„Are you kidding me? Never ever in my life“, entfährt es ihm, während
er sorgsam den Milchschaum auf den heißen Kaffee drapiert und so zum
Cappuccino befördert. Sehnsucht habe er schon lange nicht mehr,
bekräftigt er nochmals, hier sei er absolut glücklich – als Antwort auf
die Frage, ob er denn die USA irgendwann
wieder gegen sein Heimatland eintauschen wolle. Höchstens seine Familie,
ja, die vermisst er manchmal ein wenig. „But I’m American now, you
know“, fügt er lächelnd hinzu. Und darauf ist der Mann, der vor über
zehn Jahren aus seiner türkischen Heimat Antalya ohne Geld, dafür aber
mit Greencard, nach San Francisco kam und nun im eigenen Café seine
Gäste mit Sandwiches versorgt, mächtig stolz.
Klar, manchmal ist es durchaus hart, gesteht der Mittdreißiger, der
vor zwei Jahren das „M-Café“ in der Mission Street, zwischen siebter und
achter Straße, eröffnete. Bei seinen Gästen stellt er sich schlicht als
„M“ oder „Mister M“ vor. Während der ein oder andere unter ihnen noch
im Halbschlaf an seinem Kaffee nippt – es ist neun Uhr morgens, ein ganz
normaler Werktag –, ist „M“ schon seit rund fünf Stunden auf den
Beinen. Jeden Morgen, manch einer würde von tiefster Nacht sprechen,
fährt er zum Großmarkt; besorgt Bagels, Gemüse, Milch, Obst, Käse,
Pastrami, Schinken und vieles mehr, woraus er später eigenhändig Panini,
Club-Sandwiches und Salate zaubert. Frisch soll es sein, das ist ihm
wichtig, sogar Hummus bereitet er selbst zu. Und die Gäste, deren
Gesichter „M“ sich merkt, um sie beim zweiten, dritten, vierten Besuch
persönlich begrüßen zu können, würdigen es.
„M“ ist das, was man „One Man Show“ nennen könnte. Einkauf, Küche,
Service, Buchhaltung – er macht alles selbst, sieben Tage die Woche,
teils mehr als 16 Stunden pro Tag. Personal kann er sich noch nicht
leisten. „Noch“, denn das Geschäft läuft. Als Einwanderer kam er vor
einem Jahrzehnt in die USA, schlug sich mit
bis zu drei Kellner-Jobs durch, lebte bescheiden am Rande und eineinhalb
Stunden von Downtown San Francisco entfernt, legte jeden Cent beiseite,
um sich 2010 schließlich den Traum vom eigenen Café erfüllen zu können.
Zugleich ist es auch der amerikanische Traum, den das deutsche Feuilleton schon seit einiger Zeit mit aller Macht ins Abseits schreibt.
Sicher, „M“ ist einer von vielen, die auf Tellerwäscher-Niveau begannen
und heute, aller Arbeit zum Trotz, weit davon entfernt sind, Millionär
zu sein. Und ja, Ehrgeiz und Leistung allein bilden, besonders in Zeiten
der Krise, nicht das Ticket für Porsche, Kaviar und Ferienhaus in den
Hamptons. Ein bisschen Glück gehört schon auch dazu. Aber der Aufstieg,
sei es auch nur im Kleinen, ist möglich. Nach wie vor.
Daran glauben auch die Amerikaner, zumindest viele von ihnen. Dass
der „american dream“ nicht im Totenreich weilt, merkt man an den
unterschiedlichsten Orten – zum Beispiel in Buchhandlungen. Wo sich in
Deutschland Richard David Precht an Schmähschriften über den
Kapitalismus und „Lob der Entschleunigung“-Wälzer reiht, stapeln sich in
den USA „How to be successful“-Bibeln in
allen Formen und Farben. In diesem Land glaubt man nicht primär an Hilfe
von außen oder gar an Vater Staat, sondern an sich selbst, an das
Individuum, an persönliche Entfaltung. An Erfolg, der aber Leistung und
Wille voraussetzt. Oder, wie „Forbes“-Kolumnistin und Bestseller-Autorin
Maseena Ziegler über ihre eigene Karriere schreibt: „Moreover,
if I can do it, anyone can do it. I’ll say it again because that’s
probably the one thing I’d want you to take away from this piece. (…)
So, what are you waiting for?“
Zwischenzeitlich ist es auch im M-Café spät geworden. Während das
„closed“-Schild schon längst nach außen zeigt, arbeitet „M“ immer noch.
Die Theke will gewischt, die Stühle auf die Tische gestemmt werden. Wer
seiner Meinung nach am sechsten November der neue Präsident sein wird?
„Keine Ahnung“, sagt er, und zuckt mit den Schultern. „Hauptsache, der
Staat lässt mich in Ruhe mein Ding machen.“
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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