Nun, da Präsident Obama weitere vier Jahre im Weißen Haus residieren wird,
sind die Deutschen völlig aus dem Häuschen. Die Obama-Mania, eine
besondere Form der Euphorie – sie schäumt förmlich über. Sie ergreift
sowohl Berlin als auch Buxtehude und zaubert nahezu jedem, vom Studenten
bis zum Rentner, ein entzücktes Lächeln ins Gesicht. Hach, was ist das
schön! Schöner als Weihnachten, Sonderangebote bei Karstadt und eine
Doppelhaushälfte im Grünen zusammen. Jubel, Trubel, Einigkeit anlässlich
der Tatsache, dass in den USA erneut ein Mann
Präsident wurde, den auch 90 Prozent der Deutschen gewählt hätten – was
übrigens nordkoreanischen Verhältnissen entsprochen hätte, aber lassen
wir das. Erst waren wir Papst, nun sind wir Obama!
Ganz vergessen scheint da das gute alte antiamerikanische
Ressentiment, dem der Deutsche fast noch mehr Fürsorge als seinem Auto
entgegenbringt. Denn dass der Amerikaner an sich grundsätzlich adipös,
verblödet, ultrareligiös, fanatisch sowie oberflächlich und zudem sowohl
kriegstreiberisch als auch waffennärrisch veranlagt ist, gilt
hierzulande als gesicherte Erkenntnis. Dabei steigt die Überzeugung
antiproportional zur Zahl der USA-Aufenthalte;
man muss selbstverständlich nicht „drüben“ gewesen sein, um zu wissen,
welch unkultiviertes Volk die Amis mitsamt ihres Weltpolizei-Gehabes
doch sind. Und so wird er liebevoll kultiviert, der Antiamerikanismus,
der nicht nur bei Stehempfängen, sondern auch in Talkshows und auf
WG-Partys als zeitlos-klassisches Accessoire taugt.
Bei Barack Obama, der in deutschen Landen schon längst auf einer
Welle mit Mutter Teresa und Gandhi reitet, macht man hingegen eine
Ausnahme. Warum eigentlich? Wie kommt es, dass professionelle
Amerika-Kritiker plötzlich einen US-amerikanischen Präsident derart
anschmachten? Sind „wir“ über Nacht zu USA-Fans
mutiert und dekorieren das Eigenheim schon bald mit „Stars and
Stripes“? Nun, zugegeben: Neben Bush, der ja nicht als Präsident,
sondern als hauptberuflicher Kriegstreiber galt, macht er natürlich
schon eine gute Figur. Und neben Romney, dessen möglicher Wahlsieg aus
deutscher Sicht geradezu den Beginn eines düsteren Zeitalters markiert
hätte, freilich auch. (Vergleichen Sie mal hier.)
Aber das allein kann es nicht sein, denn schließlich jagt auch ein
Barack Obama Terroristen nicht mit Lichterketten, sondern mit Drohnen.
Genauso wenig wie er Guantanamo geschlossen oder den „Turbokapitalismus“
verwünscht hat. Ach ja, und Millionär ist er übrigens auch.
Dennoch sind die Deutschen gnädig mit ihrem Präsidenten, den sie
offenbar für einen Mann halten, der „das andere Amerika“ symbolisiert.
Ein Amerika, in dem alles europäischer ist. Also besser, versteht sich.
Er mischt sich nicht in die Angelegenheiten wild gewordener Islamisten
ein, er unternimmt was für die Umwelt (zumindest tut er so), er gibt den
Minderheiten eine Stimme, er plädiert für die Reichensteuer und ist
dabei auch noch gebildet. Damit erfüllt er alle Kriterien, um als
Lieblings-Ami der Deutschen durchzugehen. Was nicht ins Bild passt,
darunter die erfolgreiche Unschädlichmachung bin Ladens, fällt dem
Weichzeichner zum Opfer. Der US-Präsident fungiert schon längst als
Projektionsfläche deutschen Moralins.
Insofern ist der Obama-Hype auch kein Wunder, sondern vielmehr
logische Konsequenz sowie die Kehrseite des hiesigen Antiamerikanismus.
Deutschland liebt ihn, weil er von Berlin aus gesehen ein
antiamerikanischer Amerikaner ist. Einer mit Kuschelfaktor, der all das,
wofür Amerika gehasst wird, eben nicht praktiziert. Dass dieses
arrogante Amerika nun auch in jenen höheren Sphären angekommen scheint,
in denen das um Welten überlegene Deutschland schon ewig weilt, bietet
Anlass zum Jubeln. Endlich haben die Amis so gewählt, wie der Deutsche
es für richtig befindet.
Kein Grund zur Sorge also. Deutschland liebt nicht Amerika, es liebt
einzig den Gedanken an ein unamerikanisches Amerika. „Wir sind Obama“
ist daher nur die halbe Wahrheit. Vielmehr ist Obama „wir“. Zumindest
für die nächsten vier Jahre.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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