwas vom
Zionismus gehalten und meine Opposition war die, dass ich bei der IDF
war.“
„Herr W., Ich war im 1. Libanonkrieg dabei...Sie auch?“
„Mit so einer Riege [A.d.R. kritische Diskutanten] sollte man sich nicht
abgeben! (...) Keiner von denen war, wie ich, in Israel im ersten
Libanonkrieg bei der israelischen Armee und keiner macht die Arbeit in
Israel, die ich leiste! Fanatiker und Feiglinge öden mich an!“
„Sie, gerade SIE, der im Gegensatz zu mir, keinen Armeedienst in der IDF
abgeleistet hat und nie im Gaza war, wie ich...SIE sollten jetzt mal
ganz still sein! Und SIE , Herr G. ...WO haben SIE für Israel ihren
Toches hingehalten außer im Gelabergefecht?“
Eigenartig bloß, dass der IDF-Veteranin ihr Gastspiel an der Front sonst
keinerlei Erwähnung wert ist – weder in ihrem eigenen
Wikipedia-Eintrag, noch auf ihrer Website. Dort lesen wir stattdessen:
„Irena Wachendorff, geboren 1961, studierte Violine an der
Musikhochschule Köln-Aachen bei Hariolf Schlichtig. Von 1981-86 trat sie
am Stadt-Theater Aachen in Bühnenmusik- und Sprechrollen auf.“ Und:
„Während des Studiums arbeitete sie am Stadttheater Aachen in
Bühnenmusikrollen“
Beeindruckend, gar eine logistische Meisterleistung! Wie hat die
Remagenerin es nur geschafft, ihren „Toches“ gleichzeitig im Libanon, in
der Kölner Uni und auf der Aachener Bühne hinzuhalten? Ich fragte beim
Pressesprecher des israelischen Militärs nach, ob eine Irena
Wachendorff (zugleich ihr Mädchenname) jemals in der Armee gedient habe.
Die Antwort kam umgehend und war eindeutig: „Der Name Wachendorff ist
nicht bekannt“.
Als ebenso unbekannt entpuppte sie sich allerdings auch innerhalb der
jüdischen Community rund um Bonn und Köln, wo ich spontan Erkundigungen
einholen ließ. Merkwürdig, da sie doch ihr „Judentum, seine Botschaft,
den Talmud und ihre Mischpoche liebt“ und zudem Vorbeterin in ihrer
jüdischen Gemeinde sein will.
Zusätzlich erweckte ein im „Bonner Generalanzeiger“ erschienenes
Portrait über die „Remagener Dichterin Irena Wachendorff“ mein
Interesse. Demnach sei der „munteren Bratschistin“ ihr „Engagement in
der Kölner liberalen jüdischen Gemeinde Gescher La-Massoret“ besonders
wichtig. Auch gegenüber dem Berliner Komponisten Max D. beharrte sie
mehrfach darauf, Mitglied in eben jener Kölner Gemeinde zu sein. Also
befragte ich Rabbiner Dr. Walter Rotschild, der zufällig genau diese
jüdische Gemeinde betreut. Doch von Irena Wachendorff hatte er noch nie
etwas gehört oder gesehen. Ebenso wie die Gemeindeleitung, die von einem
herausragenden „Engagement“ der „Vorbeterin“ bislang nichts mitbekommen
hatte. Stattdessen hieß es:
“Hallo Frau Pyka,
I. Wachendorff war niemals Mitglied der jüdischen liberalen Gemeind
Gescher laMassoret, sie bezieht lediglich den Gemeinderundbrief (€36,00 /
Jahr für Nichtmitglieder) In den letzten 5-7 Jahren habe ich sie weder
beim Gottesdienst als Gast gesehen, noch bei anderen
Gemeindeaktivitäten. Da alle Gäste vor dem Gottesdienstbesuch
schriftlich Kontakt mit uns aufnehmen müssen, wissen wir genau, wer
jeweils bei uns zu Besuch war.“
Da hatte die „Tochter Überlebender“ doch tatsächlich ein
Aufnahmeverfahren, bei dem man die jüdische Abstammung nachweisen muss,
mit einem Abo verwechselt. Na, auch das kann mal passieren. Vor allem,
wenn man nicht nur bratscht, dichtet und sich von „extremistischen
Juden“ verfolgt fühlt, sondern nebenbei auch noch die gesamte Familiengeschichte auf Facebook verbreiten muss, was die rheinisch-jüdische Frohnatur gern und oft tut:
“Gewiss wäre meine Mutter lieber beim BdM gewesen, sehr viel lieber,
anstatt 3 Jahre im Versteck und 4 Monate in Auschwitz, um dort dann mit
15 Jahren halbtot befreit zu werde(als einzige Überlebende einer großen
Familie) und auch mein Vater hätte ein nettere Jugend verbringen können
als die Verschickung 1936 nach England. Und ich hätte dann Grosseltern
gehabt und Tanten und Onkel und so weiter“
„Der Kreisauer Kreis hat meine Mutter versteckt gehalten bis zum
Auffliegen durch das missglückte Attentat. Deshalb war meine Mutter nur
wenige Monate im KZ und wurde durch die Russen befreit und überlebte.
Hätte es diese deutschen Menschen nicht gegeben, die ihr Leben riskiert
haben, gäbe es mich heute nicht!“
„Sie [Mutter] und mein Vater haben mir immer gesagt: “Wenn es überhaupt
etwas gibt, was wir erkennen könnten in dieser unendlichen Qual, dann
ist es die Unabdingbarkeit zu erkennen, dass Mitgefühl und Güte die
Grundvoraussetzungen dafür sind, dass niemals mehr Menschen so etwas
angetan wird” In meinen Gesprächen mit vielen anderen, die wie ich,
Kinder von Überlebenden sind, habe ich erfahren können, dass dieser Satz
ein Leitmotiv durch unser aller Erziehung war.“
„Wer eine Kindheit hatte, in der Auschwitz allgegenwärtig war (...) ist
leider nicht sehr sekundär...Mein Vater starb letztes Jahr mit 88, meine
Mutter ist 82. Ich wuchs mit ihren Nummern im Arm auf..und meine Sicht
der Dinge ist genau DADURCH so, wie ich heute mich einbringe....“
„Die Familie meiner Mutter lebte Schlesien, und dort kam es regelmässig
auf dem Land zu Pogromen in der Form von Übergriffen der Bauern auf
Häuser von Juden, die angezündet wurden und jüdische Menschen wurden aus
Nichtigkeiten halb tot geprügelt. Die Familie meiner Mutter blieb
deshalb nie Lange vor Ort, sondern zog immer wieder um, bis meine
Grosseltern nach Breslau zogen, weil sie sich dort irrtümlicher Weise
“sicherer” fühlten. Die Familie meines Vaters siedelte sich im Rheinland
an und dort haben sie und alle anderen Familien jedes Jahr ihre Häuser
gesichert vor den jährlichen Osterpogromen. Die katholische Bevölkerung
zog nämlich gerne um’s Eck in der Osternacht und randalierte mehr oder
weniger heftig vor jüdischen Häusern, um ihren Unmut über die “Ermordung
Jesu durch die Juden” Ausdruck zu verleihen.“
„Mein Vater, der Zadek war, hielt es damit, dass aus der Schrift
hervorgeht, dass es H’schems Wille sei, dass wir in der Diaspora leben.“
„Mein Vater war von 1950 bis Mitte der 70ziger Jahre als Berater des
Rabbiners tätig, eine reformierte Gemeinde naürlich, damals gab es ja
noch keine liberalen Gemeinden.“
„Mein Vater starb letztes Jahr an Alzheimer...er war ein gelehrter, ein
weiser und ein gütiger Mensch… (…) Mein Vater war ein wirklich
wundervoller Mensch! Gütig, gerecht, liebevoll, belesen,
klug...Bundesverdienstkreuzträger zu recht!“
Parallel zu seinen Tätigkeiten als Berater eines Rabbiners und Zaddik
(also ein besonders frommer und rechtschaffender Jude!) soll Herr
Wachendorff seiner Tochter zufolge allerdings auch „das
Pflanzenschutzamt geleitet“ haben und als „Forstwissenschaftler“ aktiv
gewesen sein – wofür er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. Nicht
schlecht. Die Fähigkeit, den eigenen „Toches“ an mehreren Fronten
gleichzeitig hinzuhalten, scheint wohl in der Familie zu liegen.
Zeitgleich erweckte allerdings einer ihrer älteren Facebook-Einträge
mein Interesse. Dort meldete die „muntere Bratschistin“ am 16. Mai 2009:
„My father passed away last night after a long illness“. Und vier Tage
später hieß es an gleicher Stelle: „So many things to do...funeral...“
Merkwürdig, ein frommer Zaddik hätte gemäß jüdischer Bestattungsregeln
zu dem Zeitpunkt schon längst beerdigt sein müssen.
Die ganze Geschichte rund um den mit Orden dekorierten Zaddik erschien
mir nicht koscher. Also erkundigte ich mich im Archiv des „Bonner
Generalanzeigers“ nach einer entsprechenden Traueranzeige. Dort wurde
man gleich fündig, binnen weniger Minuten lag die Anzeige in meinem Postfach.
Ich erfuhr, dass ihr Vater, der am 16.05.2009 verstorbene Raymund
Wachendorff, Leitender Landwirtschaftsdirektor a.D. und Träger des
Bundesverdienstkreuzes am Bande, am 26.05.2009 beigesetzt wurde. Der
sehr unjüdischen Urnenbestattung auf dem nicht-jüdischen Bad Godesberger
Burgfriedhof ging eine Trauerfeier in der evangelischen
Marienforsterkirche voraus. Ganz so, wie es sich für einen frommen
Zaddik gehört. Unter den Trauernden befanden sich neben Witwe Barbara
Wachendorff (geborene Schmack) auch die drei Kinder, zu denen ebenfalls
Tochter Irena Wachendorff zählt, die mitsamt ihres Ehemanns Ulrich
Schütte erschien. Besonders hervor stach allerdings die eigens von ihr
verfasste Abschiedslyrik, die ebenfalls auf der Traueranzeige platziert
wurde.
Doch damit nicht genug. Kurz darauf entdeckte ich im „Journal für
Kulturpflanzen“ einen Nachruf auf Raymund Wachendorff, der von Prof. Dr.
Böhmer, Leiter des Pflanzenschutzamtes in Bonn, verfasst wurde. Hier hieß es:
„Der ehemalige Leiter des Pflanzenschutzamtes der Landwirtschaftskammer
Rheinland, leitender Landwirtschaftsdirektor Raymund WACHENDORFF, ist am
16. Mai 2009 im Alter von 88 Jahren verstorben. WACHENDORFF wurde 1921
in Torgau an der Elbe geboren. Jugend und Schulzeit verlebte er in Bad
Godesberg im Rheinland, ehe er 1940 zum Kriegsdienst eingezogen und im
Jahre 1945 als Offizier entlassen wurde. (…) Sein Fachwissen hat
WACHENDORFF (…) im Kuratorium für Waldarbeit und Forsttechnik und hier
speziell in den Arbeitsring „Chemische Unkrautbekämpfung“ eingebracht“
Da schau‘ her. Wie konnte ihr Vater denn als „Jude“ vor den Nazis nach
Großbritannien fliehen, und gleichzeitig in der Wehrmacht zum Offizier
aufsteigen? Nein, spätestens jetzt schien mir die fantasievolle
Dichterin, die den eigenen Wehrmachtspapa in einen verfolgten Juden
umdichtete, wirklich nicht mehr ganz dicht zu sein. Wie sagte sie noch
so schön? „Ich weiss um das alles, was mein wundervoller Vater mich
lehrte.“ Stimmt – früher waren’s die Juden, heute sind’s die Zionisten.
Nun blieb nur noch die Mutter. Würde eine Jüdin, die „mit 15
Jahren halbtot als einzige Überlebende einer großen Familie aus
Auschwitz befreit wurde“, wohl wirklich kurz darauf einen ehemaligen
Wehrmachtsoffizier ehelichen? Nach allem, das sie erlebt und erlitten
hatte? Schwer vorstellbar. Auch eine Recherche in der Yad Vashem –
Datenbank, wo immerhin vier der sechs Millionen jüdischen Shoah-Opfer
gelistet sind, ergab hinsichtlich des Mädchennamens der Mutter (deren
gesamte Familie angeblich umkam!) keinen einzigen Treffer.
Daraufhin kontaktierte ich Prof. Dr. Böhmer vom Bonner
Pflanzenschutzamt, der besagten Nachruf verfasst hatte. Er kannte
Raymund Wachendorff, seinen ehemaligen Vorgesetzten, durchaus gut. Auch
an dessen jüngste Tochter Irena konnte er sich erinnern. Auf die Frage
hingegen, ob Herr Wachendorff eine Auschwitz überlebende Jüdin
geheiratet hätte, reagierte er höchst erstaunt. Davon habe er noch nie
gehört, das könne er keinesfalls bestätigen, obwohl er die Familie
kennt.
Jetzt war die Sache klar. Trotzdem ließ mich die „Mutter mit der Nummer
im Arm“ nicht ganz los, weshalb ich Barbara Wachendorff, die Mutter von
Irena, doch noch anrief – sie musste es ja schließlich am besten wissen.
Beim Stichwort „Auschwitz“ reagierte die nette Dame sofort: „Auschwitz?
Nein, ich nicht. Aber mein Mann, aber der ist schon gestorben.“ Aha,
Herr Wachendorff war also in Auschwitz. Aber nachweislich nicht in der
Häftlingskluft, dachte ich mir und bedankte mich für das überaus
informative Gespräch.
Es gab Zeiten, da ließen sich Juden taufen, um dem Antisemitismus
ihrer Umwelt zu entgehen. Heute hingegen müssen Nicht-Juden lediglich
einen Gemeindebrief abonnieren und die eigene Vita entsprechend
aufpeppen, um dann „als Jude“ dem eigenen Judenknacks zu frönen. Ein
kaltschnäuziges Verfahren, wie geschaffen für Aufschneider und
Hochstapler, die ein Second Life in der Realität leben möchten. Aus dem
väterlichen Wehrmachtsoffizier wird mal eben ein verfolgter Jude, aus
der Mutti eine Auschwitzüber-lebende und aus ihr selbst eine
IDF-Veteranin, und schwupps, schon avanciert sie als „jüdische
Israelkritikerin“ zur Jüdin der Herzen. Bejubelt wird sie dabei nicht
nur von Salafisten, Esoterikern und anderen Antisemiten, sondern auch
von Ruprecht Polenz, dessen blinder Glaube an das rheinisch-jüdische
Alibi ihm die Sinne offensichtlich komplett vernebelt hat.
Derart gestärkt, mit größtmöglicher Distanz zur eigenen Herkunft und
kritikdicht in ein jüdisches Kostüm verpackt, geht die Show erst richtig
los: Mal tadelt sie Juden, die ihr zufolge aus Auschwitz nichts gelernt
hätten, mal rät sie ihnen, sich „nicht immer hinter den Shoaängsten zu
verbergen“, und wenn sie dann noch Zeit hat, diktiert sie ihnen, wie sie
sich gefälligst im eigenen Land und insbesondere gegenüber den Arabern
zu benehmen haben. Nicht, dass die Juden noch rückfällig werden!
Untermauert wird die Posse durch die imaginäre Vaterfigur des Zaddik und
Holocaustüberlebenden, der „sich diesen zionistischen Wahnsinn gar
nicht angetan“ hätte, sowie durch ein Gastspiel bei der Israel Defense
Force, das sich nur in Frau Wachendorffs Kopf abgespielt hat.
Im letzten Akt serviert uns die rheinisch-nicht-jüdische Frohnatur noch
die „Mutter mit der Nummer im Arm“. Ihr kommt in der Wachendorff‘schen
Freak-Show eine wichtige Aufgabe zu: Die Tochter gegen den Vorwurf, eine
Antisemitin zu sein, abzuschirmen – und Kritiker verstummen zu lassen.
Das Ganze ist ein Grusical made in Germany, das nur inszenieren und
beklatschen kann, wer selbst Kostümjude, Antisemit oder beides ist.
Zuerst am 26.06.2012 auf der "Achse des Guten" erschienen.
Weiterführende Links:
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/noch_ne_tochter/
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/ruprecht/
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Kommentare zum Post (Atom)
Gut recherchierte Fakten und dazugehörige, sorgfältig geschriebene Texte sind sozusagen zeitlos, sie sind auch nach sieben Jahren so lesenswert wie am ersten Tag. Danke.
AntwortenLöschenMit freundlichen Grüßen
Edward von Roy