Schon lange hat man nichts mehr von den zahlreichen Teilnehmern der
bundesweit geführten Integrationsdebatte gehört. Kein Gipfel, kein neues Krawall-Buch von Sarrazin
und auch kein Preis für Künstler, die sich daneben genug benehmen, um
als perfekt integriert zu gelten. Doch nun treibt der
Integrationsdiskurs endlich wieder neue Blüten, und zwar in Form einer Studie,
die das Bundesinnenministerium vorige Woche vorstellte. Sie trägt den
Titel „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“, was einigermaßen
romantisch verklärt klingt, und hat einen Umfang von 746 Seiten, weshalb
sie freilich niemand bis zum Ende durchliest. Macht aber nix. Denn die
wunderbar schräge Integrationsdebatte zeichnet sich hierzulande vor
allem dadurch aus, dass die immer gleichen Erkenntnisse seit Jahren
zuverlässig mittels kollektiver Empörung ignoriert werden.
So auch im Falle des neuen Pamphlets, wonach sich junge Muslime
überwiegend vom Terrorismus distanzieren und eine große Mehrheit
Integration „mehr oder weniger“ befürwortet. Das ist übrigens die „gute
Nachricht“, die zwar erfreulich, grundsätzlich allerdings nichts weiter
als eine Selbstverständlichkeit ist. Was genau die Floskel „mehr oder
weniger“ bedeutet, ist leider nicht bekannt. Vielleicht, dass man zwar
brav an der roten Ampel hält, dafür aber gelegentlich die Schule
schwänzt? Nun, geschenkt.
Die „schlechte Nachricht“ hingegen liest sich da schon ganz anders.
Demzufolge gehören 24 Prozent der nichtdeutschen (also jeder Vierte)
sowie 15 Prozent der deutschen Muslime einer stark religiösen und
antiwestlichen „Subgruppe“ an, die integrationsunwillig und „tendenziell
gewaltbereitet“ ist. Ursächlich dafür sind vor allem „traditionelle
Religiosität“, „autoritäre Einstellungen“ sowie das „Erleben von
gruppenbezogener Diskriminierung“, wobei auch die als „manipulativ“ und
durchweg negativ empfundene Berichterstattung nicht ganz unschuldig sein
soll.
Nun ist das alles nicht atemberaubend neu, und in gewisser Weise
besteht der Reiz der Integrationsdebatte auch nicht unbedingt in ihrem
Gegenstand, sondern vielmehr in den dazugehörigen und zuweilen durchaus
kuriosen Reaktionen. Die Justizministerin
echauffierte sich über die Studie, da diese ihr zufolge einzig dazu
diene, Schlagzeilen zu produzieren – was im Umkehrschluss bedeuten
könnte, dass künftig nur noch Studien über schlagzeilenunträchtige
Umstände erscheinen dürfen, um so zwar nicht das Problem, dafür aber
wenigstens die Schlagzeile aus der Welt zu schaffen.
Derweil erklärte die SPD-Integrationsbeauftragte,
man dürfe jetzt keinesfalls die große Mehrheit der integrationswilligen
Muslime vergessen, was ebenfalls eine interessante Art der
Problembewältigung darstellt. Auch die Medien sollten die Studie
behutsam behandeln, so der Tenor, da „verzerrte Darstellungen“ die
Integrationsbereitschaft gefährden könnten – dass zur Integration
allerdings auch die Akzeptanz von Boulevardmedien gehört, ist noch
keinem aufgefallen. Auch nicht dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime,
der lieber die Politik zur Unterstützung auffordert, anstatt an die
radikale Minderheit zu appellieren. Und überhaupt: „Hilfreich“ sei die
Studie eigentlich nicht.
Unterm Strich ergibt sich ein skurriles Bild, das vor allem zeigt,
wie gut die Politik sich schon an die Bedürfnisse der Minderheit
angepasst hat. Gewiss, Integration ist ein Geben und Nehmen,
bedeutet aber zugleich auch nichts anderes als die Forderung an alle
Beteiligten, schlichtweg die Spielregeln der freiheitlich-demokratischen
Gesellschaft einzuhalten. Eine Selbstverständlichkeit also, die
insofern zum Eiertanz wird, als die Mehrheit nun besondere Sensibilität
in Form von Relativierung, Differenzierung und gezieltem Totschweigen an
den Tag zu legen hat, um die genannte radikale Minderheit dazu zu
bringen, sich anständig zu benehmen. Das nennt man dann übrigens
„hilfreich“.
Zuerst erschienen im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European".
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