Es ist noch gar nicht lange her, da fand in den Feuilletons (zum Beispiel hier und hier) dieses Landes die periodisch wiederkehrende Debatte über Geschlechterrollen statt. In der „Zeit“
erfuhr man dabei einiges über „Schmerzensmänner“, also „junge Männer“,
die „Bärte tragen, Gitarre spielen, lieb, melancholisch und sehr mit
sich selbst beschäftigt sind“. Man könnte dieses episch diskutierte
Phänomen allerdings auch mit einem Begriff zusammenfassen: Waschlappen.
Ob es außerhalb der Feuilletons existiert, kann Frau jederzeit im Alltag
oder abends an der Bar selbst überprüfen.
Nun aber hält ein dem Waschlappen ganz ähnliches Prinzip auch in der Politik Einzug. Und zwar in Gestalt von Johannes Ponader.
Der polyamant lebende „Gesellschaftskünstler“ hat allerhand studiert
(Mathematik, Musikwissenschaft, Philosophie, Pädagogik,
Theaterwissenschaft), bevor er seine Erfüllung im Dasein als Pirat fand
und im April dieses Jahres zum Bundesgeschäftsführer der Piratenpartei
gewählt wurde. In seiner Bewerbungsrede hieß es,
„seine berufliche Situation lasse zu, mehr als 40 Stunden die Woche für
sein Parteiamt aufzuwenden“. Ein echter Fulltime-Pirat also, dessen
„berufliche Situation“ ihm nur deshalb so viel Raum für professionelles Pirat-Sein bietet, weil diese je nach Saison gar nicht existiert.
Denn wer gelegentlich einen Blick in die Zeitungen und
Talk-Stuhlkreise dieses Landes wirft, dem dürfte nicht entgangen sein,
dass Herr Ponader nicht nur das „Bedingungslose Grundeinkommen“
promotet, sondern sich auch zuweilen mit der Bundesagentur für Arbeit
rumschlägt. Die nämlich zahlt ihm „saisonal“ ALGII,
fragt allerdings momentan öfter nach und findet es nicht so prima, dass
der Chef-Pirat vor lauter Politik nicht mehr zur Arbeitssuche kommt.
Das wiederum verleitete Ponader dazu, sich souverän über die „extreme
Entartung des ganzen Systems“ zu echauffieren.
Darum hat der Gesellschaftskünstler nun alle Register gezogen und
seinen „Rücktritt vom Amt“, also, vom Arbeitsamt natürlich,
durchgeführt. Nicht jedoch, ohne anlässlich dieser phänomenalen Tat in
der „FAZ“ über sein tragisches und vom Jobcenter verursachtes Schicksal zu klagen. Einer der schönsten Sätze lautet dabei:
„Nun ist ein Sprung ins Ungewisse angesagt, wie ihn viele gehen, die die
Gängelung durch die Jobcenter nicht mehr ertragen und freiwillig auf
Sozialleistungen verzichten.“
Und da springt er also, der Herr Ponader, und verkauft seinem
Publikum das Normalste der Welt als glorreiche Heldentat. Er tritt nicht
etwa zurück, weil er nun eigenständig seine Brötchen verdienen will,
sondern weil die Hand, die ihn fütterte, so unerträglich (bestimmt auch
„entartet“!) gewesen sein soll. Dass diese ihm sein Dasein als
Gesellschaftskünstler und Fulltime-Pirat saisonal finanzierte, scheint
in Ponaders Welt keine Rolle zu spielen. Stattdessen stilisiert er sich
zum Opfer eines Systems, das einen 36-jährigen, gesunden und akademisch
ausgebildeten Mann subventioniert.
Jawohl, ein schlimmeres Schicksal kann es kaum geben. Nicht in Bezug
auf den Schmerzenspirat Ponader, sondern hinsichtlich einer
Gesellschaft, wo realitätsfernes Jammern auf hohem Niveau nicht nur
anerkannt, sondern auch mit einem politischen Amt durchaus vereinbar
ist.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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