Es gibt bekanntlich viele Möglichkeiten, sich im Journalismus zu
entfalten. Der eine findet sein Glück beim „Goldenen Blatt“, wo er
Herzogin Camilla Brustkrebs andichten darf, der andere im ARD-Studio
Washington, der Nächste auf den „Spuren der Drogenmafia“ im
kolumbianischen Hinterland. Eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an
Schreiberlingen hingegen hat sich mittlerweile auf professionelles
Kaffeesatzlesen spezialisiert. Viele von ihnen findet man im
Politik-Ressort, wo sie immer dann zu Hochform auflaufen, sobald Wahlen
ins Haus stehen, deren Ausgang sie Kraft des Wortes schon im Vorfeld
bestimmen.
Dahingehend war gerade in letzter Zeit viel zu tun. Angefangen in
Niedersachen, wobei Angehörige der Medienbranche natürlich schon länger
wussten, dass es knapp werden dürfte, die Liberalen jedoch tendenziell
keine allzu wichtige Rolle spielen
würden. Logisch, denn die Umfragen schienen eindeutig, und wenn
Infratest etwas sagt, dann ist es so. Aber ein bisschen Nachhilfe könne
ja nicht schaden, dachte man, und beförderte die Partei schon mal
vorsorglich in den Orkus. Und zwar über Monate hinweg. Der Reiz des FDP-Bashings liegt offenbar darin, dass es nie langweilig wird und genauso wenig aus der Mode kommt.
Umso schmerzlicher muss es gewesen sein, als die FDP
vorigen Sonntag das Verbrechen beging, ein Ergebnis von knapp zehn
Prozent einzufahren. Ein Skandal, der die Frage aufwarf: Darf die das
überhaupt? Nein, natürlich darf sie es nicht. Allein schon aus Rücksicht
auf unzählige Journalisten, die ihrem Publikum nun erklären mussten,
wieso sich die liebevoll ins Grab geschriebene Partei plötzlich so
un-tot benahm. Darum erfand man in Windeseile die unsittliche
„Leihstimme“. Denn bekanntlich hat noch nie zuvor ein Grüner seine
Erststimme der SPD „geliehen“ oder ein Bundesbürger generell von den Möglichkeiten des Wahlrechts vollen Gebrauch gemacht. Mit Ausnahme der FDP-Wähler natürlich, die bedauerlicherweise nicht in Absprache mit deutschen Redaktionsstuben stimmten.
Als noch unberechenbarer erwiesen sich kurz darauf allerdings die
Israelis, die sich ebenfalls erdreisteten, deutsche Prognosen zu
ignorieren. Wahrlich: Was will man nicht alles über israelische
Wahlgewohnheiten gewusst haben! Etwa, dass sich Benjamin Netanjahu nur
aus wahlkampftaktischen Gründen gegen Raketenhagel aus Gaza gewehrt habe
und das ganze Land ihm an der Wahlurne zu Füßen liegen würde. Vom
flächendeckenden „Rechtsruck“, der Israel ergreife, ganz zu schweigen.
Die „Frankfurter Rundschau“-eigene Kristallkugel besagte sogar, das Land
würde „gefährlich wählen“.
Dumm nur, dass die Israelis letztlich so wählten, dass es für eine
Identitätskrise des durchschnittlichen Nahost-Experten durchaus reichte.
Nicht gefährlich, nicht derart rechtslastig, sondern so bunt, wie es
sich für eine Demokratie gehört. Und während nun in Jerusalem die
kommende Regierungskoalition eruiert wird, stehen hiesige
Medienvertreter vor der großen Herausforderung, all das so zu verpacken,
dass es immer noch gut zu den vorangegangen Weissagungen passt. Ob ein
Netanjahu allein für einen großzügigen Rechtsruck genügt, oder sich gar
in der Vita des Zweitplatzierten, Yair Lapid, noch Spuren von
Rechtslastigkeit ausmachen lassen, wird sich zeigen.
Sich im Vorfeld ein Wahlergebnis zusammenzureimen, das der eigenen Agenda entspricht, ist natürlich keine Kunst.
Es zu unterlassen, hingegen schon – insbesondere, wenn Problemgruppen
wie Israelis oder Liberale im Spiel sind. Umso gespannter darf man nun
etwa auf die Bulgaren, Zyprioten und Monegassen blicken, die sich in
Bälde der Wahlurne nähern werden. Denn letztlich wäre es doch nur fair,
wenn auch sie mit derart fundierten Vorhersagen bedacht würden.
Zumindest jedoch unterhaltsam.
Zuerst auf "The European" erschienen.
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