Es ist noch gar nicht lange her, da brach in deutschen Wohnzimmern,
Redaktionsstuben und Abgeordnetenbüros mit reichlich Moralin versetzte
Entrüstung aus. Der Anlass: Tod eines „54-jährigen Familienvaters“,
der mit seinen Kindern sicher gern mal „Blinde Kuh“ spielte, sofern er
nicht gerade Terrorattentate plante, koordinierte und ausführen ließ.
Osama bin Ladens Leichnam hatte noch nicht mal den Grund des Indischen
Ozeans erreicht, da war man hierzulande ob der Aktion der Navy SEALs
schon völlig aus dem Häuschen.
Besonders empörte man sich damals über die Tatsache, dass die
Amerikaner einfach in ein fremdes Haus in einem fremden Land einfielen
und den Hausherrn erschossen, ohne ihn zuvor über sein
Aussageverweigerungsrecht zu informieren. Altkanzler
Schmidt echauffierte sich über einen „Verstoß gegen das Völkerrecht“,
Peter Scholl-Latour über die „Verletzung der pakistanischen
Souveränität“, und Alfred Buß (Präses der Landeskirche von Westfalen)
ergänzte geschäftig, man müsse auf seine Feinde zugehen, anstatt
Menschen einfach zu töten. Egal ob Hobby-Imker mit
Antikriegstag-Erfahrung, Linksparteimitglied, Talkshow-Gast,
Friedensforscher oder gefühlter Nahoststratege – jeder entrüstete sich
eifrig mit und wusste ganz genau, dass das Problem nicht etwa Osama,
sondern die unverschämten Amis waren. Es roch gewaltig nach Margot
Käßmann, während landesweit bin Ladens Ableben betrauert wurde.
Seitdem hat sich viel getan: Libyen, Euro-Krise, Arabischer Herbst,
und auch das Mullah-Regime in Teheran macht sich die Welt, wie sie ihm
gefällt. Jüngstes Beispiel: Zwei Todesfatwas,
die eindeutig an den iranischstämmigen und in Deutschland lebenden
Rapper Shahin Najafi adressiert sind. Der Musiker, dessen Vergehen darin
besteht, in einem Song angeblich den zehnten Imam der schiitischen
Muslime beleidigt zu haben, ist damit vogelfrei und dank 100.000 Euro
Kopfgeld attraktives Ziel fanatischer Irrer mit Hang zum Blutbad. Das
wiederum war zwar einigen Redaktionen eine Nachricht oder auch ein
Interview wert, rief aber weder die üblichen Experten noch die deutsche
Politik auf den Plan. Mit Ausnahme von Günter Wallraff, dem Zentralrat
der Ex-Muslime, einigen Bloggern sowie Bündnissen wie „Stop the bomb!“
herrscht nach wie vor gemütliches Schweigen in deutschen Landen.
Nun fragt man sich: Was würde wohl Souveränitäts-Experte Peter
Scholl-Latour zu iranischen Terrorkommandos sagen, die auf deutschem
Boden Jagd auf einen Musiker machen? Wo bitte ist Claudia Roth
abgeblieben, die sonst jeden Anlass nutzt, um betroffen in die Kamera zu
gucken? Was könnte nur den Vertretern der Kirchen zugestoßen sein, die
in solchen Fällen zuverlässig zur Nächstenliebe oder wenigstens zum
friedlichen Dialog aufrufen? Ist die verstummte Bundesregierung gerade
im Urlaub, oder fürchtet sie um die gewohnte Harmonie beim nächsten
Atom-Dialog?
Gewiss, die Fatwas aus Teheran haben mit dem Befehl aus Washington
ungefähr so viel gemein wie Mao mit Mahatma Gandhi. Gleiches gilt für
Najafi und bin Laden. Der eine entspannte beim Dschihad und machte
Karriere als Top-Terrorist, der andere hingegen musiziert friedlich
gegen das Verbrecherregime in seiner Heimat an. Aber: Wie sieht das denn
mit dem einzelnen Menschen aus? Ja nun, auch hier ist, wie so oft,
entscheidend, wer den Finger am Abzug hat. Wenn Demokraten, noch dazu
aus den USA, einen Massenmörder gezielt
eliminieren, gerät hier eine Welle der Empörung ins Rollen. Wenn aber
Vertreter eines Terror-Regimes, das sogenannte Ehebrecherinnen steinigt,
Homosexuelle an Baukränen aufknüpft und zudem an der Bombe bastelt, zum
Mord an einem hier lebenden Demokraten aufrufen, gleicht das eher einer
Marginalie. „Gerade wir als Deutsche“ solidarisieren uns also doch
lieber mit dem Mörder als mit dem unschuldigen Demokraten? Man wird ja
wohl noch fragen dürfen …
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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