Bis vor Kurzem befand sich das hiesige gute Gewissen noch im Lot. Es
setzte sich aus ein paar Allgemeinplätzen – darunter: „Atomkraft ist
böse“, „Mülltrennung ist gut“, „Umverteilung ist auch gut“, „Traue
keinem Unternehmen!“ – zusammen, wodurch diese hochkomplexe Welt eine
gewisse Ordnung erfuhr. Nun aber hat sich etwas geändert. Herrschte
bislang große Skepsis gegenüber Unternehmen und Konzernen im
Allgemeinen, solchen mit hohem Umsatz im Speziellen, so gibt es jetzt
eine Ausnahme von der Regel. Die wiederum heißt Google und avanciert
gerade zum Unternehmen der Herzen. Denn Google ist nicht nur „das Netz“,
sondern auch der tapfere Advokat der Netzfreiheit, der zwielichtige
Verlage gerade gehörig an den Kragen wollen.
So zumindest scheint es mit Blick auf die Kampagne, die Google
aktuell gegen das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage führt.
Ein Recht, das, wie der Name schon sagt, journalistische Leistungen
(Zitate, Bilder, Grafiken) schützen soll, die beispielsweise Google
bislang kostenlos für den eigenen News-Service nutzt. Mit den an
Dramatik kaum zu überbietenden Worten „Verteidige dein Netz, finde
weiterhin, was du suchst“ stimmt das Unternehmen seine Zielgruppe, also
quasi uns alle, auf einen Kampf für die Freiheit des Internets ein.
Garniert wird dieses Weltuntergangsszenario mit den vermeintlich
verheerenden Folgen des Gesetzes, die der digitale Wutbürger derzeit
munter perpetuiert.
Nun ist es natürlich erfreulich, wenn Menschen zueinander finden, um
gemeinsam und mit viel Verve für Freiheit – in dem Fall die Freiheit des
digitalen Lebensraums – einzutreten. Schließlich habe Google, der good
cop, doch nichts verbrochen. Zeitungsartikel stünden ja kostenlos im
Netz (und gehören deswegen allen, so der Glaube), es seien ja vielmehr
die Verlage, diese antiquierten Einrichtungen, die ihr eigenes Versagen
auf den Sündenbock Google projizierten. Sollen sie halt auf Google
verzichten. Und überhaupt: Google tue doch etwas Gutes, auch für die
Verlage, die ohne Traffic umgehend verkümmerten. Jawohl, eigentlich
sollten doch die Verlage Google für die gute Werbung bezahlen, und bei
der Gelegenheit könnte auch YouTube die Künstler zur Kasse bitten! Was
spricht denn dagegen?
Klar, dagegen spricht freilich nichts. Abgesehen davon, dass es doch
eher unüblich ist, ein Unternehmen für den, sagen wir mal, „liberalen“
Umgang mit Urheberrechten zu bezahlen. Aber das hat die digitale
Ideenschmiede, die sich aktuell im existenziellen Freiheitskampf-Modus
befindet, vor lauter Aufregung wohl übersehen. Dass Dienste wie
GoogleBooks, GoogleNews oder YouTube von Inhalten profitieren, die sie
im Allgemeinen nicht bezahlt haben, ach na ja, das macht doch nichts.
Schließlich liefert Google dafür Traffic und sogar „Werbung“, und damit
ist alles wieder paletti – so das neue digitale Rechtsverständnis, das
auf der fest verankerten Vorstellung des Internets als kostenloser
Selbstbedienungsladen fußt. In einer Debatte, die sich gar nicht so sehr
um das Leistungsschutzrecht, sondern vielmehr um Google selbst dreht,
wird Unrecht ganz selbstverständlich zu Recht und Freiheit zu
Rechtsfreiheit erklärt.
Doch davon lässt sich der digitale Wutbürger, dieses unerschrockene
Wesen, das im Kostüm des Freiheitskämpfers todesmutig „dein Netz
verteidigt“, nicht aufhalten. Es geht schließlich um die gute Sache, die
zwar gewissermaßen dem Umverteilungsprinzip nahe kommt, dafür aber
immerhin das Label „Freiheit“ trägt. Also auch Freiheit von der Idee des
geistigen Eigentums, von dem die digitale Seele nur weiß, dass sie es
gratis von anderen haben will und diese Vorgehen für ganz
selbstverständlich hält.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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