Abschieben für Deutschland

Es ist gefühlt eine halbe Ewigkeit her, als AfD-Chef Alexander Gauland vorschlug, die damalige Staatsministerin Aydan Özoguz "in Anatolien zu entsorgen". Wesentlich jüngeren Datums ist die an "Kümmelhändler und Kameltreiber" gerichtete Aufforderung André Poggenburgs, sich "dorthin zu scheren", wo sie seiner Ansicht nach hingehören - nämlich "weit, weit, weit, hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern". Das gefiel dem Aschermittwochs-Publikum, das beim Stichwort "Cem Özdemir" wiederum wie auf Kommando "ABSCHIEBEN!!!" zurückgröhlte. Und nun meldet sich Alice Weidel zu Wort, um Deniz Yücel nicht nur sein Journalist-, sondern auch sein Deutsch-Sein abzusprechen. Wer Deutscher ist und wer nicht, und wo er oder sie sich dementsprechend hinzubegeben hat, ist innerhalb der AfD zweifellos eine Frage von außerordentlicher Relevanz. Nur die Antworten darauf changieren noch ein wenig. Ein Pass allein, also geltendes Recht, macht jedenfalls noch keinen Deutschen. Soviel steht fest. Was gibt aber dann den Ausschlag? Die Hautfarbe, die aus alternativer Sicht ja auch bei Boateng und Noah Becker eine Rolle spielt? Der Geburtsort der Großeltern? Die Gesinnung? Eine Mischung aus alledem? Poggenburg macht daraus zum Glück keinen Hehl. Er führt einen deutsch-türkischen Verband, dessen Statement ihm nicht passt, ins Feld, nur um anschließend allen hier lebenden Deutschen mit türkischen Wurzeln kollektives Koffer-Packen zu empfehlen. Wobei der Verband sowieso nur ein Vorwand ist, den Poggenburg und die seinen gar nicht brauchen, um zu ihrer „Ihr gehört hier nicht her!“-Überzeugung zu gelangen. Es klingt nur besser, wenn man es dann anschließend mal wieder nicht „so gemeint“ haben will.

Gauland und Weidel berufen sich dagegen auf ihre ungeschriebene Entscheidungsbefugnis qua Biodeutsch-Sein: Wer eine "falsche Herkunft" und noch dazu eine falsche Gesinnung hat, gehört nicht dazu. Und wer nun die passenden Wurzeln und Meinungen hat, entscheiden Gauland und Weidel. Einen Yücel allein kann man gerade noch so hinnehmen. Aber wehe, er wird übermütig und macht Witze, die der AfD nicht gefallen. Dann ist Schluss mit lustig - genauso wie bei Frau Özoguz, die ihr Recht auf nicht-AfD-konforme Äußerungen allein aufgrund der Tatsache verwirkt hat, dass ihre Eltern nicht hier geboren wurden. Während Gauland und Weidel vorerst "nur" ein Deutsch-Sein unter Vorbehalt und mit 2.Klasse-Ticket propagieren, ist Poggenburg schon einen Schritt weiter und möchte präventiv gegen die durch "aufmüpfige Ausländer" drohende Gefahr vorgehen. Schließlich lauert in jedem Türken (also dem, den man dafür hält) wahlweise ein kleiner Yücel, ein IS-Kämpfer oder mindestens ein "vaterlandsloser Geselle".

Nun gibt es durchaus gute Gründe, Frau Özoguz auf Grundlage ihres bisherigen Schaffens für eine Fehlbesetzung zu halten. Man kann ebenso Yücels Sarrazin-Kolumne für geschmacklos und bestimmte Verlautbarungen mancher Migranten- und Islam-Funktionäre für fragwürdig halten. Bloß ist es ja ohnehin nicht der inhaltliche Streit unter Individuen, den die AfD sich auf die Fahnen schreibt. In Özoguz wie in Yücel sieht man nicht die Politikerin oder den Journalisten, sondern in allererster Linie den „Ausländer“. Es ist dementsprechend das große Ganze, das der AfD am Herzen liegt: das Deutsch-Sein an sich und die exklusive Mitgliedschaft in diesem Nobel-Volk, als dessen strenger Türsteher man sich versteht. Um dieses Deutsch-Sein zu definieren, bedient man sich als "Partei des Rechtsstaats" dann mit Vorliebe bei Erdogan und mischt noch eine großzügige Portion Abstammungs-"Lehre" mit rein.


Das passiv-aggressive Grundrauschen, das inzwischen entstanden ist, sorgt am Ende für eine besonders pikante Note: groß im "Entsorgen", genauso groß aber auch im kollektiven Mimimi, und daher doppelt so groß in jammer-deutschen Gewaltfantasien, die derzeit die Kommentarspalten zum Thema Yücel, diesem „Feind des Volkes“, einnehmen. Was wiederum die Frage aufwirft, wie weit es mit den "deutschen Patrioten" her ist, wenn sie nicht einmal einen Deniz Yücel aushalten können. Aber Diskrepanzen dieser Art müssen weder den Experten für Kümmelhandel noch den für angewandte Entsorgung sonderlich tangieren. Man wehrt sich schließlich nur gegen all die Demütigungen, die man als Deutscher gemeinhin zu erleiden hat. Ganz wie immer also.
 
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Dresden: Festspiele des Selbstmitleids

Alle Jahre wieder richtet Dresden zum Jahrestag der alliierten Luftangriffe beachtliche Gedenkevents aus. Auf Selbstmitleid und Entkonkretisierung der Geschichte folgt nun ein Vorschlag aus der AfD, der den 13. Februar zum Feiertag befördern soll. Björn Höcke gefällt das.

 
 
Der Dresdner an sich fällt nicht nur durch sein fideles Wesen auf. Was ihn zugleich von allen anderen west- und ostdeutschen Großstädtern unterscheidet, ist die Ernsthaftigkeit, mit der er die Rolle seines Lebens spielt: die des Opas, der vom Krieg erzählt. Jahr für Jahr richtet Dresden anlässlich der Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945 ein beachtliches Gedenkevent aus. Traditionen muss man schließlich pflegen. Das wusste schon die SED-Führung, die den Jahrestag der verheerenden Angriffe durch „anglo-amerikanische Luftgangster“ zu einem antiimperialistischen Propaganda-Spektakel beförderte. Erfunden hat die DDR derlei Folklore indes jedoch nicht. Zu verdanken ist sie vielmehr NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, der sich schon in den Trümmern der zerstörten Stadt daran machte, der Katastrophe einen „Volksgemeinschaft“-tauglichen Spin zu verpassen.

Natürlich, das alliierte Kalkül vom „moral bombing“, das in Dresden 25.000 Tote forderte, ging ohnehin nicht auf. Die Deutschen folgten ihrer Führung unbeirrt, schickten bis zum Schluss Juden in den Tod und wussten ohnehin genau, wo das Böse lauert – nicht in der Wolfsschanze, sondern im Westen. Dennoch ließ Goebbels nichts anbrennen und hängte der damals bekannten Zahl der Toten noch schnell eine Null an. Bestattungslisten sprachen von 20.204 Toten, die Propaganda von 202.040. Fertig war der Mythos, der in der DDR weiter gedieh und auch die Wende, Historikerkommissionen und seriöse Forschung unbeschadet überlebte. Wer heute einen Dresdner beleidigen möchte, erzielt mitunter eine durchaus ordentliche Trefferquote, wenn er von 25.000 Todesopfern spricht.

Geschichte ist das, was man für sich selbst daraus macht

Die Dresdner verfügen über eine einzigartige Begabung, sobald es darum geht, sich selbst zum unschuldigen Opfer der Geschichte zu befördern. Einer Geschichte, die laut sächsischer Überlieferung natürlich erst in diesem Februar 1945 losging – also zu dem Zeitpunkt, als auch die Dresdner selbst den bis dahin schon sechs Jahre andauernden Krieg zu spüren bekamen. Von da an mauserten sich die Elbflorenz-Bewohner zu Experten für angewandte Kritik einer auf die Zivilbevölkerung ausgerichteten Kriegsstrategie. Als die deutsche Luftwaffe ihre Bomben etwa über Warschau und Coventry abwarf, waren die Dresdner dahingehend bedauerlicherweise noch nicht so weit. Einige von ihnen sind es bis heute nicht. Insofern ist es nur konsequent, dass daneben auch der deutsche Vernichtungsfeldzug im Osten sowie die Gaskammern ihren Platz im örtlichen Geschichtsbuch räumen müssen. An ihre Stelle tritt die vom Bombenkrieg betroffene Oma, die exklusiv und ausschließlich als Bombenopfer betrachtet wird. Dass Oma nicht nur Opfer der britischen Luftangriffe, sondern womöglich auch eine glühende Nationalsozialistin war; dass beides eventuell sogar in Zusammenhang zueinander steht – wenngleich die Bomben keinen Unterschied zwischen Tätern, Mitläufern, Unschuldigen und Verfolgten machten –, gilt von Dresden aus betrachtet nicht selten als pure Ketzerei. An der Elbe hat man es lieber bekömmlich. Geschichte ist nicht das, was war, sondern das, was man für sich selbst daraus macht.

Über Jahrzehnte hinweg bildete der 13. Februar in Dresden den Höhepunkt der Festspiele des Selbstmitleids. Heute ist das weitestgehend noch immer so, nur etwas eleganter verpackt. Neonazis, die einen „Bombenholocaust“ beklagen, treffen auf Antifa-Aktivisten. Daneben entsteht eine Lichterkette für all jene, die an diesem identitätsstiftendem Tag nicht direkt in die Rauferei einsteigen wollen, allerdings auch nicht dazu imstande sind, einfach daheim zu bleiben und den Toten ihre Ruhe zu lassen. Die Stadt Dresden unterhält eine eigens dem 13. Februar gewidmete Website mit einem reichlich gefüllten Terminkalender, der für jeden etwas bietet: vom Spaziergang auf dem „Dresdner Gedenkweg“ über einen „International Peace Slam“ („internationale Gastwissenschaftler berichten (…) über ihre Friedenserfahrungen“) bis hin zum Gedenken in, vor oder unter der Frauenkirche bis spät in die Nacht. Wer es eilig hat, kann im Rahmen des „dezentralen Gedenkens“ auch schnell und unverbindlich einen von acht Gedenkorten aufsuchen.

Überall Opfer, nirgendwo Täter

Über alledem schwebt das offizielle Gedenk-Motto der Stadt: „Aus Anlass der Bombardierung unserer Stadt im Februar 1945 erinnern wir an die Opfer von Nationalsozialismus und Krieg, Hass und Zerstörung.“ Ein beachtliches Unterfangen, das allerdings auch ein paar Komplikationen in sich birgt. Immerhin freuten sich nicht wenige Opfer der Nazis  über die im gleichen Atemzug erwähnte Zerstörung durch die Alliierten, die eben auch ein Ende des Grauens versprach. Die Luftangriffe und das folgende Chaos waren es, die den Dresdner Juden und deren Angehörigen, die schon auf der Deportationsliste standen, das Leben retteten. Aber über derlei Feinheiten muss man sich an der Elbe keine Gedanken machen. Verfolgte hin, Verfolger her, am Ende waren wohl alle „Opfer von Nationalsozialismus“ – was ein wenig so klingt, als gäbe es mehrere Nationalsozialismen, wodurch das Original nicht ganz so auffällt.

Möglicherweise ist die Erwähnung der Opfer des Nationalsozialismus aber auch nur eine Pflichtübung, die sich weniger an die Dresdner, sondern vielmehr an Nicht-Dresdner richtet, denen das ritualisierte Selbstmitleid sonst nur schwer zu vermitteln wäre. Wie könnte man schließlich etwa einem Hamburger, dessen Stadt durch alliierte Bombenangriffe 34.000 Tote verzeichnete, das alljährliche Spektakel verständlich machen? Wie will man erklären, dass die einen ihr Erbe akzeptieren können, man selbst aber nicht darüber hinwegkommt? Betrauert man rund um die Elbe überhaupt noch wirklich die Opfer, oder instrumentalisiert man sie nicht vielmehr?

Ein Feiertag zur kollektiven Entspannung

Die Rede von „Hass und Krieg“ wiederum mutiert derweil zu wohltuender Gymnastik, dank der sich alle noch vorhandenen Verspannungen lösen und die konkreten Zusammenhänge wie von selbst verschwinden. „Nie wieder!“ klingt gut, „Nie wieder Krieg!“ noch viel besser. Ob damit der Krieg der Nazis oder der der Alliierten, der Feldzug im Namen der Vernichtung oder der Krieg gegen das Böse gemeint ist, muss man als Dresdner gar nicht erst konkretisieren. Jeder kann sich selbst aussuchen, wo er die Täter, wo die Opfer verortet. All das ist bequem und korrespondiert bestens mit der DNA der Veranstaltung, die sich hauptsächlich aus Selbstmitleid zusammensetzt. Ausschlaggebend ist daher auch nicht, ob die Stadt in diesen Tagen Stolpersteine, Friedenswissenschaftler oder Gottesdienste aufs Programm setzt, sondern die Tatsache, dass sie diesen Tag überhaupt zum Spektakel befördert.

Für manch einen ist all das aber noch lange nicht genug. Erst vor kurzem drang aus der sächsischen AfD der Vorschlag hervor, den 13. Februar „als Gedenktag zu einem staatlichen Feiertag“ zu befördern. Eine interessante Idee, die der laut Björn Höcke dringend benötigten „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ sehr nahe kommt. Nicht nur, dass damit den berufstätigen Dresdnern, die es bloß zum „dezentralen Gedenken“ in der Mittagspause schaffen, ein großer Gefallen getan wäre. Es würde auch die Verkrampfungen derjenigen lindern, die sich schon seit Jahrzehnten durch ihre Aufrechnungs-Künste hervortun und die Opferzahlen in schwindelerregende Höhen schrauben – auf dass die eigene Weste etwas weniger düster erscheint. Offenkundig sind ihnen 25.000 Opfer nicht genug. Wer aber einen gesetzlichen Feiertag hat, hat recht. Diskutieren muss er dann nicht mehr. Der 9. November und der 27. Januar sind bundesweit nur Gedenk-, keine Feiertage. Der 13. Februar als Feiertag würde daneben in hellem Glanze erstrahlen und die Herzen jener erwärmen, in deren Welt vor allem die Deutschen die Opfer der Geschichte waren.

AfD-ler, schaut nach Polen!

Vielleicht sollte man in und rund um die AfD aber auch nach Polen blicken, wo man dahingehend schon weiter ist. Dort möchte die Regierung derlei Angelegenheiten nun per Gesetz klären, womit jegliche Thematisierung der Nazi-Kollaboration von Polen während der deutschen Besatzung unterbunden werden soll. Offiziell argumentiert man in Warschau mit der in der Tat falschen Bezeichnung „polnisches Todeslager“ und dem „guten Ruf Polens“. Zahlreiche Regierungen, allen voran die israelische, sind davon jedoch weniger angetan. Auf die Kritik Netanyahus hin entlud sich im Netz ein antisemitischer Shitstorm, der sich vor allem gegen die israelische Botschaft in Polen richtete. Mittlerweile, so berichtet die Botschafterin, verbreiten auch polnische Medien derlei Äußerungen. Ein Berater der PiS-Regierung attestierte den Israelis prompt Gefühle der „Scham“ aufgrund der „Passivität“ der Juden während des Holocausts. Will heißen: Selbst schuld, wenn man sich zur Schlachtbank führen lässt. Eine kreative Auslegung, die auch insoweit beachtlich ist, als die polnisch-israelischen Beziehungen bislang nicht die schlechtesten waren. Offenkundig ist selbst ein Land, das tatsächlich in besonderem Maße unter Nazis und Sowjets zu leiden hatte, nicht vor den Reizen der alles umfassenden Opferrolle gefeit.

In Dresden hingegen dürften Klitterversuche dieser Machart auf Sympathie stoßen. Der Trend geht zur Zweit-Geschichte. Warum nicht auch in Sachsen dem potentiellen Feiertag ein Gesetz zur Seite stellen? Wer die ausschließliche Opferrolle der Dresdner leugnet, wird mit Bewährung und verbindlicher Teilnahme bei Pegida nicht unter 12 Monaten bestraft. Klingt verrückt? Gewissermaßen. Aber Arthur Harris selbst hätte sicherlich auch jeden für verrückt erklärt, der ihm 1945 eine identitätsstiftende Rolle im Seelenhaushalt Dresdens vorausgesagt hätte.

Zuerst bei den "Salonkolumnisten" erschienen.
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Wenn der Nahost-Korrespondent zweimal wegsieht

Nachdem der Iran in den letzten Jahren seinen Einfluss in der Region erfolgreich ausgeweitet hat, ist er am vergangenen Samstag dort angekommen, wo er von Anfang an hinwollte: in der direkten Konfrontation mit der israelischen Armee an der syrisch-israelischen Grenze. Eine iranische Drohne drang in den israelischen Luftraum ein, wurde jedoch rasch von der israelischen Luftwaffe abgeschossen. Die wiederum flog daraufhin Angriffe auf iranische Stellungen in Syrien, wobei eine F-16 der Israelis ins Feuer der syrischen Luftabwehr geriet und abstürzte. Die Piloten - einer leicht verletzt, einer schwer - konnten sich per Schleudersitz auf israelischen Boden retten.

Soweit der Stand der unheimlichen Dinge, auf den nun die gut eingeübten Wortmeldungen folgten. Immerhin, das amerikanische Außenministerium verurteilt die iranische Aggression, während Vladimir Putin, der Heiland im "Kampf gegen den Terror" und bester Freund Assads und der Mullahs, Netanyahu dazu auffordert, jegliche "Eskalation" in Syrien zu unterbinden und die Souveränität Syriens zu achten. Im Eskalationsgewerbe kennt er sich schließlich aus. Der Chef der UN fordert ebenfalls mehr Deeskalation und verabschiedet sich danach wieder ins wohlverdiente Wochenende. In Gaza und im libanesischen Hisbollah-County wird gefeiert, in den Straßen von Damaskus verteilt man zur Feier des Tages Süßigkeiten. In Europa herrscht derweil das übliche Schweigen. Auch in Deutschland fällt niemandem etwas ein, was in Anbetracht der vorangegangen Wortmeldungen in Sachen Iran - etwa Sigmar Gabriels Rat an die iranischen Demonstranten, es nicht zu übertreiben - schon eine positive Entwicklung ist. Keinen wirklichen Außenminister zu haben ist eben auch nicht das Schlechteste. Einzig Frank-Walter Steinmeier meldet sich zu Wort. Und zwar mit einem Glückwunsch-Telegramm in Richtung Teheran anlässlich des 39-jährigen Jubiläums der Islamischen Revolution, das am Sonntag feierlich von denen begangen wurde, die zeitgleich Frauen ohne Kopftuch in Folterknäste sperren. Man muss eben Prioritäten setzen, gerade auch als Deutscher.


Was den europäischen Diplomaten an Worten fehlt, bügelt nun allerdings das öffentlich-rechtliche Fernsehen mühelos wieder aus. Der ARD-Israel-Korrespondent verrät beispielsweise in der Tagesschau, die israelische Regierung würde sich vom "Iran bedroht fühlen". Also ungefähr so, wie sich manche Menschen von Spinnen "bedroht fühlen". Gefühle sind bekanntermaßen eine recht subjektive Angelegenheit. Gut möglich, dass die Israelis einfach gerade diverse Schwankungen ihres Gefühlshaushalts durchleben und sich die iranische Militärpräsenz vor der Haustür sowie die jahrelangen Vernichtungsdrohungen der Mullahs nur einbilden. Die ARD hält sich da lieber bedeckt. Trotz des offensichtlichen Drohnenmanövers aus iranischer Hand und trotz etlicher Zeugnisse der iranischen Militärpräsenz in Syrien zitiert man lieber beide Seiten: die "Behauptungen" Netanyahus, die Dementis der Iraner. Am Ende kann der Zuschauer dann auswürfeln, ob das iranische Regime nun in Syrien präsent ist oder nicht. Dass Israel sich nicht nur bedroht fühlt, sondern auch bedroht ist, muss man ja nicht gleich verraten. Wäre schließlich schade um das beliebte Narrativ vom stetig aggressiv gestimmten Israel.

Nicht minder aufschlussreich geht es auch beim "heute journal" zu. Ob Netanyahu denn jetzt wirklich "sein Land hinter sich" hätte, nachdem er auf "einen Drohnenflug mit zwölf Bombenangriffen reagiert hat", möchte Claus Kleber von Nicola Albrecht in Tel Aviv wissen. Die bejaht, mit ernster Miene, hat sie doch bedauerlicherweise keinen Israeli finden können, der mit der Bedrohung der eigenen Existenz auch gut leben könnte. Ohnehin ist der Fall für sie klar: "Beide Seiten spielen mit dem Feuer", erklärt die ZDF-Korrespondentin dem deutschen Publikum, so als ginge es um eine Auseinandersetzung im Sandkasten, bei der es nur selten Unschuldige gibt. Dass beide Seiten "rote Linien" austesten, will sie ebenso herausgefunden haben. Wo ihre persönliche rote Linie verläuft, bei Raketenalarm in Tiberias oder erst dann, wenn der "red alert" in ihrem eigenen Büro in Tel Aviv ertönt, lässt sie indes offen. Ohnehin beunruhigt sie vielmehr, dass Netanyahu "diesen Vorfall nutzen wird, um sein außenpolitisches Mantra, nämlich dass Iran der eigentliche Aggressor hier in der Region ist, der Böse, noch einmal auf der internationalen Plattform intensivieren wird". Und das, so der unausgesprochene Gedanke, wäre dann wirklich der Ernstfall. Da wüssten selbst erfahrene Nahost-Korrespondenten nicht mehr weiter. Ein drohender Krieg zwischen dem Iran und Israel auf dem Golan und im Libanon, Raketen, Tote, nukleare Ambitionen der Mullahs, die über alledem schweben - nicht schön, aber auch nicht sonderlich erwähnenswert, und erst recht nicht so schlimm wie die Vorstellung, dass ein israelischer Regierungschef etwas gegen den Iran sagen könnte. Nutzt er ja eh nur für seine politischen Zwecke, dieser Schlingel.

Vielleicht muss man die Israel-Korrespondenten von ARD und ZDF aber auch einfach beneiden; um ihre Fähigkeit, selbst in Zeiten der Krise einen klaren Kopf zu bewahren und allen Widerständen zum Trotz der eigenen Linie treu zu bleiben: im Zweifel gegen Israel.

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