Nachhaltige Tanzflächen und grüne Kuriositäten

Abends halb zehn in San Francisco. Aus einem Gebäudekomplex dröhnt Musik, davor formt sich eine Vielzahl junger und nicht mehr so junger Menschen brav zu einer Schlange. Für einen Freitagabend nichts Ungewöhnliches, besonders hier im „SoMa-District“, wo das Nachtleben „pulsiert“, wie man so schön sagt. Die eine durchforstet ihre Handtasche noch nach ihrer „ID“, der andere wippt betont lässig mit dem Fuß, und ein paar Teenie-Mädchen, die offenbar zu jung waren, staksen auf ihren Plateau-High-Heels bedröppelt von dannen.

Fast habe ich die abendliche Versammlung umschifft, da ertönt es plötzlich: „So you don’t wanna join us?“ – direkt hinter mir. Und während ich (die amerikanische Offenheit mittlerweile gewohnt) mich noch umdrehe, spricht die unbekannte Stimme, die vermutlich zu einem Studenten gehört, begeistert weiter. Ich würde mich direkt vor dem grünsten Nachtclub der Welt befinden, meint er (und hat damit fast recht). Ob ich denn nicht Lust hätte, den „sustainable dancefloor“ zu sehen? „Sustainable what?“, frage ich ungläubig bis verblüfft nach. Natürlich nicht, ohne „Sorry, I’m from Germany“ hinzuzufügen, was in den USA meist als Ticket für eine spontane Informationsveranstaltung durch Einheimische dient.

Und so erfahre ich, dass ich gerade direkt vor dem „Temple Club“ stehe. Einem Part des „Zen Compounds“, also des besagten Gebäudekomplexes, wo alles – vom Restaurant über die Sushi-Bar bis hin zur Großraumdisco – grün, nachhaltig und umweltbewusst ist. Einen „edutainment complex“ nennen die Gründer das. Gemüse und Salat werden auf der Dachterrasse herangezüchtet, und das, was davon übrig bleibt, eben dort kompostiert. Gleich neben dem Bienenstock, quasi der hauseigenen Imkerei, versteht sich.

Dass der Gast seinen Drink hier auch nicht im Glas, sondern im recyclebaren Becher serviert bekommt, verwundert daher nicht. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Toiletten mit Regenwasser spülen und gebrauchtes Bratfett letztlich an einem Ort landet, wo es zu Bio-Diesel verarbeitet wird. Und der nachhaltige Dancefloor? Nun, der bezieht seinen Strom nicht aus der Steckdose, sondern aus der Ausdauer der Gäste, die darauf rumhopsen. Die darunter liegenden Generatoren wandeln die durch Bewegung erzeugte Energie in Strom um, der wiederum zur Beleuchtung des Bodens dient.

Während hier einst berauschte Hippies Liebe und Frieden predigten, zappelt man also heute für die Umwelt. Den Öko-Bio-Nachhaltigkeits-Wahn für einen europäischen oder gar deutschen Import zu halten, wäre allerdings grundfalsch. Viele Landstriche, Metropolen und Ortschaften der USA ergrünen schon seit Jahrzehnten. Doch im Vergleich dazu rangiert San Francisco, das 2011 zu Nordamerikas „greenest city“ gekürt wurde, stets auf den vordersten Plätzen. Kaum ein Supermarkt, der sich nicht mit dem Attribut „organic“, also bio, schmückt. Kaum jemand, der nicht brav seinen Müll in mindestens fünf Tonnen aufteilt. Und nahezu kein Geschäft mehr, das noch Plastiktüten anbietet.

Wo Bushaltestellen mit Solar-Dächern bestückt sind und damit selbst Energie für Beleuchtung und Anzeigetafel erzeugen, sind auch grüne Restaurants, Hotels und Taxis nicht weit. Von „green buildings“, also besonders nachhaltigen Gebäuden, mal ganz zu schweigen. Und wer es für den Höhepunkt der Umweltschonung hält, die Stadt spazierend oder radelnd zu erkunden, der weiß offenbar noch nicht, dass Alcatraz mittlerweile auch per „green ferry“ zu erreichen ist.

Kurz: San Francisco ist der Ort, an dem die Träume der Grünen wahr werden – ein Paradies für Claudia Roth, ein Schlaraffenland für Renate Künast, und generell ein Eldorado für all jene, die grüne Ideen gerne mit fremden Geldern bezahlen. Denn dass der ganze Spaß zum Teil auch großzügig vom Staat subventioniert wird, soll an dieser Stelle freilich nicht verschwiegen werden. Genauso wenig wie die Frage, ob, und wenn ja, wie sinnvoll und notwendig die ein oder andere Maßnahme ist.

Doch unabhängig davon, was man von nachhaltigen Tanzflächen und Supermärkten, in denen man Nicht-Bio-Milch vergeblich sucht, hält, bleibt festzustellen: Die Art und Weise, wie man in San Francisco grün lebt, ist dann doch um einiges sympathischer als „German Angst“, Baumkuschler, besessene Atomkraft-Gegner, Reformhaus-Muttis, Spießigkeit und Jürgen Trittin zusammen. Auf den ökologischen Fußabdruck achtet man hier immerhin kreativ oder zumindest unverkrampfter. Und das ist ja schon mal was.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen. 

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