Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es wieder mal vermasselt. Während
einer Rede im Bundestag leistete sie sich vorige Woche erneut einen
Patzer. Beileibe nicht der erste in ihrer Amtszeit. Um den Euro ging es,
die Schuldenkrise sowie stabilitätsfördernde Maßnahmen. Doch dann
sprach sie plötzlich vom „D-Mark-Rettungsschirm“ – und stapfte damit
geradewegs in ein Fettnäpfchen. Nur ein peinlicher Versprecher, oder doch ein beunruhigendes Signal?
Vielleicht kann Frau Merkel ja gar nicht zwischen Euro und D-Mark
unterscheiden, orakelt es nun in der „Washington Post“, während die „New
York Times“ der Kanzlerin die Fähigkeit zum Regieren schon völlig
abspricht, die „Daily News“ den nötigen Ernst nicht mehr erkennen kann
und das „Wall Street Journal“ schadenfroh eine Liste von Angies dümmsten
Ausrutschern erstellt.
Wie, davon haben Sie gar nichts mitbekommen? Kein Wunder, denn diesen
Vorfall gab es nie. Was sich hingegen wirklich ereignete, war das
gleiche in Grün und darauf folgende kollektive Schadenfreude anlässlich
eines Versprechers von Mitt Romney. Der nämlich „wollte
Mitgefühl ausdrücken, doch er leistete sich einen Patzer. Der
US-Präsidentschaftskandidat verurteilte den Anschlag auf einen
Sikh-Tempel in Wisconsin – nannte die Opfer aber mehrfach „Scheichs“
statt „Sikhs“.
Tja, schon blöd, dieser Ami – denkt es in deutschen Redaktionsstuben,
wo man sich ohnehin schon darauf spezialisiert hat, Romney’sche
Fettnäpfchen dort aufzustellen, wo gar keine sind. Denn Mr. Romney ist
nicht nur Amerikaner, sondern auch noch Republikaner und Multimillionär
dazu, weshalb er alles mitbringt, um den deutschen Blutdruck in
bedenkliche Höhen schnellen zu lassen. Insofern bietet es sich nicht nur
an, aus einem Versprecher eine Nachricht zu machen, sondern jeden
Aussetzer genauso genüsslich auszuschlachten, wie es ein Kannibale mit
seinem Opfer tun würde. Belege dafür finden wir nicht nur in der Fotostrecke der „Süddeutschen Zeitung“, sondern u.a. auch in der „Frankfurter Rundschau“ und auf „Spiegel Online“.
Nun ist das hiesige Ami-Bashing eine Art Volkssport, der freilich
genauso alt wie beliebt ist. Der aufgeblasene Romney-Hype offenbart
allerdings noch dazu die typisch deutsche Kleingeistigkeit – verbunden
mit dem dringenden Bedürfnis, dem gemeinen Amerikaner bei jeder sich
bietenden Gelegenheit ans Bein zu pinkeln. Frei nach dem Motto: Die da
drüben haben McDonald’s, wir aber haben Goethe. Kultur sticht
Materialismus und Macht.
Dass jedoch selbst Goethe das Land der Dichter und Denker nicht davor
bewahren konnte, zwei Weltkriege vom Zaun zu brechen und dadurch
Millionen Menschen um ihr Leben zu bringen, stört den Deutschen ein
wenig. Noch mehr wurmt ihn, dass ausgerechnet die USA ihn davon abhalten mussten, was wiederum tiefe Komplexe hinterließ.
Seitdem lässt sich obsessiver Kompensationsdrang beobachten. Indem
man zwanghaft das kleinste Härchen aus der US-Suppe fischt und wie Lehrer Lämpel wild mit dem Zeigefinger wedelt, kann man sich gleichzeitig so wunderbar überlegen fühlen.
Dazu reicht bereits ein simpler Versprecher. Seht her, „wir
Deutschen“ waren zwar keine Sängerknaben, aber Bildung und Kultur, die
haben wir wenigstens! Der Deutsche benimmt sich wie ein arbeitsloser
Germanist, der insgeheim nicht damit klar kommt, dass Daniela
Katzenberger mehr Erfolg als er hat und deshalb vom Sofa aus jeden
Syntax-Fehler der Blondine abschätzig kommentiert.
Insofern möge man sich doch mal vorstellen, was wohl geschähe, wenn
das eingangs genannte Szenario tatsächlich einträte. Wie groß wäre die
deutsche Empörung, wenn amerikanische Journalisten über einen
Versprecher der Kanzlerin lästern würden? Aber nein, lassen wir das.
Denn das Grundrecht auf Kleingeistigkeit gilt schließlich nur für
Dichter und Denker.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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