Zu den großartigsten Errungenschaften, die Deutschland so zu bieten
hat, gehört zweifellos die Israelkritik. Einst behutsam im „Nie
wieder“-Biotop kultiviert und seitdem liebevoll gehegt und gepflegt,
erblüht sie heute in den prächtigsten Formen und Farben. Damit das auch
so bleibt, sind „wir“ stets bemüht, das zarte Pflänzchen vor dem
giftigsten Schädling – nämlich der „Antisemitismus-Keule“ – zu bewahren.
Klar, denn lieber einmal Antisemitismus zu viel, als einmal
Israelkritik zu wenig, wie es eine Woche zuvor an dieser Stelle nachzulesen war.
Seitdem hat sich viel getan. In Großbritannien soll es wie aus Kübeln schütten, und auch TE-Kolumnist Mark T. Fliegauf, der neulich schon die Broder’sche „Antisemitismus-Keule“ beklagte
und sodann von einer „Welle der ganz anderen Art“ heimgesucht wurde,
hat sich von diesem Schock offenbar immer noch nicht ganz erholt. Nun ging er „in Berufung“
und philosophierte dazu über „die Dreistigkeit, all jene berechnend zu
stigmatisieren, die nicht mit Broder einer Meinung sind“, und darüber,
dass dieser sich „hierzu nur allzu gern der Antisemitismus-Keule
bedienen“ würde. Dinge also, die offenbar noch mal todesmutig gesagt
werden müssen.
Logisch, denn wo kämen wir, und mit uns die Israelkritik, nur hin,
wenn ein jeder wild loskeulen würde? Oder stopp, nicht ganz. Wer
schwingt sie denn noch mal, diese Keule? Richtig, natürlich nicht jeder
dahergelaufene Dorftrottel, sondern vorwiegend die Juden! Früher haben
sie noch Brunnen vergiftet und aus Christenblut Matzen gebacken, heute
hingegen kontrollieren sie die USA, das
Finanzsystem sowie die Medien, gehen auf unschuldige Palästinenser los
und benehmen sich fast schon wie die Nazis. Und als wäre das nicht schon
dreist genug, greifen sie zusätzlich noch zur Keule, um kritische
Israel-Freunde zum Schweigen zu bringen.
Eine Chuzpe sondergleichen also, unter der bereits unzählige
Bescheidwisser zu leiden hatten. Und nun also auch Mark T. Fliegauf, der
sich vorige Woche zum zweiten Mal auf die Suche nach der Keule begab.
Irgendwo muss sie doch sein, verdammt! Wo könnte Broder sie bloß
versteckt haben? Vielleicht im Bundeskanzleramt? Volltreffer! Denn
nichts anderes sei „Broders Versuch, Angela Merkel ob ihrer Kritik an Thilo Sarrazin in die Tradition der Reichsschrifttumskammer zu stellen“. Gleiches Spiel mit der angeblich ebenfalls Keulen-geprüften Claudia Roth. Alles Leute also, von denen man seit dieser grausamen Attacke nie mehr etwas gehört oder gesehen hat.
Und dann wäre da natürlich noch der Kolumnist – selbst ein
prominentes Opfer der Keule, deren wuchtigen Schlag er nur knapp
überlebte. Gemein aber auch: Da „beleuchtet“ man einmal tapfer Broders
Grass-Kritik, vergisst im Eifer des Gefechts ausnahmsweise die
Argumente, und schon wird man von einer „Welle der anderen Art“
begraben. Da hilft nur noch eins: Lauthals „Aua!“ schreien, „Ich bin
aber kein Antisemit!“ winseln, „in Berufung“ gehen und Dinge, die einem
„in den Mund gelegt“ wurden, beklagen – und schwups, schon wird ein
Keulchen draus. Die Botschaft dahinter: Seht ihr, liebe Leser, es gibt
sie wirklich, die Antisemitismus-Keule! Man muss sich nur lang genug von
ihr verfolgt fühlen, sodann bereitwillig zu Boden werfen und ausgiebig
jammern. Danach sind Juden und Nicht-Juden wieder quitt – jeder war mal
Opfer der NS-Zeit.
Komisch ist nur, dass Herr Fliegauf trotz seines keuligen Erlebnisses
immer noch putzmunter und öffentlich darüber philosophieren kann.
Gewiss, das darf, soll und muss er sogar. Aber sieht so der allseits
gefürchtete Mundtod aus? Nun, einzig der Kolumnist selbst könnte hier
zur Klärung beitragen – es sei denn, er buddelt gerade die nächste Keule
aus.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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