Wie wir als Deutsche und Anti-Sexisten vergaßen, den Bikini- und Juden-Verächter Mursi mit einem #aufschrei zu bedenken.
Seit der FDP-Spitzenkandidat Rainer
Brüderle ein Downgrade zum „spitzen Kandidaten“ erfahren hat, müssen wir
alle uns dringend fragen, ob Deutschland tatsächlich unter erhöhtem
Sexismus leidet. Das Schöne an diesem Diskurs ist allerdings, dass
nahezu jeder etwas dazu beitragen kann. Die Talkshow-Intelligentia
debattiert über die Frage, ob frau sich traumatisierende Sprüche wie
„Sie sind ja nicht nur hübsch, sondern auch noch intelligent“ gefallen
lassen muss. Weitgehend unbekannte Bloggerinnen befördern sich indes zum Sprachrohr aller Frauen
und wissen gar nicht mehr, wem sie zuerst ein Interview über das
alltägliche Hinterhergepfeife auf deutschen Straßen geben sollen. Und
auch Claudia Roth ist voll in Fahrt und findet: „Es reicht!“
Echte Vergewaltigungsopfer, ob mit oder ohne Migrationshintergrund,
müssen dabei leider draußen bleiben. Zum Schluss könnten sie noch
denjenigen Hauptstadtjournalistinnen die Show stehlen, die zwar nicht
zwischen Petitessen und Sexualverbrechen unterscheiden können, dafür
aber umso eindrucksvoller ihr Tagebuch ins Feuilleton übertragen. So ein
„Tabubruch“ kommt schließlich auch nicht alle Tage.
Insofern ist es kein Wunder, dass Ägyptens Präsident Mursi sich
dieser Tage mit dem medialen Trostpreis zufriedengeben muss. Natürlich,
er wurde vorigen Mittwoch nicht von Laura Himmelreich an der Bar,
sondern nur von Angela Merkel mit militärischen Ehren empfangen. Und ja,
eigentlich wissen wir alle, dass Demokratie nicht so sein Ding ist und
sein Herz mehr für die Diktatur schlägt. Im Grunde wäre es besser, ihn
gar nicht zu empfangen, sonst könnte man ja gleich Mahmud Ahmadinedschad
einfliegen lassen. Aber muss man all diese anstrengenden Gedanken
derart öffentlich ausbreiten und dafür zum Schluss noch die zehnte
Sexismus-Talkshow streichen?
Nicht wirklich, denkt es in deutschen Redaktionsstuben. Mursi
seinerseits tritt ohnehin nur mit äußerst bescheidenen Anliegen auf: Er
will keinen Respekt und keine Debatte, er will nur Geld,
und zwar bitte ohne deutsche Ermahnungen hinsichtlich seiner
Innenpolitik. Das geht ja noch. Kein Grund also für Claudia Roth und
ihresgleichen, die Frauen zu thematisieren, die in der Zwischenzeit auf
dem Tahrir-Platz vergewaltigt werden. Zumal der gute Mann gerade das
Aussterben des Bikinis an ägyptischen Stränden forciert, was man ihm ja
zur Not noch als kluge Maßnahme gegen Sexismus anrechnen könnte.
Dass Mursi zudem Juden gerne mal als Schweine, Affen und Blutsauger
bezeichnet, ist gerade uns als Deutschen und Antisexisten ebenfalls
keinen #aufschrei wert. Warum auch? Es reicht schließlich, dass „wir“
weltweit führend sind, wenn es um Mahnmale, Gedenkveranstaltungen und
Erinnerungskultur geht. Nein, Dirndl-Gate hat absoluten Vorrang. Allein
schon, weil man/frau da nichts falsch machen kann. Mursi hingegen hat
sich nicht mal einen Herrenwitz erlaubt. Er schaut lediglich dabei zu,
wenn solche in Kairo in die Tat umgesetzt werden.
Und das wiederum taugt schlichtweg nicht für einen Tabubruch nach deutscher Art.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European".
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