Vorige Woche wurde es eng für die Elite der europäischen
Bescheidwisser. Denn der Mann, der in Toulouse zunächst drei Soldaten
und kurz darauf einen Rabbi sowie drei jüdische Schulkinder brutal
ermordete, war wider Erwarten doch nicht „blond, blauäugig und skrupellos“,
sondern überzeugter Islamist mit Faible für Reisen ins
pakistanisch-afghanische Grenzgebiet. Nun musste man freilich
umdisponieren, den schließlich zählt ja nicht die Tat, sondern die Motivation des Täters. Wie also konnte es nur so weit kommen?
Klar ist, dass das blutige Gemetzel natürlich rein gar nichts mit dem Islam zu tun hatte. Zudem soll Mohammed Merah auch ein „sanfter Mensch“
gewesen sein, was vor allem diejenigen verstehen, die in Osama bin
Laden auch einen liebevollen Familienvater sahen. Außerdem wurde der
Mann ja lediglich radikalisiert – also sicherlich ohne eigenes Zutun
und rein zufällig. Indes geriet auch die „Tagesschau“ in Sorge. Freilich
nicht wegen weiterer potenzieller Dschihadisten, sondern vielmehr
angesichts der Vertiefung gesellschaftlicher Gräben. „Werden die fünf
Millionen französischen Muslime durch die Morde von Toulouse noch weiter
an den gesellschaftlichen Rand gedrängt?“, orakelte es da munter aus
der Redaktionsstube. Und als Nicolas Sarkozy vor einer „Verquickung von
Religion und Terrorismus“ warnte, war die „Süddeutsche Zeitung“ gleich
so aus dem Häuschen, dass sie dessen Worte sinngemäß flugs in nahezu
jedes (z.B. hier, hier und hier) ihrer Toulouse-Pamphlete einbaute.
Vor lauter Aufregung erinnerte sich dann offenbar niemand mehr an
das, was Mohammed selbst verlauten ließ. Dass er gezielt Juden, darunter
drei Kinder, erschoss, um so palästinensische Kinder zu „rächen“,
schien wohl für viele ein probater Beitrag zum Nahostfriedensprozess zu
sein. Zumindest insofern, als keiner der zahlreich anwesenden
Islamismus-Experten diese zweifellos ehrliche Ansage für kritikwürdig
hielt. Daher erkundigte sich freilich auch niemand nach den
palästinensischen Kindern, die es zu rächen galt. Doch nicht etwa, weil
diese gar nicht existieren? Denn im Gegensatz zu Mohammed knallt Israel
eben nicht wohl kalkuliert unschuldige Menschen ab. Aber womöglich war
das von Israelkritik beseelte Expertentum einfach zu busy, um die
klassische Pali-Lüge umgehend zu widerlegen. Ähnlich sprach es dann
letztlich auch aus dem Berliner Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz.
Der konnte hier nämlich ebenfalls beim besten Willen „keine neue Dimension des Antisemitismus“ erkennen, womit er wenigstens eindrucksvoll demonstrierte, dass seine Pensionierung eine gute Idee war.
Aber gut, so ist das eben. Judenhass erkennt der Experte nur, wenn er
in Springerstiefeln und mit Glatze daherkommt oder vor 1945 stattfand.
Alles darunter ist vielleicht irre, israelkritisch, aber sicher nicht
antisemitisch. Selbst dann nicht, wenn Juden – wie nun in Toulouse – nur
deshalb ermordet werden, weil sie Juden waren. Unter dem Motto „Nie
wieder“ bekämpft man indes tapfer den bedrohlichen Generalverdacht,
während ein von Propaganda beseelter Islamist ungestört Juden abknallen
konnte und die nächsten edlen Wilden vielleicht schon in den
Startlöchern sitzen. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, stellt sich
hier freilich ganz und gar nicht.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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