Warum Freud einen Facebook-Account gehabt hätte

Preisfrage: Was haben Ilse Aigner, der Arabische Herbst (ehemals Frühling), Profilneurosen und Sigmund Freud gemeinsam? Auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten hingegen könnte man feststellen, dass jede Person und jedes Phänomen eine spezifische Verbindung zu Facebook unterhält: Während der Verbraucherschutzministerin der Umgang mit deutschen Daten nicht behagt, zettelte die arabische Jugend online eine Revolution an und setzte sich so in angenehmer Weise von all jenen Narzissten ab, die auf Facebook ihre Komplexe kompensieren.

Und Freud? Nun, der hatte zwar mit Facebook nix am Hut, hätte aber sicher dennoch seine Freude daran gehabt. Wer sich schon immer mal ein Bild vom Innenleben einer Anstalt machen wollte, der kann sich auch bei Facebook anmelden. Zwar existieren dort auch nicht mehr Spinner als in der realen Welt, allerdings treten eben jene Gestalten dort auf kleinstem Raum in Heerscharen auf, was sie zweifellos unübersehbar macht. Und nein, damit sind nicht diejenigen gemeint, die täglich ihr Mittagessen fotografieren, die Frage „Was machst du gerade?“ wörtlich nehmen oder das Netzwerk mit einem Tagebuch verwechseln. Die sind kein Fall für die Couch, und auch nicht für Frau Aigner, weil der Striptease freiwillig stattfindet.



Die Rede ist vielmehr von solchen Wesen, die mangels Privatleben und dank der vielfältigen Profilierungsmöglichkeiten, die soziale Netzwerke bieten, jeden Anflug von Vernunft über Bord werfen. So verfügt beispielsweise der klassische Facebook-Psycho über mehrere Identitäten beziehungsweise Fake-Accounts, die er wahlweise und additiv ins Spiel bringt. Das hat natürlich insofern Vorteile, als man sich für Unterhaltungen keine Freunde mehr suchen muss, sondern soziale Interaktion einfach durch ein gepflegtes Selbstgespräch (mal mit zwei, drei oder fünf Alter Egos) ersetzen kann. Und das natürlich nicht nur auf Pinnwänden, sondern auch in eigens gegründeten Gruppen, wo allerhöchstens zwei reale Personen ganztätig mit ihrer gesamten Fake-Armada debattieren und sich die Köpfe einschlagen.

Überhaupt sind Gruppen eine großartige Angelegenheit. Vor allem dann, wenn sie sich zu Höherem berufen fühlen. So geschehen im Falle einer Gruppe, die sich gegen die Diskriminierung von Frauen* einsetzt – was durchaus löblich ist, allerdings mit der Zeit durchaus skurrile Formen angenommen hat. Denn irgendwie hapert es dort mit der Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion. So sehen sich die Mitglieder nicht etwa als FB-Nutzer, sondern als tapfere Cyber-Soldaten und wähnen sich im Rahmen ihrer Kampfeinheit (= die besagte Gruppe) in ständiger Alarmbereitschaft.

Klar, irgendwo herrscht immer Krieg – zum Beispiel auf der FB-Seite eines Politikers, im Forum der „Tagesschau“ und überall, wo es um Frauen geht. Dort wiederum haben sich sämtliche Gruppenmitglieder pünktlich zum argumentativen Gefecht einzufinden – egal, ob man zum Essen verabredet ist oder ein Date hat, die militärische Pflicht hat absolute Priorität. Denn in solchen Dingen akzeptieren die Gruppenadmins, deren Duktus unweigerlich an Kasernenton erinnert, keine Ausreden. Wenn sie nicht gerade darauf warten, dass ihre Befehle von ausnahmslos jedem Gruppenmitglied mit den Worten „Yes Sir, yes!“ quittiert werden oder Schichtpläne (wer wann online zu sein hat) produzieren, erstellen sie auch gerne sogenannte Sicherheitsdossiers. Die enthalten dann erheiternde und zugleich verpflichtende Anweisungen, wobei der Rat an alle Mitglieder, sich eigens für solche Einsätze einen neuen Computer zu beschaffen (aus Sicherheitsgründen!), nur eines von vielen Highlights darstellt.

Abgesehen davon ist und bleibt Facebook natürlich ein Panoptikum, in dem sich Irre aller Couleur – seien es Verschwörungspraktiker, Esoteriker, Stalinisten oder sogenannte „Holocaustforscher“ – begutachten lassen. Jeder findet sein Plätzchen, und manch einer verwechselt es über kurz oder lang mit dem realen Leben. Das merkt man vor allem dann, wenn „Freundschaften“ oder „Entfreundungen“ zum Staatsakt stilisiert werden, während Max Mustermann von nebenan im Netz ein second life als Rockstar aufbaut oder erwachsene und gebildete Menschen sich freiwillig einem Gruppendiktat unterwerfen.

Nun ist es freilich jedem selbst überlassen, ob er in seiner Freizeit Topflappen häkelt oder auf Facebook zum Protagonisten der eigenen Freakshow avanciert. Gegen Letzteres ist allein deshalb nichts einzuwenden, weil so vernunftbegabten Wesen Einblicke in die Abgründe der menschlichen Psyche gewährt werden, die man sonst nicht mal am Stammtisch gewinnen würde. Was zweifellos ein Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Welt, in der wir leben, ist. Und Freud hätte vielleicht gesagt: „Facebook ermöglicht es dir, mit den Psychopathen außerhalb deines Lebens in Verbindung zu treten oder gleich selbst einer zu werden.“

*Thema/Zweck wurde von der Autorin geändert



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen. 

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