Es ist durchaus nicht leicht, sich heutzutage zu einer Partei zu
bekennen, ohne dabei auf dem Jahrmarkt der Tugendhaftigkeiten in Verruf
zu geraten. Die CDU? Zu konservativ, verstaubt, hinterher noch rechts. Die FDP riecht dagegen nach Raubtierkapitalismus und Hoteliershintergrund, und wer SPD
wählt, bekommt Steinbrück, also auch nicht den menschgewordenen Traum
aller Genossen. Blieben nur noch die Grünen, die das haben, was allen
anderen fehlt. Denn grün, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, ist
nicht nur ein Programm, sondern ein Lebensgefühl. Manchmal sogar ein
Glaubensbekenntnis. Grün steht für Yogamatten, Bionade, Mülltrennung und
das Bewusstsein, stets so zu handeln, wie es allgemein als „gut“
anerkannt ist.
Ohnehin ist vollumfängliches Gutsein das Stammkapital der Grünen. Hier werden alle „abgeholt“. Frauen
werden nicht mit Herrenwitzen, sondern mit Quoten, Geringverdiener mit
Mindestlöhnen und Zuvielverdiener mit höheren Steuern bedacht. Auch
sonst wird niemand diskriminiert: weder Transsexuelle noch Bürger mit
Migrationshintergrund, ja, nicht mal der iranische Botschafter.
Die grünen Heilsbringer wissen aber nicht nur, wie man Unterschiede
beseitigt und Vermögen fairteilt. Auch mit nachhaltiger Lebensgestaltung
kennen sie sich aus. Um mehr Ernährungssicherheit zu schaffen, soll nun
ein „Vegetarischer Donnerstag“
verordnet werden. Eine prima Idee, um die manch einer noch froh sein
wird, sobald auch der „Vegane Montag“ und der „Frugane Dienstag“ zum
ernährungssicheren Alltag gehören. Die Freiheit, selbstbestimmt über
Steak oder Sellerie zu entscheiden, wird dem höheren Ziel – Vegetarismus
als Inbegriff des Guten und Gebot der Stunde – untergeordnet. Der Zweck
heiligt bekanntlich die Mittel.
Das gilt freilich auch für viele andere Lebensbereiche, besonders
aber für das Klima, das die Grünen natürlich nicht wandeln, sondern
schützen wollen. Bedenken jeglicher Art werden mit dem Wörtchen
„Klimawandelleugner“ niedergebügelt, was nicht nur wie Holocaustleugner
klingt, sondern bestimmt auch genauso schlimm sein dürfte. „Das Auto der Zukunft fährt grün – oder gar nicht“
wäre beispielsweise eine der unzähligen grünen Drohungen, die so
banalen Dingen wie „Freude am Fahren“ den Kampf ansagen. Wahlfreiheit
zwischen Porsche, Audi und Elektrofuhrwerk? Verboten. Es geht schließlich ums Klima – und sicher auch um die Eisbären.
So könnte man munter fortfahren, ohne auch nur einmal auf
nennenswerten oder gar lauten Widerstand zu stoßen. Das ist eben das
Schöne an grüner Politik: Sie will nur das Gute. Kaum jemand, der sich
ernsthaft erdreisten würde, etwas gegen Frauenförderung, „soziale
Gerechtigkeit“ oder gar Mutter Natur einzuwenden. Wie all das umgesetzt
werden soll und wie viel Freiheit dafür zu zahlen sei, ist
nebensächlich.
Und so erstaunt es auch nicht wirklich, dass die Grünen dem Guten und
Schönen zuliebe schon mal über Leichen gehen. Oder sie zumindest post
mortem umetikettieren. Ein Spezialgebiet, auf dem sich anlässlich des
zweiten Fukushima-Jahrestags besonders Claudia Roth erst neulich
verdient machte. Dass 16.000 Japaner nicht durch atomare Verstrahlung,
sondern „nur“ in Folge einer Naturkatastrophe gestorben sind, haben
ihnen so manche Grüne offenbar bis heute nicht verziehen. Jedoch: Was
nicht passt, wird eben passend gemacht. Und so gedachte Grünen-Chefin
Claudia Roth also konsequenterweise und unbeirrt den Toten der „verheerenden Atom-Katastrophe von Fukushima“, um gleichzeitig für die Beschleunigung der Energiewende zu werben.
Nun könnte man das mit Fug und Recht, und auch trotz der lauwarmen Entschuldigung von „Team Roth“,
als kaltschnäuzig, zynisch und unverfroren bezeichnen. Und vermutlich
hätte gerade Claudia Roth als Erste die Nähe eines Kamerateams gesucht,
wenn ein CDU-Politiker Opfer von
Rechtsextremen zu Betroffenen von Ausländerkriminalität erklärt hätte,
um sie anschließend für seinen Wahlkampf zu instrumentalisieren. Aber im
grünen Biotop gelten eben andere Gesetze. Allein der gute Gedanke, in
dem Fall der Kreuzzug gegen Atomkraft, zählt. Freiheit, Vernunft oder
Anstand hingegen versperren lediglich den Pfad in den grünen Garten Eden. Der Ort, an dem es sich mit Sicherheit auch grüner sterben lässt.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.