Kaum hat die Beschneidungsdebatte
etwas an Lautstärke verloren, da steht schon wieder eine neue
Diskussion über Juden ins Haus. Denn dass „Spiegel“-Kolumnist und „Der
Freitag“-Verleger Jakob Augstein vorige Woche vom Simon Wiesenthal
Center in die Hall of Shame der Antisemiten befördert wurde,
kann natürlich niemand, Ahnung hin oder her, unkommentiert lassen.
Ungerechtfertigt soll er sein, Augsteins neunter Platz, lächerlich und
gar von rufmörderischer Qualität, um nur einige Urteile zu nennen, die
derzeit so im Netz gefällt werden. Und der Geehrte selbst findet es „betrüblich“,
wenn der „Kampf (gegen Antisemitismus) geschwächt wird“, was
„zwangsläufig der Fall“ wäre, sobald „kritischer Journalismus“ (also
seiner) als „antisemitisch diffamiert“ würde.
Nun sind Gefühlswallungen dieser Art zunächst sehr nachvollziehbar
und verständlich. Schließlich weiß der aufrichtige Deutsche ganz genau,
woran man den gemeinen Antisemiten erkennt: an Thor-Steinar-Klamotten,
Glatze und NPD-Mitgliedsausweis. Und an
Gaskammern, zweifellos. Doch damit hat ein Jakob Augstein, dieser
gebildete und gut gekleidete Mann, geradezu das Aushängeschild der
links-intellektuellen Elite, nichts am Hut. Seine Spezialität besteht
dagegen in Kolumnen, die gemeinhin das Label „Israelkritik“ tragen und
laut landläufiger Meinung einen wichtigen Beitrag zur
deutsch-israelischen Freundschaft leisten.
Kein Wunder also, dass Augsteins Entourage nun völlig aus dem
Häuschen ist. Tatsächlich ließ der Kolumnist kaum eine Gelegenheit aus, um perfide Gaza-Ghetto-Analogien zu konstruieren, Israel für den Terror verantwortlich zu machen, es zur Bedrohung des Weltfriedens zu ernennen und wirre Verschwörungstheorien zu spinnen.
Dass darin sehr wohl eine ganze Menge Antisemitismus steckt, übersteigt
nicht nur das Vorstellungsvermögen der Massen. Die meisten wollen
Augsteins antisemitisches Potenzial schlicht nicht erkennen, weil sie
es mit ihm teilen. Schließlich kennen sie selbst es nur allzu gut:
dieses Kribbeln, sobald sich irgendwo der Hauch einer Chance bietet, den
erhobenen Zeigefinger in Richtung Israel zu schwenken. Und selbst
Antisemit zu sein, nun, das ist seit ein paar Jahrzehnten wirklich nicht
mehr schick. Es gilt, den Antisemiten trotz Augstein und Wiesenthal
wieder säuberlich als „Israelkritiker“ zu etikettieren.
Darum widmet sich die Nie-wieder-Fraktion jetzt einer wesentlich
wichtigeren Aufgabe: der Rettung des Antisemitismus-Begriffs. Denn da
Augstein weder Nazi noch Mullah oder Muslimbruder ist, könne er
konsequenterweise kein Antisemit sein, weshalb seine Ehrung den
Antisemitismus-Begriff „beliebig“ oder gar „wertlos“ machen würde. Der
inflationäre Gebrauch des A-Wörtchens nütze gar den „echten“
Antisemiten, heißt es. Eine entsetzliche Vorstellung! Und auch Jakob Augstein selbst treibt die Sorge um den Kampf gegen Antisemitismus um, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt.
Eigentlich ist es ja sehr rührend, Augsteins Entourage bei der
Rettung eines Begriffs zuzusehen, während doch sonst eher „unterdrückte“
Palästinenser oder jüdische Vorhäute die „to save“-Liste anführen.
Tatsächlich handelt es sich hier aber um eine sehr ernste Angelegenheit.
Wer Antisemit ist, bestimmt schließlich immer noch das Volk. Und dem
kann es nur recht sein, wenn die Antisemitismus-Latte möglichst so hoch
angelegt ist, dass es selbst noch ewig bequem darunter hindurch laufen
kann. Mit der Ernennung Jakob Augsteins zum Antisemiten ist genau dieser
Titel für viele hauptberufliche „Israelkritiker“ in bedrohliche Nähe
gerückt. Darum liegt ihnen umso mehr an einer Neudefinition, die
möglichst nur den rechtsextremen Bodensatz der Gesellschaft inkludiert.
Dann nämlich wäre auch ein großer Sicherheitsabstand zu den anständigen
Kreisen garantiert, in denen Jakob und seine Jünger ihre Runden drehen.
Insofern hat die aktuelle Debatte auch nichts mit Juden oder Israel
zu tun, sondern gleicht vielmehr einem groß angelegten
Räuber-und-Gendarm-Spiel: Unzählige Träger eines guten Gewissens
verstecken sich auf weiter Flur und hoffen, bloß nicht von der Realität
aufgespürt zu werden. Zur Tarnung empfiehlt es sich natürlich, solange
am Antisemitismusbegriff herumzudoktern, bis er nicht mehr auf einen
selbst passt. Das Spiel gewinnt derjenige, der das Wörtchen dann
endgültig vor der „Beliebigkeit“ bewahrt hat.
Dabei gäbe es doch so viele andere Dinge, die zu retten sich lohnte. Etwa Eisbären, den Euro oder die gute alte Glühbirne. Aber das macht offenbar nicht so viel Spaß wie eine „kritische“ Reise nach Jerusalem.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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