Lasst die Barbie im Dorf!

Der Berliner an sich ist ein kurioses Wesen. Dass er beispielsweise voller Inbrunst in den Spätzlekrieg zieht, während in unmittelbarer Nähe ein steuersubventionierter Flughafen seiner erfolgreichen Nicht-Fertigstellung entgegensieht, mag den Nicht-Berliner durchaus verwirren. Genauso wundert man sich aber auch über die berlinerische Lust an der Demo. Egal ob es um die Legalisierung von Cannabis, das geltende Asylrecht, Gentrifizierung, Fluglärm (den aus Tegel, versteht sich) oder steigende Mieten geht – der Berliner ist stets auf Achse.

Und als hätte er nicht schon genug um die Ohren, gibt es nun einen neuen Anlass, der die Einwohner auf die Straße treibt. Dieser Anlass wiederum ist knallpink, erstreckt sich auf 2500m² und wirkt wie eine zuckerwattierte Wolke sieben für junge bis sehr junge Damen: das Barbie Dreamhouse am Alexanderplatz. Ein Ort, der Widerstand hervorruft. Denn dort können Mädchen nicht nur Barbiepuppen bestaunen, sondern auch allerhand weitere Risiken eingehen. Zum Beispiel „virtuelle Cupcakes kreieren“, den „begehbaren Kleiderschrank der Stilikone“ erkunden, den Barbie-Schönheitssalon aufsuchen und zu allem Übel auch noch auf dem Barbie-Catwalk die Hüften schwingen. Entsetzlich!

Ein Glück jedoch, dass der ein oder andere Berliner schon im Vorfeld gegen den pinkifizierten Sündenpfuhl mobil macht. Denn schließlich trägt der Teufel nicht nur Prada, er steckt auch im Detail. Während ein Sammelsurium aus Grünen, Linken und „Occupy Barbie Dreamhouse“-Aktivisten vor Ort zur Demo anmarschiert, mahnen besorgte Kolumnisten und Frauenexperten auf allen Kanälen zu erhöhter Vorsicht: Höre, lieber Besucher, dieses scheußliche Haus ist ein Symbol der Frauenfeindlichkeit!

Nun ist sie ja zunächst sehr löblich, die Sache mit den Frauen, den Feinden und dem Engagement. Zwar könnte man sich auch darüber wundern, dass es ausgerechnet die Barbie, und nicht zum Beispiel das Patriarchat in fernen Ländern ist, das die Berliner Aktivisten zu Höchstleistungen motiviert – und fragen, warum all diese Leutchen sich nicht auch mal vor der saudischen, der iranischen oder der ägyptischen Botschaft einfinden. Aber gut, Berlin ist eben nicht Mekka, und irgendwie muss frau ja auch Prioritäten setzen. Erst der Kitsch, dann die Steinigung.

Und deshalb geht es munter weiter mit den Risiken und Nebenwirkungen, die im Barbie-Haus so auflauern. Denn Barbie, die für gewöhnlich Size zero trägt, gefährdet längst nicht nur die Gesundheit. Auch das pinke Rollenbild bringt sie alle um den Schlaf. In dieser Welt könnten Frauen nur zwischen zwei Laufbahnen – Model oder Popstar – wählen, gibt etwa ein Herr Koschitzki von den Jungen Linken zu bedenken. Dass Heidi Klum und Lady Gaga durchaus emanzipierte Frauen sind – noch dazu wesentlich eigenständiger als die handelsübliche Prinzessin, die vor noch gar nicht allzu langer Zeit bei kleinen Mädchen als beliebtes Berufsbild galt –, ist ihm offenbar entgangen. Denn schließlich geht es ja ums Prinzip, oder, wie „Occupy Barbie Dreamhouse“ mahnt:

Im Barbie Dream House wird ein Bild von Frauen repräsentiert deren einzige Aufgabe es ist besonders schön zu sein und sich um dem Haushalt zu kümmern. Wenn Barbie eine echte Frau wärer könnte sie weder aufrecht stehen noch überleben, aufgrund ihrer Proportionen. Hier wird bereits in der Kindheit ein Rollenklischee gefestigt, was sich dann durch das ganze Leben zieht. [Rechtschreibfehler übernommen]

Jawohl, auch das musste mal gesagt werden. Wer heute sein Kind ins Barbie-Haus schickt, stellt die Weichen und macht sich mitschuldig. Schon ein einziger Besuch führt unweigerlich ins Verderben. Kleine Mädchen können sich gar nicht wehren, bereits jetzt sind sie dazu verdammt, in ein paar Jahren als anorektische Hausfrau mit Schuhtick zu enden. Und alles nur wegen Barbie.

Daraus folgt also, dass Mädchen schlicht zu doof sind, um zwischen Realität und Barbie-Haus zu unterscheiden. Sie sind auch nicht dazu fähig, zu erkennen, dass Barbie eine Puppe ist. Natürlich verfügen sie ebenso wenig über fürsorgliche Mütter, die ihnen vorleben und erklären, dass Frauen innerhalb der westlichen Welt studieren, arbeiten, heiraten, tun und lassen können, was und wen auch immer sie wollen. Und auch später, wenn sie mal größer sind und theoretisch zwischen einer Karriere als Ingenieurin oder Designerin wählen können, werden sie aufgrund frühkindlicher Prägung nicht vom Berufsziel Barbie ablassen. Nein, Mädchen sind im feministischen Weltbild a priori unterbemittelte Wesen, bei denen schon eine Barbie reicht, um sie vollends vom rechten Weg abzubringen – und das lebenslänglich. Einmal pinkifiziert, immer pinkifiziert.

Insofern haben all die Mädels von der Spree noch mal Glück gehabt, dass es noch genug engagierte Berliner gibt, die sie stellvertretend vor der pinken Gefahr schützen und wissen, was gut für sie ist. Und Barbie selbst? Nun, wäre sie tatsächlich eine Frau, sie würde sich vermutlich doch recht schnell vom Acker machen.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.

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