Die Erbsenzähler vom Dienst

Was ist das doch aufregend! Die Sexismus-Debatte ist noch gar nicht richtig kalt, da steht schon wieder ein neues „Gate“ ins Haus. Annette Schavan löst Rainer Brüderle ab, das Plagiat ersetzt das Dirndl, nur die Empörung, die bleibt gleich. In diesem Fall sogar einigermaßen zu Recht. Denn natürlich gehört es sich nicht, fremde Ideen als die eigenen zu verkaufen und damit die Lorbeeren einzufahren. Nicht im Journalismus, nicht in der Kunst oder in der Literatur, und auch nicht in der akademischen Welt. Wobei es bei abgekupferten Doktorarbeiten noch ein bisschen anders ist. Sollte ein promovierter Politiker wirklich abgeschrieben haben, steht gleich die Wissenschaft, der Bildungsstandort Deutschland, das große Ganze auf dem Spiel. Heißt es.

Die Wissenschaft ist es übrigens auch, der sich die kleinen und großen Plagiatsjäger zutiefst verbunden fühlen. Zumindest behaupten sie das sinngemäß. Etwa, wenn es auf VroniPlag-Wiki heißt: „Viele Wiki-Beitragende wenden sich mit der Plagiatsdokumentation gegen akademisches und wissenschaftliches Fehlverhalten. (…) Einige Wiki-Beitragende leiten aus der Öffentlichkeit der Dokumentation eine Präventionswirkung ab, welche hilft, Plagiatsfälle in der Zukunft zu vermeiden.“

Überprüfen lässt sich all das hingegen nicht, denn der Plagiatsjäger als solcher bevorzugt für die Durchführung seines edlen Ansinnens den Schutz der Anonymität. Zu viel stünde sonst auf dem Spiel, zu groß wäre das Risiko „persönlicher Anfeindungen“ und „eventueller Nachteile (z. B. im Beruf)“ – was geradezu bedrohlich und umso tapferer zugleich anmutet. Auf der einen Seite die mächtigen Guttenberger, auf der anderen Seite die mutigen Plagiatsjäger, die im Verborgenen operieren müssen, um das Gute in der Wissenschaft zu retten.

Wahrlich: Die Robin Hoods der Wissenschaft, die von den Großen nehmen, um den kleinen Doktoren ihre Ehre wiederzugeben, haben es wirklich nicht leicht. Zumal der Job des Plagiatsjägers ja nicht nur riskant, sondern oben drein auch noch stressig ist. Allerlei Regeln sind zu beachten, Bücher zu besorgen, Dissertationen zu scannen, Fußnoten zu sezieren, und all das nur für ein bisschen Ehre und das gute Gefühl, den Elfenbeinturm zu einem besseren Ort gemacht zu haben.

Und natürlich auch für die eigene Satisfaktion, resultierend aus der Gewissheit, es „denen da oben“ mal so richtig gezeigt zu haben. Mag sein, dass sich auch viele Titel-Inhaber zum Plagiatsjäger berufen fühlen, die nicht akzeptieren wollen, dass eine Frau Schavan durch Copy-Paste etwas erlangte, wofür sie selbst viele Jahre, Schweiß und Nerven investierten. Ob sie aber die Mehrheit stellen, bleibt fraglich. Denn in Zeiten, in denen jeder Kommafehler der „Bild“-Zeitung von unzähligen Mitbürgern auf stetig nachwachsenden „Watch-Blogs“ wie das nächste Watergate zelebriert wird, wären professionelle Kleinkariertheit und Missgunst im Gewand des edlen Rittertums keine allzu undenkbaren Diagnosen.

Deshalb wartet man wohl auch vergeblich auf weiterführende Heldentaten aus der Zunft der Plagiatsjäger. Eine Debatte über die Inflation der Bildung, oder über Doktorväter, die zwanzig Dissertationen gleichzeitig betreuen müssen, wäre doch auch was Schönes. Insbesondere mit Blick auf die Rettung der Wissenschaft, der sich die Robin Hoods doch so verbunden fühlen. Demos, Sitzstreiks, Arbeitskreise, Petitionen, was könnte man nicht alles tun. All das wäre sinnvoller als gegrillte Politiker, die anschließend nicht nur ihre Titel, sondern damit auch die Debatte versenken.

Aber so viel Engagement liegt eben nicht im Interesse der tapferen Haarspalter, die schon beim Verdacht einer ungenauen Fußnote ganz rote Bäckchen bekommen und erst dann die Korken knallen lassen, wenn die Mission erfüllt, der Titel futsch und „der da oben“ vollständig demoliert ist. Arme Wissenschaft.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.

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