Ein unscheinbares Berliner Café ist der Ort, an dem sich erst neulich
Freitag-Verleger Jakob Augstein und Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender
des Auswärtigen Ausschusses, zu einer außerordentlichen Krisensitzung
verabredeten:
Jakob Augstein: „Herr Polenz, mir wird das alles zu viel. Eigentlich
wollte ich ja nur Israel kritisieren, aber irgendwie ist da was schief
gegangen, und jetzt halten mich alle für einen Antisemiten.“
Ruprecht Polenz: „Das kann doch jedem mal passieren. Künftig müssen Sie eben etwas geschickter vorgehen.“
JA: „Natürlich, aber wissen Sie, ich bin ja wirklich kein Antisemit. Und
da dachte ich, eventuell könnten Sie als enger Freund Israels mal ein
gutes Wort für mich einlegen …?“
RP: „Dieser Bitte komme ich gerne nach. Außerdem müssen doch gerade wir als Freunde Israels -“
JA: „… Israel kritisieren?“ (RP nickt mehrmals) „Sehe ich genauso. Und
zusammenhalten müssen wir auch, also, sofern es Ihre Zeit nicht allzu
sehr beansprucht.“
RP: „1. Machen Sie sich da mal keine Sorgen. 2. Der Auswärtige Ausschuss
kommt gelegentlich auch ganz gut ohne mich aus. 3. Ich habe über 5000
Freunde bei Facebook, die ganz ähnlich wie Sie denken, für deren
Beiträge ich aber NICHT verantwortlich bin. 4. Ich gehe sowieso bald in Rente.“
Zugegeben: Dieses Szenario ist natürlich frei erfunden. Wer aber in
letzter Zeit mal auf Ruprecht Polenz‘ Facebook-Seite vorbeigeschaut hat,
der weiß, dass es durchaus so oder so ähnlich stattgefunden haben
könnte. Denn im Rennen um den Titel „Fleißigster Augstein-Groupie aller
Zeiten“ hat der Münsteraner mittlerweile die pole position übernommen.
ZfA-Mitarbeiterin Juliane Wetzel, ZDJ-Vize Salomon Korn,
FAZ-Feuilleton-Chef Nils Minkmar, dessen Assistentin Alexandra Ayala
Belopolsky u.v.m. – kaum ein Augstein-Verteidiger schaffte es, einer
Zitation durch Ruprecht Polenz zu entgehen.
Sein Herz schlägt keineswegs nur für Kostümjuden. Auch das Schicksal des
kritischen Journalisten macht ihm zu schaffen. Große Sorge bereiten ihm
nicht etwa Augsteins Pamphlete, sondern „dass und wie Jakob Augstein
auf eine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten“ kam. Dessen Aussagen
über Israel als größte Bedrohung des Weltfriedens seien nämlich „falsch,
aber nicht notwendigerweise antisemitisch“. Antisemitisch wären sie
erst dann, wenn Israel „also deshalb, weil [es] der Staat der Juden ist,
die größte Bedrohung für den Weltfrieden“ sei. Davon habe „Augstein
aber nicht gesprochen“.
In der Tat, vielleicht meinte Augstein mit Israel wirklich nicht den
Staat der Juden, sondern den der Araber, Drusen, Christen und Beduinen.
Gemäß Polenz’scher Logik wären auch Klassiker wie „Die Juden sind unser
Unglück“ zwar immer noch falsch, aber vielleicht gar nicht mehr
antisemitisch, weil man ja nie sicher wissen kann, ob er auf Juden als
Juden, oder auf Juden als Männer, Frauen und Vegetarier abzielt.
Selektives Differenzieren ist jedoch nicht die einzige Stärke des
Münsteraners. Auch die Fähigkeit, Lehren aus der Vergangenheit zu
ziehen, liegt ihm sehr: „Ich denke schon, dass wir Deutsche eine
besondere Verpflichtung haben, gegen Antisemitismus vorzugehen“. Nur
beim Antisemiten-Stadl auf seiner eigenen FB-Seite macht er gerne eine
Ausnahme. Aktuell sind es ohnehin eher die „Gefahren eines ausufernden
Antisemitismusbegriffs“, die ihm den Schlaf rauben:
„Kritisiert wurde Broder, weil er Augstein einen Antisemiten genannt hat. Das ist angesichts der deutschen Geschichte so ziemlich der schlimmste politische Vorwurf, den man jemandem machen kann. Broder geht mit diesem Vorwurf außerordentlich freigiebig um.“
Ja, so ist er, der beste Freund, der Israel und allen Juden je passieren
konnte. Um den Antisemitismus gebührend zu bekämpfen, macht er sich
dafür stark, dass Antisemiten nicht mehr als solche bezeichnet werden
dürfen. Und sollte dann immer noch ein Jude aufmucken, ruft Polenz ihn –
gerade als Freund und Deutscher – höchst differenziert zur Ordnung.
Natürlich hat der Ex-Generalsekretär nichts gegen Juden. Aber ein
bisschen mehr Rücksicht auf die Deutschen und ihr Schicksal wünscht er
sich offenbar schon von ihnen. Vor, neben und hinter den Gaskammern
gestanden zu haben ist schließlich auch ein Trauma, das so schnell nicht
vergeht.
Vor der letzten Konsequenz scheut sich der Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses hingegen noch: den Juden offen zu empfehlen, es doch
endlich mal gut sein zu lassen und ihr nicht-jüdisches Umfeld nicht
weiter zu provozieren. Aber sonst ist sein Engagement wirklich große
Klasse. Wenn dafür nicht mal ein Gratis-Abo für den „Freitag“
rausspringt.
Zuerst auf der "Achse des Guten" erschienen.
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