Von echten und unechten Steuersündern

Es sind schockierende und völlig überraschende Nachrichten, die uns diese Woche aus Berlin erreichten: Bushido, das rappende Sturmgeschütz der Integrationsgesellschaft, soll wider Erwarten doch nicht brav und ordentlich seine Steuern ans Finanzamt gezahlt haben. Zumindest besteht dieser Verdacht, nachdem ein mehrköpfiges Steuerfahnder-Einsatzkommando am Dienstag bei ihm, seinem Steuerberater und seinem Management zur flächendeckenden Hausdurchsuchung anrückte. Bereits davor habe es, so die verblüffende Auskunft der Staatsanwaltschaft, „monatelange Ermittlungen gegeben“, und weiter: „Die Auswertung des gesicherten Materials werde Monate dauern.“

Nun also nimmt alles seinen geregelten Lauf, und theoretisch wäre die Angelegenheit damit für den Moment erledigt. Praktisch ist sie das allerdings nicht. Denn irgendwas fehlt. So hat beispielsweise Angela Merkel bislang noch nicht erklärt, wie „enttäuscht“ sie von Bushido ist – Hans-Peter Friedrich übrigens ebenfalls nicht. Auch auf die üblichen Ermittlungen durch Talkshow-Gäste wartet man bislang vergeblich. Dass Sandra Maischberger sich am Dienstag dem Thema Alzheimer widmete, gut, das kann man aufgrund zeitlicher Gegebenheiten noch nachvollziehen. Aber dass auch Anne Will am Mittwoch lieber über Deutschlands Eliten talkte, anstatt ein Sondereinsatzkommando zum Thema „Ausgerechnet Bushido! Wer stoppt die Steuersünder?“ einzuberufen, geht eindeutig zu weit.

Irgendjemand muss doch endlich mal klarstellen, dass das, was Bushido mutmaßlich angestellt hat, kein Kavaliersdelikt ist! Doch nicht nur, dass es diesbezüglich weder geprantelt, geleyendeckert oder generell geleitartikelt hat – auch die Politik lässt „den kleinen Mann“ im Stich. Während die Grünen wohl noch nicht dazu gekommen sind, eine aktuelle Stunde im Bundestag zu beantragen, hat auch Sigmar Gabriel seinen Einsatz als Rächer aller „Asozialen“ verpasst.

Nein, stattdessen herrscht ohrenbetäubendes Schweigen, wohin man blickt und hört. Nichts von dem, was den nationalen Krisenplan bei aufkommenden Steuersündern ausmacht, kam bisher zum Einsatz. Konnte man sich im Fall Hoeneß (superreich) wenigstens noch auf zeitnahe Urteile im Namen der Volksseele verlassen, so versagen eben jene Richter in Sachen Bushido (auch superreich) komplett. Was ist es also, was Uli Hoeneß hat und Bushido fehlt? Oder gibt es vielleicht auch so was wie Steuerhinterziehung light?

Sicher, in puncto Hoeneß ist bekannt, dass er Selbstanzeige erstattet und mutmaßlich Kapitalertragsteuern hinterzogen hat. Bei Bushido hingegen weiß man nicht, ob er Geld in die Schweiz brachte, oder es vielleicht seinen Freunden Rommel, Yasser, Arafat und Mohammed zwecks Wäsche anvertraute. Was beide aber eint – oder zumindest einen sollte – ist die Unschuldsvermutung. Ebenso wie der Umstand, dass diese in der medialen Praxis normalerweise keine Rolle spielt.

Vor allem aber die vorbildliche Wirkung, die beide in dieser Gesellschaft entfalten, sollte nun maßgeblich sein. Während sich Uli Hoeneß karitativ betätigte, ein Wurstimperium auf- und den FC Bayern zum Erfolgsunternehmen ausbaute, bewies Bushido vor allem durch zeitgenössische „F*ck dich, Schlampe / Tunte / und so weiter“-Verse, wie gut er integriert ist. Es gibt eben viele Wege, die zum Vorbild führen. Während es für den in gut behüteten Mafia-Kreisen ansässigen Bushido reichte, Menschen und Urheberrechte zu verletzen, um zum Bambi-Preisträger und damit offiziell anerkannten Musterbeispiel befördert zu werden, hat Hoeneß seine Chance auf das goldene Reh wohl endgültig verspielt. Hätte er sich mal besser davor schon unanständig benommen. Stattdessen bekannte er sich jüngst reuig zu dem „Riesenfehler“, den er gemacht habe, wohingegen Bushido den Besuch in Grün mit einem souveränen „Juckt mich voll“ abhandelte.

Nun kann man sich freilich trefflich darüber streiten, inwieweit Abou-Chaker verwerflicher als FC Bayern und Prügeleien vorbildlicher als Spenden sind. Offiziell als „asozial“ anerkannt zu sein, ist allerdings ein Privileg, das nur Uli Hoeneß vorbehalten ist. Natürlich: An einen bisherigen Saubermann wie ihn stellt man höhere Ansprüche als an den Rambo Bushido. Sobald allerdings der Rambo trotz aller Vorwürfe mit gesellschaftlichen Gütesiegeln dekoriert, als Vorbild gehandelt und in höhere Sphären – irgendwo zwischen Bambi und Bundestag – gehievt wird, spricht absolut nichts dagegen, auch an ihn dementsprechend die Messlatte anzulegen.

Dass genau das allerdings nicht geschieht, stattdessen nur derjenige als „asozial“ gilt, der sich des Verbrechens schuldig gemacht hat, immer Anstand zu beweisen und nun „tief zu fallen“, und ein gewisses Maß an antidemokratischer bis krimineller Energie indes als normal betrachtet wird, sagt dagegen viel über die moralische Verkommenheit aller Beteiligten aus.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" erschienen.

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