Wir integrieren dann mal. Über Anreize, kulturelle Abenteuer & die Frage, warum die Balkanroute der neue Jakobsweg ist

Wann immer im Rahmen der Flüchtlingsthematik das Wörtchen „Integration“ fällt, muss man auf das Schlimmste gefasst sein. Bislang wissen wir zwar weder, wer genau „zu uns kommt“, noch, wie viele es nächstes Jahr sein werden. Abhängig von der politischen Großwetterlage fliehen vor allem die Syrer mal vor Assad, mal vor dem IS.

Es kann aber auch vorkommen, dass ein Syrer gar kein Syrer ist. Doch woher diese Syrer mit oder ohne türkischen Passhintergrund dann wirklich kommen, verrät nur der BAMF-eigene Kaffeesatz. Und wer erfahren will, wie viele Analphabeten und Ärzte gerade über die Salzach spazieren, der kann sich per Los entscheiden, ob er dem UNHCR glaubt, wonach 86% der in Europa ankommenden Syrer über Abitur oder einen Uni-Abschluss verfügen, oder ob er doch lieber auf einen Bildungsökonomen hört, der zwei Drittel aller syrischen Schüler für funktionale Analphabeten hält.

Dafür wissen wir aber ganz genau, dass Integration einen festen Platz auf unserer „To schaffen“-Liste hat. Darum strebt die CDU neuerdings auch gleich die Verabschiedung von „Integrationspflichtgesetzen“ an. Ein Agreement zwischen Staat und Migrant soll dann dafür sorgen, dass „der Integrationsprozess für beide Seiten verpflichtend eingehalten wird“.  Denn „selbstverständlich sind nicht alle Menschen, die zu uns kommen, von sich aus mit den Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens vertraut, insbesondere dann, wenn sie aus Ländern oder Gegenden kommen, die keine Rechtsstaatlichkeit kennen und in denen Diskriminierungen an der Tagesordnung sind“.

Auf diese Weise soll eben nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache mitsamt Integration in den Arbeitsmarkt gefördert, sondern auch Respekt vor Andersgläubigen, Frauen, Schwulen und Juden gefordert werden. So steht es in der „Karlsruher Erklärung zu Terror, Sicherheit, Flucht und Integration“.

Irritierend ist nur, dass all das überhaupt notwendig ist. Heißt es doch nur ein paar Seiten vorher, dass Deutschland nicht nur aufgrund „unseres eindrucksvollen Niveaus an Bildung, Sozial- und Umweltschutz“, sondern auch dank „unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ auf Flüchtlinge so anziehend wirke. Wenn unsere Werte uns also zum Traumziel befördern, warum muss man sie dann erklären und deren Achtung vertraglich fixieren?

Andererseits: Vielleicht sollte man mit der CDU auch nicht allzu streng sein. Schon öfter musste man sich fragen, warum etwa ein Schuldirektor seine Schülerinnen vom Tragen des Minirocks abrät, nur weil nebenan Flüchtlinge untergebracht sind, die aber doch eigentlich „glühende Europäer“ sind, wie man erst neulich bei Maybritt Illner erfuhr.

Je länger sich die Deutschen in einer Beziehung mit den Flüchtlingen befinden, desto komplizierter wird es. Erst erblickten sie in jedem Afrikaner einen Wiedergänger Anne Franks. Das war Grund genug, umgehend die private Altkleidersammlung zum nächstgelegenen Hauptbahnhof zu verfrachten.

Nun sind sie bemüht, jegliche Dissonanz aus ihrem Weltbild zu verbannen. Wer auf Probleme oder schwarze Schafe hinweist, erfährt umgehend, dass Menschen, die Krieg, tausende Kilometer Fußweg und eine Schlauchboot-Fahrt übers Mittelmeer hinter sich haben, a priori nicht zu Bösem fähig sein können. Ganz so, als handele es sich bei der Balkan-Route um den Jakobsweg, bei Assads Fassbomben um einen Grundkurs für Pazifismus und bei rauer See um eine moralische Besserungsanstalt. Aber vielleicht können die Deutschen auch gar nicht anders, als Menschen nicht in Abhängigkeit von ihrem Verhalten, sondern einzig aufgrund ihrer bloßen Abstammung zu beurteilen – und sie darauf basierend wahlweise zu ermorden oder zu glorifizieren.

Was jedenfalls die Integration angeht, von der oftmals so gesprochen wird, als handele es sich um einen Fünfjahresplan, lässt sich niemand beirren. Sie sei zwar eine Herausforderung, aber auch eine Chance, so hört man. Natürlich nicht primär für die Einwandernden, sondern für Einheimischen, denen in Sachen Integration die Hauptrolle gebührt. 

Dabei ist Integration als solche denkbar einfach. Am besten funktioniert sie, wenn sich alle gegenseitig in Ruhe lassen – der Neonazi den Migranten genauso wie der Migrant den Kippa-Träger. Das wäre Integration für Anfänger. Integration für Fortgeschrittene berücksichtigt die Tatsache, dass die allermeisten Auswanderer solche Destinationen wählen, die ihnen besonders gut gefallen. Wer sich von der Idylle des bayerischen Voralpenlandes angezogen fühlt, wird als Neu-Einwohner selbstverständlich darauf achten, dass die Seepromenade sauber bleibt. Und wem die Offenheit der US-Amerikaner zusagt, wird selbst dazu beitragen, anstatt auf das obligatorische „How are you?“ patzig „Who are you to ask me?“ zu antworten.

Nun handelt es sich auch bei den meisten Flüchtlingen um Einwanderer – und das nicht nur hinsichtlich ihrer Aufenthaltsdauer. Der lange Weg, der zwischen türkischem Auffanglager und deutschen Turnhallen liegt, hat nur wenig mit der Frage über Leben und Tod und viel mit dem Streben nach Wohlstand zu tun. Inwiefern sie von den Vorzügen des Rechtsstaats, deutscher Pünktlichkeit, Windkraft, Mülltrennung und Goethe träumen, ist bislang nicht bekannt.

Man weiß nur, dass sie den Weg des geringsten Widerstands gehen, der zwangsläufig nach Deutschland führt. Sie würden vermutlich auch nach Polen oder Estland wandern, wenn dort offene Grenzen und ein freundliches Gesicht auf sie warteten. All das zeugt von Vernunft. Mit dem klassischen „Good-bye-Germany“-Auswanderer, der sich schon Jahre im Voraus obsessiv mit seiner künftigen Heimat befasst, eint den modernen Flüchtling indes nicht viel.

Hier angekommen trifft er jedenfalls recht zügig auf gut integrierte Politiker, die sich für einen Teil der Lösung halten. Das fängt an mit Andrea Nahles, die nicht einmal jeden 10. Flüchtling für umgehend arbeitsfähig hält, nur um anschließend Vermutungen, wonach das auch am Mindestlohn liegen könnte, ins Reich des Bösen zu verbannen. Und es endet bei Julia Klöckner, die der Ansicht ist, eine Unterschrift und eine minimale Leistungskürzung könnten beispielsweise einen manifesten Israel-Kritiker zur Einsicht bewegen.

Mit Anreizen, die das Erlernen der deutschen Sprache wirklich erstrebenswert erscheinen lassen, halten sich beide hingegen vornehm zurück. Wer als Migrant derweil die Website des BAMF besucht, erfährt in der Sektion „Willkommen in Deutschland“ alles, was er über Wohngeld, Kindergeld, Elterngeld, Sozialhilfe und weitere Zuschüsse wissen muss. Dazu muss er übrigens kein Deutsch können. Und damit das auch so bleibt, unterlegt das ZDF die hauseigene Kinder-Nachrichtensendung „Logo“ nun mit arabischen Untertiteln. Denn schließlich sollen auch die Kleinsten wissen, dass Sprache zwar ein „nice to have“, aber kein „must have“ ist.

Und so endet Integration dort, wo alles im Spätsommer diesen Jahres so richtig begann: Bei den professionellen Teddy-Weitwurf-Sportlern, die sich schon am Münchner Hauptbahnhof hervorgetan haben. Höchstens ein Viertel von ihnen widmet sich heute den Dingen, die man eben als Flüchtlingshelfer so macht: Alphabetisierungskurse, Deutschkurse, nach Winterjacken suchen, Seepferdchen-Kurse, Wandern und weitere Freizeitaktivitäten, die unabdingbar sind, sofern man die ortseigene Turnhalle nicht zu einem Hort von aus Langeweile gespeister Aggression verkommen lassen will. Der überwältigende Rest besteht aus Pragmatismus sowie biodeutschen Rentnerinnen und Hausfrauen, die für gewöhnlich kein „Refugees Welcome“-T-Shirt tragen und sich eher selten auf attac-Demos zeigen. Menschen also, die in der offiziellen Version des Sommermärchens nicht vorkommen.

Ihnen obliegt es vom ersten Tag an, den „Integrationsturbo anzuwerfen“, wie Claudia Roth so schön sagt. Freilich nicht immer ohne kulturelle Dissonanzen. Da ist zum Beispiel die Flüchtlingshelferin, die einer Syrerin gerne einen Besuch beim Friseur spendieren möchte, dafür aber nun nach einem halal-Friseur Ausschau hält, wo Frauen und Männer getrennt frisiert werden. Oder die andere Flüchtlingshelferin, die mit ihrem Freund in einer Unterkunft aktiv ist und nun auf Facebook berichtet, dass ihr ein „total freundlicher“ Flüchtling den Handschlag verweigert hätte, ihrem Freund aber nicht. Und zwar mit der Begründung, er hätte sich gerade für das Gebet gereinigt und dürfe nun keine Frauen mehr berühren. Zwar artikuliert sie ihm gegenüber ihr Unbehagen, aber immerhin habe sich der gute Mann ja auch dafür entschuldigt.

Woraufhin die restlichen Flüchtlingshelfer sich wahlweise über die der Erzählung innewohnende westliche Arroganz empören, das Verhalten des Mannes zum „Salz in der Suppe“ im multikulturellen Miteinander erklären, darin ein „Zeichen des Respekts“ gegenüber Frauen ausmachen, religiöse Toleranz fordern oder darauf hinweisen, dass Händeschütteln ohnehin „Keimübertragung schlechthin“ sei.

Dass es sich beim verweigerten Handschlag ebenso wie bei der Notwendigkeit eines Halal-Coiffeurs auch um ein eher ausbaufähiges Frauenbild halten könnte, gilt freilich als ausgeschlossen. Denn in Deutschland gibt es zwar eine Linke, die gegen den verheerenden Einfluss rosafarbener Spielsachen auf unschuldige Mädchenseelen kämpft. Wegen Sexismus, Rollenbildern und Gender. Aber dass es auch das Frauenbild junger Männer prägen könnte, in Gesellschaften aufgewachsen zu sein, in denen die Verteidigung der weiblichen Ehre unter allen Umständen erwünscht ist, hat sich von Kabul aus offenbar noch nicht bis nach Karlsruhe herumgesprochen. Insofern ist es nur konsequent, dass beispielsweise die „Aufschrei“-verdächtige Süddeutsche Zeitung neulich nicht etwa über das Frauenbild muslimischer Männer berichtete, sondern über die Vorurteile, die Deutsche gegenüber muslimischen Männern so hegen.

Doch zurück in die Flüchtlingsunterkunft: Was also tun in solchen Situationen? Die Männer auf ihre Unterschrift unter der Integrationsvereinbarung hinweisen und notfalls bei Julia Klöckner Beschwerde einreichen? Ihnen das Grundgesetz im Minirock vortanzen? Oder lieber gleich die Frau zum Haram-Friseur entführen? Die Antwort liegt freilich nahe: Ignorieren. Entweder, weil gemäß deutscher Teddy-Philosophie nicht sein kann, was nicht sein darf. Oder aber, weil daheim ein Berg Wäsche plus Enkelkind warten und man folglich nicht immer über die Nerven verfügt, die Gleichberechtigung der Geschlechter in mäßigem Englisch wieder neu zu verhandeln.

„Flüchtlinge brauchen eine ausgestreckte Hand. Flüchtlinge brauchen aber auch eine Hand, die ihnen den Weg weist, wie unser Zusammenleben funktioniert.“ Diesen wohlklingenden Satz findet man ebenfalls im Leitantrag der CDU. Vielleicht würden jedoch weniger falsche Anreize und noch viel weniger Hände, die Hilfe mit Eigentherapie verwechseln, auch schon helfen? Eine der vielen Fragen, mit deren Klärung sich dann wohl die Historiker-Riege des nächsten Jahrhunderts beschäftigen dürfte.


Zuerst auf der "Achse des Guten" erschienen.
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Sehr geehrter Heiko Maas ...

... mit Blick auf die Flüchtlingskrise sind alle gefragt. Auch Sie als Justizminister leisten nun Ihren Beitrag. Unlängst haben Sie einen Termin mit Mitarbeitern des sozialen Netzwerks Facebook vereinbart, um sich mit ihnen im Kontext fremdenfeindlicher Angriffe auf Flüchtlingsheime über rassistische Inhalte auf der Plattform zu unterhalten. Denn Facebook, so besagen es die Gemeinschaftsstandards, sei kein Ort für Hass. Daher bietet das Unternehmen eine Funktion, mittels derer Mitglieder Hassbotschaften zur Überprüfung melden können. Blöd ist nur, dass Facebook oft keinen Anlass sieht, derartige Inhalte zu löschen.

Nun steht Ihnen keine leichte Mission bevor. »Free Speech« ist den Amerikanern heilig. Fraglich ist ebenfalls, wo die Grenze zwischen Hetze und Ansichten, die eine Demokratie ertragen muss, verläuft. Und klar dürfte auch sein, dass man Inhalte zwar auf Facebook löschen kann, nicht aber in den Köpfen ihrer Verfasser.

Jedoch: Wer mit diesen Standards wirbt und eine solche Funktion anbietet, muss auch liefern. Insofern, Herr Maas, ist Ihr Schritt begrüßenswert. Nur hätten Sie ihn schon etwas früher tätigen können. Im Sommer letzten Jahres etwa, während der israelischen Militäroperation »Protective Edge«. Möglicherweise ist Ihnen entgangen, dass bereits da von Gaskammern die Rede war – allerdings nicht für Flüchtlinge, sondern für Juden und Israelis.
Während die »Kindermörder Israel«-Fraktion durch deutsche Städte marschierte, kümmerten sich die Daheimgebliebenen darum, auf Facebook allen Juden den Tod und der Hamas viel Erfolg zu wünschen. Unter dem Motto »Free Palestine« entstanden Hunderte von Seiten, auf denen sich Antisemiten und sogenannte Israelkritiker die Hand geben. Dazwischen wechselten sich judenfeindliche Karikaturen mit Propagandavideos und antisemitischen Stereotypen ab.

Auch sonst fühlen sich Antisemiten auf Facebook pudelwohl. Sie sind immer zur Stelle, egal, ob es um den Tod Ralph Giordanos oder Siedlungen nahe Jerusalem geht. Wenn Sie einmal Zeit haben, dann versuchen Sie doch, solche Inhalte zu melden. Sie werden nicht viel weiter kommen als jene, die erfolglos Hetze gegen Flüchtlinge melden. Daher: Wenn Sie schon mal dort sind, könnten Sie dieses Thema doch auch gleich ansprechen. Wie wäre das?

In gespannter Erwartung,

Ihre Jennifer N. Pyka


... und das sagt der Justizminister:


https://twitter.com/HeikoMaas/status/639446177478524928


Zuerst am 03.09.2015 in der "Jüdischen Allgemeinen" (online & print) erschienen.

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Vater Staat und die 800.000 Mündel

Deutschland führt ja bekanntlich gerade eine hitzige Debatte über Flüchtlinge. Unklar ist nur, wo genau die überhaupt stattfindet. Natürlich, es wird viel doziert, gesagt und gesprochen. Hier das Team „Alle raus!“, dort die „Alle rein!“-Fraktion. Dazwischen Til Schweiger, ein Busfahrer und ein paar Inhaber bekannter Positionen, die zwischen Taschengeld und europäischer Solidarität oszillieren. Das alles wäre zweifellos brillanter Stoff für ein Woody-Allen-Drehbuch, vielleicht noch ein Fall für Sigmund Freud. Aber das Label „Debatte“ mutet dann doch etwas euphemistisch an.

Derweil tauchen die immer gleichen Bilder am Horizont auf. Flüchtlinge, die sich in mazedonische Züge drängen. Weinende Kinder auf Kos. Dann wieder Flüchtlinge an der ungarischen Grenze. Dazwischen dunkle Deutsche in Heidenau und helle Deutsche, die Kuchen vorbeibringen. Wer daneben gerne wissen möchte, wie es nun angesichts von 800.000 Neuankömmlingen weitergeht, wo sie wohnen und arbeiten sollen, wird rasch auf den „Kampf gegen rechts“ und das Leid der Flüchtlinge verwiesen. Das eine ist zwar nicht falsch, das andere zweifellos tragisch, nur eben nicht die Antwort auf die Frage.

In einer besseren Welt gäbe es Wege, dieser Möchtegern-Debatte zu entgehen. In Deutschland existieren dafür jede Menge Neurosen. Dabei würde es schon reichen, nochmal zwei Monate zurück in glücklichere Zeiten zu spulen, als die einzige Person, über die man sich aufregen konnte, Martin Schulz hieß.

Indes gibt es nun ein „wir“, dem magische Kräfte nachgesagt werden. „Wir schaffen das!“ ist die Formel für Anfänger. Fortgeschrittene dagegen fragen lieber nach: „Wenn nicht wir, wer dann?“  Schade nur, dass nie geklärt wird, wer dieses „wir“ eigentlich ist.

Einigkeit herrscht hingegen insoweit, als Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das ist so sicher wie Norbert Blüms Rente und die Alternativlosigkeit der Energiewende. Allein: Diese These klingt nicht wirklich überzeugend. Denn Einwanderungsländer erkennt man in erster Linie daran, dass sie Zuwanderer nicht kollektiv wie Mündel, sondern wie erwachsene Menschen behandeln und ihnen zugesteht, in Freiheit und mit Eigenverantwortung ein neues Leben zu beginnen.

Deutschland dagegen ist ein Land für Menschen, die ohne Murren einen beträchtlichen Anteil ihres Einkommens und ihrer Würde abgeben, um sich danach vorschreiben zu lassen, wie man den Müll trennt. Ein Land, in dem man zwar gerne die soziale Kälte beklagt, aber gleichzeitig ein Markt für eine App existiert, die es jedem ermöglicht, Falschparker mühelos beim Ordnungsamt zu verpetzen. Ein Ort, an dem der Staat in Begleitung der parlierenden Klasse alles daran setzt, „Gerechtigkeitslücken“ zuzubetonieren und sich ansonsten der Dampfwalze bedient, um vorhandene Ungleichheiten plattzumachen. Denn unter der Gleichheit, die einst neben Freiheit und Brüderlichkeit rangierte, versteht man hier nicht Gleichheit vor dem Gesetz, sondern harmonische Ergebnisgleichheit in allen Lebenslagen.

Deutschland ist ein Land, das keine Unterschiede erträgt. Es debattiert lieber über eine höhere Erbschaftssteuer, um so endlich etwas gegen die Ungerechtigkeit zu unternehmen, die sich durch die Co-Existenz reicher und armer Familie breitmache. Derweil begnügt sich NRW mit einer „Hausaufgabenbremse“, um wenigstens auf diese Weise den Abstand zwischen Kindern aus sozial schwachen und jenen aus bildungsnahen Elternhäusern zu verringern. Und wenn eine grüne Politikern die Forderung erhebt, auch weniger schlanke Damen bei Misswahlen ins Rennen zu schicken, weil diese sonst durch 90-60-90-Vorgaben ausgegrenzt werden, dann gilt das nicht etwa als Beleg von geistiger Umnachtung, sondern als legitime Antidiskriminierungsmaßnahme. 

Wie soll man also sichere von unsicheren Herkunftsländern abgrenzen, wenn man schon mit dem real existierenden Unterschied zwischen arm und reich völlig überfordert ist? Und wann wird in Bezug auf das Asylrecht wenigstens sprachlich zwischen Kriegsflüchtlingen, die gerade noch dem Islamischen Staat entkommen sind, und Wirtschaftszuwanderern vom Balkan, die schlicht ein besseres Leben führen möchten, differenziert? Wenn es an allen Universitäten nur noch „Studierende“ gibt, oder erst sobald jede Chefetage zu 50% weiblich besetzt ist?
Stattdessen muss es die überraschende Erkenntnis tun, dass Flüchtlinge Menschen (und nicht etwa Pferde, Katzen oder Wühlmäuse) sind. Dass es tüchtige und faule, anpassungsbereite und integrationsunwillige, gut und schlecht ausgebildete Menschen gibt, hat sich dagegen noch nicht herumgesprochen. Der syrische Arzt, der gut gefüllte Portemonnaies zur Polizei trägt, ist demnach genauso ein Mensch wie der ein oder andere Islamist in Suhl, der einen zerfledderten Koran mit der Faust rächt und dafür mit Schützenhilfe von Bodo Ramelow belohnt wird. Auch das ist nur konsequent in einem Land, das immer dann zuverlässig gegen Islamophobie vorgeht, sobald irgendwo ein Jüngling unter Berufung auf Allah ein Blutbad nimmt.

Vor allem aber: Wie soll man Flüchtlinge in einen Arbeitsmarkt integrieren, auf dem ungefähr genauso viele Verordnungen, Richtlinien und Gesetze gelten wie es Arbeitnehmer gibt? Deutschland agiert zwar vorbildlich, wenn es darum geht, hochqualifizierte Frauen per Quote in die Führungsetage zu manövrieren. Der Unterschied zwischen „gleichen Rechten“ und „Grundrecht auf Chefsessel“ interessiert uns nicht.

Aber wie sieht es mit bildungsfernen Zuwanderern und deren Jobchancen aus, solange ein Mindestlohn existiert? In jedem Land der Welt gibt es einen Berufsstand, in dem traditionell viele Zuwanderer – zumindest die erste Generation – vertreten sind: den des Taxifahrers. In Deutschland dagegen gibt es nicht nur Andrea Nahles, deren schützende Hand solche Einwanderer vor diesem Schicksal bewahrt. Daneben existieren auch noch Gerichtsurteile, die die Mindestlohn-freie Alternative namens Uber gleich mit verbieten.

Natürlich wäre Taxifahren für wenig Geld nicht schön. Aber ein kleines Einkommen ist besser als gar keines. Zudem ist es würdevoller wie auch integrationsfördernder als Arbeitslosengeld. Als vor mehr als hundert Jahren Tausende von Iren und Italienern die erbärmlichsten Bauten New Yorks bezogen, besaßen sie nicht viel mehr als der Flüchtling aus Eritrea von heute. Es gab auch keine Integrationsexperten und kein Taschengeld, dafür nur Freiheit, miese Jobs und die wage Aussicht auf ein besseres Leben. Das reichte, um sich durchzuwurschteln und motivierte vor allem die Kinder der Einwanderer, es mal besser zu machen. Angenehm war das sicher nicht, aber es war möglich. Einwanderung und Flucht aus Armut sind nur selten erbaulich und fast immer eine Herausforderung, die sich nicht gleich morgen auszahlt.

Das Einwanderungsland Deutschland hingegen wird voraussichtlich das tun, was es am besten kann: verwalten und bevormunden. Flüchtlinge fungieren primär als schutzbedürftige Mündel, weil das die Rolle ist, die sich am leichtesten handhaben lässt. Wenn sie keinen Job finden, sollen sie halt vom Staat leben. Und wenn sie besonders viel Pech haben, werden sie von Angela Merkel gestreichelt.

Individualismus dagegen nervt. Keiner mag ihn, wir können auch nicht mit ihm umgehen – weder mental, noch praktisch. Und wer schon die autochthone Bevölkerung für intellektuell unauffällige Wesen hält, die erst dann das Zündeln sein lassen, wenn Udo Lindenberg es ihnen im Rahmen eines „Aufstands der Anständigen Deluxe“ vorsingt, wird mit neuen Gästen nicht anders verfahren.

Wo 1600 Zöllner zwecks Kontrolle des Mindestlohns eingestellt werden, dürften mittelfristig auch anderweitig Arbeitsplätze entstehen. Gebraucht werden Kindergärtner, Lehrer, Polizisten, Beamte im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Richter für Asylverfahren sowie JVA-Beamte, Staatsanwälte und Richter ob inhaftierter Schleuser. Zu den Psychologen gesellen sich dann Streetworker und Integrationsexperten. Nicht wenige davon haben ein Interesse daran, ihren Kundenstamm nachhaltig zu erweitern, zumindest aber zu erhalten. Und natürlich bedarf es zusätzlicher Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen. Die werden sich darüber wundern, dass die meisten Arbeitgeber außerhalb des Fachkräftemangel-Universums lieber einen Bewerber mit perfekten statt ausbaufähigen Deutschkenntnissen einstellen werden, wenn sie schon 8,50€ die Stunde zahlen müssen. Spätestens dann dürften all die neu eingestellten Sozialarbeiter zum Einsatz kommen, die den völlig desillusionierten und zu recht deprimierten Einwanderern in ihren Sozialwohnungen höflich mitteilen, dass der Handel mit Rauschgift hierzulande strafbar ist.

Zumindest kurzfristig dürfte all das noch günstiger als die Rettung Griechenlands sein. Mittelfristig wird Wolfgang Schäuble die schwarze Null wohl neu interpretieren müssen. Insoweit ist es nicht einmal völlig falsch, wenn Sigmar Gabriel, Andrea Nahles und Thomas de Maizière nun „Wir schaffen das!“ rufen. Die Frage ist nur, ob die Flüchtlinge das in naher Zukunft genau so sehen werden.


Zuerst am 31.08.2015 auf der "Achse des Guten" erschienen.
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Der Tränensack und der Busfahrer - und was wir daraus lernen

Ein Weltbild bricht zusammen. Deutschlands berühmtester Busfahrer, der erst neulich Claus Kleber zu Tränen rührte, hat die Facebook-Seite der AfD mit einem “Like” versehen. Zudem hat er noch andere Schweinereien verlinkt. Etwa eine leicht unterkomplexe Grafik mit der Frage, warum es für in Deutschland hungernde Kinder an Geld fehle, für andere Länder aber Milliarden übrig seien. Das wiederum hat eine Redakteurin von „Puls“,  dem Jugendkanal des Bayerischen Rundfunks, herausgefunden – natürlich nicht ohne Folgen. „Alles nur Fake?“, fragt sie zunächst besorgt.

Denn eines steht fest: Alles, wirklich alles, hätte man dem Busfahrer verziehen. Sahra Wagenknecht, Che Guevara, Anonymous - aber AfD, das geht zu weit. Was sind seine Worte dagegen noch wert? Nichts, rein gar nichts.

Was also tun? Claus Kleber raten, sich von seinen Tränen zu distanzieren? Schwer umsetzbar. Aussitzen? Wäre eine Variante. Aber nicht die beste. Die mutige Redakteurin vom Bayerischen Rundfunk entscheidet sich schließlich, nicht zu schweigen. Sie geht in die Offensive und ruft den Busfahrer an. Knallhart. Schließlich muss ja geklärt werden, ob der Mann “am Ende doch kein Held ist”. Und siehe da, sie findet Erstaunliches heraus:

“Ich rufe nochmal bei ihm an, weil ich wissen will, warum er das geteilt hat. Er erklärt mir, dass es ein Fehler war, die AfD zu liken. Aber er sagt auch, dass er von der Bundesregierung enttäuscht ist, dass er Menschen kennt, deren Rente nicht reicht oder die kaum genug verdienen für Miete und Essen. Und trotzdem sagt er, er kann das trennen von den Asylbewerbern.”


Sollte die Welt da draußen doch mehr als bloß Wille und Vorstellung sein? Die Puls-Redakteurin kommt ins Grübeln, ihr fehlt vielleicht gerade ein wenig die passende Schublade. Schlussendlich entscheidet sie sich aber, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Der Busfahrer bekommt Bewährung.  Immerhin hat er ja gestanden und bereut seine Tat. „Vielen in Deutschland geht es so wie dem Busfahrer aus Erlangen“, stellt sie fest. Aber weil womöglich in gerade diesem Moment weitere Busfahrer in Deutschland Gefahr laufen, die Seite der AfD mit „Gefällt mir“ zu markieren, fügt sie pflichtbewusst hinzu:

“Die viel gescholtenen “besorgten Bürger” können zwei Richtungen einschlagen: Die in die Fremdenfeindlichkeit oder die in Solidarität. Welche Richtung sie nehmen – diese Weiche stellen sehr häufig die Politiker. (…) Deshalb ist es so gefährlich, wenn Politiker zündeln, anstatt Ängste zu nehmen. Wenn sie jahrelang nicht in die Flüchtlingshilfe investieren, um am Ende zu behaupten, Flüchtlinge nur noch in Zelten unterbringen zu können.“


Was lernen wir daraus? Ganz klar: Lieber erst um drölfzig Faccebook-Ecken recherchieren, bevor man weint oder hypt. In Zeiten, in denen man auch eruiert, ob die Großtante der Putzfrau eines Autors, mit dessen Texten man nicht einverstanden ist, Dreck am Stecken hat, müsste das eigentlich Standard sein. Denn was jemand sagt oder schreibt, selbst wenn er es fundiert begründen kann, wird ohnehin überbewertet. 

Und sollte demnächst ein anderer Busfahrer die Umsetzung des Asylrechts kritisieren, so sollte auch Claus Kleber sein Investigativ-Team ins Rennen schicken, bevor er überhaupt erwägt, Tränen der Wut zu verdrücken. Denn wer weiß - hinterher hat der Busfahrer ja doch noch „Kein Mensch ist illegal“ bei Facebook geliket.


Zuerst auf der "Achse des Guten" erschienen.
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Es duftet nach Zivilcourage - per ordre de Stegner

Der politisch initiierte „Aufstand der Anständigen“ zählt zu den bedeutendsten Instrumenten des deutschen Waffenarsenals. Er kommt immer dann zum Einsatz, wenn es für eine Ethikkommission noch zu früh ist, die gesellschaftlichen Gräben jedoch schon zu tief sind. Ausgestattet mit gezeigtem Gesicht und eingebauter Wohlfühlgarantie umhüllt er zuverlässig jede noch so lästige Problemzone mit einem rosaroten Leichentuch.

Wie gut das funktioniert, hat Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D. und Erfinder des „Aufstands der Anständigen“, bereits vor 15 Jahren vorgemacht. Anlässlich eines Brandanschlags auf die Düsseldorfer Synagoge rief er damals zu mehr Engagement gegen Rassismus auf, woraufhin sich die halbe Bundesrepublik in eine Lichterkette verwandelte.

Zwar stellte sich kurze Zeit später heraus, dass es sich bei den Tätern nicht um biodeutsche, sondern um arabische Nazis handelte – aber das tat dem angenehmen Geruch von Zivilcourage, der durch die Bundesrepublik wehte, natürlich keinen Abbruch.

Nun allerdings erfährt Gerhard Schröder harte Konkurrenz. Denn auch Ralf Stegner, Vize-Chef und amtierende Allzweckwaffe der SPD, möchte jetzt aufstehen. Vorgestern zeigte er noch Gesicht für Europa, gestern gegen das Betreuungsgeld. Heute hingegen treibt ihn die Flüchtlingsproblematik in Gestalt von Hass und Gewalt gegen selbige um. Und weil sein Gesicht allein nicht reicht, schwebt ihm nun eine Deluxe-Version des anständigen Aufstands vor, an dem sich aber nicht nur Otto-Normal-Bürger, sondern vorrangig Promis zu beteiligen haben.

„Gegen Intoleranz, Rassismus, verbale Hetze gegen Schwächere und Angriffe auf Flüchtlinge muss sich die Zivilgesellschaft zur Wehr setzen. Wenn das gerade auch die Frauen und Männer tun, die im Sport, in der Musik oder in anderen Bereichen als Idole eine Vorbildfunktion erfüllen können, dann ist das sehr zu begrüßen“, sagte Stegner dem Handelsblatt.

Zweifellos eine schöne Idee, die sogar noch schöner wäre, wenn sie auch etwas modifiziert in anderen Sphären umgesetzt würde. Niemand hätte etwas dagegen, wenn Iris Berben gegen den Iran-Deal, Mario Adorf gegen die Rente mit 63 und Cindy aus Marzahn gegen die Frauenquote Gesicht zeigen würden. Aber mit Steuergeld, Frauen oder Krieg und Frieden kann jemand wie Stegner freilich auch ohne prominente Unterstützung gut umgehen.

Die Sache mit dem Rassismus hingegen lässt sich offenbar nachhaltiger lösen, wenn wir uns einen Herbert Grönemeyer vorstellen, der per Webcam „Heal the world“ in Richtung Freital schmettert, Konstantin Wecker für die Zugabe sorgt und Til Schweiger im selben Rhythmus Facebook-Statusmeldungen tippt. Was bei Band Aid in Sachen Afrika klappt, kann in Ralf Stegners Social-Media-Kosmos schließlich nicht schiefgehen. „Macht mit!“, ruft er seinen prominenten Followern auf Twitter zu, so als ginge es darum, Rentner auf der AIDA zur morgendlichen Wassergymnastik zu motivieren.

Theoretisch könnte man Ralf Stegner nun allerlei Niederträchtiges um die Ohren hauen. Ihm ein wenig Unfähigkeit unterstellen, ihn daran erinnern, dass für rechtsradikale Gruselfiguren mit pyromanischer Ader doch die Polizei zuständig ist und es überhaupt ein bisschen hilflos aussieht, Prominente in ein Rennen zu schicken, das die Politik nur verlieren kann.

Aber das würde dem Sozialdemokraten mit Gesicht überhaupt nicht gerecht. Denn dass randalierende Glatzenträger nicht die einzige Facette der Flüchtlingscausa darstellen, hat sich auch schon in Stegners Umkreis herumgesprochen. Wenn er nicht gerade Promis gegen rechts akquiriert, trommelt er gegen eine Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer, für eine bessere Verteilung von Flüchtlingen sowie für mehr Geld vom Bund.

Und natürlich für ein Einwanderungsgesetz sozialdemokratischer Prägung, das in der Asylfrage nur nicht wirklich hilft, solange Kosovaren und Serben, die 2015 schon längst die Syrer und Iraker überholt haben, das tun, was ausnahmslos jeder tun würde und ihnen demnach nicht zum Vorwurf gemacht werden kann: möglichst unbürokratisch dorthin gehen, wo mehr Lebensqualität winkt. Ein Taschengeld und die Aussicht auf Gesetze, die nicht immer angewendet werden, dürften auch nicht unbedingt jeden daran hindern, die Heimat zu verlassen.

Natürlich könnten Stegner und Kollegen sich an dieser Stelle die Systemfrage stellen, die zwischen Wohlfahrtstaat, offenen Grenzen und dem dazwischen liegenden Graben oszilliert. Dann könnten sie vielleicht für einen kurzen Moment von der wahnwitzigen Illusion eines unbürokratischen Deutschlands heimgesucht werden, in dem jeder In- und Ausländer sein Glück versuchen, aber nicht dazu gezwungen werden kann, eine Versicherung für alle anderen zu finanzieren. Das würde zwar besser klappen, wäre aber nicht so gut für die politische Karriere. Die erübrigte sich dann nämlich ein wenig.

Folglich tut auch Stegner lieber das, was ein Genosse tun muss. Die Diskrepanz zwischen sozialdemokratischen Planspielen und der Realität kompensiert er dafür umso bravouröser mit improvisatorischem Geschick und herzlicher Kreativität. Wenn sich schon die Flüchtlingsproblematik nicht ordentlich verwalten lässt, der Steuerzahler jedoch unruhig wird, weil er Verteilungsungerechtigkeit wittert und nicht versteht, warum das Merkel’sche Gesetz („Wo ein Wille, ist auch ein Weg“) zwar in Griechenland, nicht aber in der Nachbarschaft funktioniert, dann muss eben die Fassade ein bisschen renoviert werden.

Insofern ist so ein prominenter „Aufstand der Anständigen“ nicht nur eine brillante, sondern auch eine konsequente Idee. Zum einen, weil sie gut und geschichtsbuchverdächtig aussieht. Zum anderen, weil sie bequem umsetzbar ist. Stegner muss nicht selbst twittern - er lässt twittern. Mit Zivilcourage hat das zwar in etwa so viel zu tun wie ein Zeltlager mit Schloss Bellevue.

Dafür verspricht die Aktion aber weniger Stress als beispielsweise ein Besuch bei Helfern, die allen Widrigkeiten zum Trotz freiwillig im örtlichen Flüchtlingsheim Deutschkurse geben. Außerdem kann es ja nicht schaden, wenn man den Bürgern nochmal klar macht, dass man derlei Unterkünfte nicht einfach so anzündet. Vielleicht verstehen sie das ja besser, wenn ein kompetenter Tatort-Kommissar es ihnen erklärt.

Das ist zwar weder der Punkt, noch die Lösung des Gesamtproblems. Es hilft auch nicht den Flüchtlingen, sondern den prominenten Gesichtern. Aber Hauptsache, es duftet nach Zivilcourage - die eben auch mal per ordre de Stegner hergestellt werden muss.


Zuerst auf der "Achse des Guten" erschienen.
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Betreut leben in Deutschland: Willkommen in der Wohlfühlfalle

Seit Kurzem möchte Angela Merkel gerne von mir wissen, was mir persönlich im Leben wichtig ist. Und weil sie laut eigenen Angaben auch neugierig ist, will sie zudem in Erfahrung bringen, was meinem Empfinden nach „Lebensqualität in Deutschland ausmacht“. Nun bin ich mir nicht ganz sicher, ob das die Kanzlerin überhaupt etwas angeht. Aber zum Glück bin nicht nur ich gefragt, sondern alle. Das ist die Geschäftsgrundlage des im Frühjahr etablierten Bürgerdialogs, der das schwungvolle Motto „Gut leben in Deutschland“ trägt.
Eine Art Weihnachten für Erwachsene also, nur früher. Zuerst darf sich der Bürger, natürlich ganz auf Augenhöhe, etwas wünschen – beispielsweise Kitaplätze, höhere Löhne in der Pflege, weniger Straßenlärm. Im Gegenzug nickt Angela Merkel wohl dosiert und kündigt an, das „Thema aufzunehmen“. Denn schließlich geht es der Bundesregierung vornehmlich darum, „Maßstäbe für Lebensqualität in all ihren Facetten [zu] identifizieren, um sich künftig noch konkreter an dem zu orientieren, was den Menschen in Deutschland wichtig ist“.

Wer allerdings nicht die Chance hat, seinen Wunschzettel bei einem persönlichen Treffen vorzutragen, kann das auch online tun. „JanundHenri“ zum Beispiel hätte gern „Weniger Markt, mehr Mensch, vielleicht auch mehr Staat“, weil „alle nur an sich denken“. „Demokrat123“ plädiert indes für mehr „Entschleunigung“ durch Yoga und Anti-Stress-Kurse. Derweil will „GUTESLEBEN“ gerne mal die „digitale Welt abschalten“, während „TrIz“ Toleranz als Schulfach vorschlägt. Überhaupt muss man sich um die hiesige Lebensqualität große Sorgen machen, wird sie doch von Braunkohle-Subventionen, den Steuerberatern Amazons und gentechnisch veränderten Lebensmitteln erheblich getrübt. Zwar sind Familie, Freunde und Gesundheit vielen wichtig. Und doch bringt die Sehnsucht nach mehr sozialer Gerechtigkeit, besserem Klima- und Umweltschutz, höherem Kinder-, Betreuungs- oder Elterngeld und gekürzten Manager-Boni die Teilnehmer des Bürgerdialogs um den Schlaf.

Nun mag man den Bürgerdialog für perfides „Nudging“, für eine politische Variante von „Wünsch dir was“ oder auch nur für eine clevere Antwort auf die Wutbürger aus Dresden, deren Markenkern in chronischem Sich-Missverstanden-Fühlen bestand, halten. Mir persönlich macht er allerdings in erster Linie ein bisschen Angst.

Natürlich gehe ich konform mit denjenigen, denen Gesundheit wichtig ist. Aber ich würde das nicht so offen im Bürgerdialog zugeben. Denn man weiß ja nie, ob hinterher noch eine Steuer auf zuckerhaltige Lebensmittel eingeführt wird, um mich vor mir selbst zu schützen. Generell stellt sich die Frage, inwiefern der Staat von heute überhaupt wesentlich zur Lebensqualität beitragen kann. Zweifellos freue ich mich darüber, dass die Müllabfuhr meistens pünktlich kommt. Aber die ebenso geschätzte Möglichkeit, im Supermarkt zwischen siebzehn Sorten Joghurt wählen zu können, fällt eher nicht in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung. Die dazu erforderliche Freiheit, die Wohlstand durch Wettbewerb überhaupt erst ermöglicht, ist auch nicht unbedingt eine milde Gabe irgendeiner Regierung, sondern Grundbedingung menschlichen Daseins.

Umso unheimlicher erscheinen der qua Bürgerdialog nachvollziehbare Redebedarf vieler und die Anspruchshaltung einiger. Es sieht nicht nur so aus, als wären die Deutschen nicht in der Lage, ihr Glück ohne staatliche Hilfe zu managen – eher könnte man meinen, sie würden die Verantwortung für ihr Wohlergehen ganz automatisch nicht bei sich, sondern zuallererst irgendwo zwischen Angela Merkel und Manuela Schwesig verorten. Und das nicht etwa insofern, als eben dort tatsächlich Gesetze und Verordnungen entstehen, die den bestehenden Wohlstand mitunter in die Bredouille bringen. Vielmehr geht es den Bürgern darum, einen vermeintlich selbstverständlichen Zugewinn an Glück einzufordern, der nur durch staatliches Handeln entstehen kann. Schließlich ist „pursuit of happiness“ als Verfassungsgrundsatz ja auch keine deutsche Erfindung.

Insofern handelt die Bundesregierung nur konsequent, wenn sie fragt, was sie denn tun kann – und nicht etwa, was sie doch bitte unterlassen möge. Sonst wäre sie ja überflüssig. Dennoch traue ich dem „guten Leben in Deutschland“ nicht ganz über den Weg. Zum einen, weil ich es ja bezahlen muss – ob ich will, oder nicht, ob es mir gefällt, oder nicht. Die Kosten für mehr Elterngeld, Rente und Windräder sind die Schulden von heute und die Steuern von morgen.

Zum anderen aber auch, weil die Große Koalition das „Wünsch dir was“-Prinzip ohnehin schon mit Bravour verinnerlicht hat. Für einige Mütter gibt es eine höhere Mütterrente, Mieter freuen sich über die Mietpreisbremse, angehende Rentner über die Rente mit 63, gut qualifizierte Frauen über die Frauenquote und alle anderen über den Mindestlohn. Nur das mit dem Paternoster liegt ein wenig im Argen, was aber nicht tragisch ist, weil Andrea Nahles sich stattdessen umso intensiver der Senkung der Burnout-Quote widmen kann. Trotzdem sind einige Menschen immer noch so verzweifelt, dass sie keinen anderen Ausweg sehen, als sich im Online-Bürgerdialog über unbezahlbaren Wohnraum zu beschweren. Das liegt aber vermutlich weniger an den durchschnittlichen Preisen pro Quadratmeter, sondern am Bürgerdialog an sich und der um sich greifenden Geberlaune.

Denn wo viel zu verteilen ist, wachsen auch die Begehrlichkeiten. Die sehen dann etwa so aus: „Natürlich sollen Flüchtlinge Asyl erhalten, aber es kann doch nicht angehen, dass in der benachbarten Grundschule der Putz aufs Lehrerpult bröselt und die Politik nur zuschaut.“ – „Die Frauenquote für große Unternehmen ist ja schön und gut, aber ich als alleinerziehende Mutter auf Jobsuche werde auch täglich diskriminiert.“ – „Selbstverständlich gibt es Menschen, die es nötiger haben, aber mein BAföG könnte dennoch üppiger ausfallen, denn schließlich nützt meine Dissertation über ‚Spanische Grabliegefiguren um 1600‘ ja irgendwann mal der Gesellschaft.“

Der Erfolg von derlei Veranstaltungen entfaltet sich weniger beim Bürger, sondern besteht hauptsächlich in den neuen Geschäftsfeldern, die sich für Politik wie Verwaltung eröffnen – und natürlich in der Illusion totaler Gerechtigkeit. Dabei zählt vor allem der Anschein, regelmäßig etwas gegen die unzähligen Gerechtigkeitslücken zu unternehmen. Ob das wie geplant klappt, ist schon wieder zweitrangig. Nichtstun hingegen ist eine Sünde, die der Wähler mit Stimmenentzug ahndet. Denn der Einwohner des Wohlfahrtsstaats betrachtet sich primär als Empfänger von Wohltaten, die ihm kraft seiner Existenz zustehen. Sollte dem nicht so sein, womöglich gar die Gruppe X oder die Minderheit Y mehr Geschenke aus Berlin abstauben, wird der Bürger sauer und fordert seinen vermeintlich fairen Anteil. Er konkurriert beständig mit seinesgleichen um Sozialleistungen und politische Aufmerksamkeit, und zwar in einer gierigen Art und Weise, die er sonst nur „den Bankern“, Konzernen sowie dem Kapitalismus an sich attestiert. Das sind die Risiken und Nebenwirkungen des gut genährten Wohlfahrtsstaats, der kraft seiner Konstitution stetig neue Anreize zum Fordern und Neiden schafft.

In diesem Sinne wäre es vielleicht klüger, den Bürgerdialog einfach umzubenennen. „Mündel-Dialog: Betreut leben in Deutschland – jetzt auch mit Unzufriedenheitsgarantie“ wäre doch eine passende Idee. Was dagegen die Fragen der Kanzlerin angeht, worin für mich Lebensqualität besteht, ist mir indes immer noch keine ordentliche Antwort eingefallen. Außer vielleicht, dass weniger Dialog und mehr Sommerpause schon einmal ein guter Anfang wären.


Zuerst auf "Tichys Einblick" erschienen.

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Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Der Witz hat es hierzulande nicht leicht. Entweder ist er banal und unlustig, oder er ist gut und verursacht beleidigte Mienen. Dann bedarf es einer Witzkommission, die seine Existenzberechtigung prüft. So ähnlich ergeht es auch dem heute in den Kinos anlaufenden Film "Heil". Die Handlung spielt in einem ostdeutschen Kaff namens Prittnitz, wo drei Neonazis einen afrodeutschen Buchautor kidnappen. Sie verpassen ihm einen Schlag auf den Kopf, er verliert sein Gedächtnis und plappert fortan alles nach, was man in Dörfern wie diesem eben so sagt. Daraus erwächst eine Komödie über Menschen, die laut Regisseur Dietrich Brüggemann »ihre eigene Satire generieren«.

"Heil" hat die immer gleiche Gretchenfrage mit im Gepäck: Darf man sich über Neonazis lustig machen? Über sie spotten, während genau solche Gestalten gerade Freital auf den Kopf stellen? Die Antwort lautet: Nein, man darf nicht, man muss sogar. Und sei es auch nur, um den politischen Witz von dem Generalverdacht zu befreien, stets Gefühle zu verletzen oder sein Sujet zu verharmlosen. Denn beides könnte nicht falscher sein.

Natürlich sind national befreite Zonen im Osten und das dazugehörige Gedankengut nicht unbedenklich. Auch sein Hang zur Gewalt sichert dem Neonazi zu Recht die Aufmerksamkeit der Behörden. Aber muss man Otto Normalnazi aus Brandenburg darum immer voller Ernst begegnen? Ihn nur durch Reportagen in Szene setzen, in denen er mit Fackeln durch irgendein Dorf stapft? Lieber nicht.

Denn das Geschäftsmodell des Neonazis besteht ja gerade darin, möglichst bedrohlich zu wirken. Alles andere, etwa reeller politischer Einfluss oder ein NPD-Ortsverein ohne V-Leute, ist nicht mehr drin. Dafür hat der Kampf gegen Rechts seinen Job schlicht zu gut erledigt. Übrig bleiben meist nur noch hitlergrüßende Witzfiguren in Opas Wehrmachtsuniform. "Heil" zeigt eine solche, nämlich ideologisch verblendete, banale und furchtbar armselige Lebensweise, die zu jämmerlich ist, um sich nicht über sie lustig zu machen.

Heinrich Heine hatte recht, als er schrieb: »Die Dummheit geht oft Hand in Hand mit Bosheit.« Aber dazwischen passt immer noch ein Witz. Und der soll das tun, wozu er da ist: das Banale in den Mittelpunkt rücken und so der Bosheit die Geschäftsgrundlage entziehen.


Zuerst in der "Jüdischen Allgemeinen" (Print & Online) erschienen.
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#JeSuisMartinSchulz

Den Griechen gebührt unser Mitgefühl. Von Regierungen gebeutelt, die mehr ausgaben, als sie einnahmen, müssen sie nun für 60 Euro Schlange stehen.

Doch aller Anteilnahme zum Trotz: Denkt eigentlich auch irgendjemand einmal an Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident aus Leidenschaft, und vor allem daran, was aktuell in ihm vorgehen muss? Denn schließlich spielen sich die wahren Tragödien menschlicher Existenz nicht immer im Lichte der Scheinwerfer ab, sondern eher abseits desselbigen. So auch nun, da Martin Schulz – das griechische Volk im Herzen, die europäische Vision auf den Lippen tragend - an wirklich keinem Mikrofon tatenlos vorbeigeht, nur um danach weiterhin die Trümmer seines Lebenswerks zu betrachten.

Jahrelang talkte er sich landauf, landab im Dienste der „europäischen Idee“ die Stimme heiser. Ob Illner, Plasberg oder Jauch, kein Weg war ihm zu weit, keine Frage zu unterkomplex, um nicht mit ruhiger Stimme bedacht zu werden. Natürlich: Manchmal musste er auch laut werden, gar seine Betriebstemperatur auf feurige 90°C-Sauna-Optik hochfahren. Immer dann etwa, wenn jemand sich erdreistete, die reine Lehre aus Brüssel anzuzweifeln. Denn auch Begegnungen mit lästigen Ketzern wie Wolfgang Bosbach oder Richard Sulik blieben ihm im Rahmen seiner Mission nicht erspart. Ketzer, die im Gegensatz zu ihm und trotz hörbaren Zuredens den Stein der Weisen bis heute nicht gefunden haben. Sie waren und sind es, die den waschechten Europäer davon abhielten, die ihm eigene Gelassenheit zu offenbaren, welche man innerhalb seiner Partei sonst nur von Helmut Schmidt gewohnt ist.

Allen Widrigkeiten zum Trotz blieb er jedoch stark, stets die Konsequenzen seines leichten Hangs zur Hypertonie in Kauf nehmend - denn schließlich ist Martin I. kein Choleriker, er sieht nur so aus. Und letztlich: Was tut man nicht alles für das Friedensprojekt Europa? Wahlkampf zum Beispiel. Fast hätte sie ja auch geklappt, die Sache mit dem Amt des Kommissionspräsidenten. An intellektuell aufdringlichen Slogans („Für ein Europa der Demokratie. Nicht der Bevormundung“) mangelte es jedenfalls nicht. Also: Fast hätte er das Rennen gewonnen, wenn, ja, wenn ihn Jean-Claude Juncker nicht auf der Zielgeraden überholt hätte.

Ein Martin Schulz aus Würselen gibt allerdings nicht auf. Sogar seinen hoch dotierten Job als Bürgermeister des gleichnamigen Städtchens ließ er einst sausen, nur um erst als Parlamentarier, später dann als Chef des europäischen Parlaments unter nahezu unzumutbaren finanziellen Entbehrungen (200.000€ Gehalt + 110.000€ Tagegeld steuerfrei p.a. für Sitzungen im Parlament, aber auch im Café oder im heimischen Wohnzimmer) an der Umsetzung der europäischen Idee mitzuwirken.

Doch nun, da Mister Schulz alles, wirklich alles - von der aussichtsreichen Karriere als Buchhändler bis hin zur innigen Männer-Freundschaft mit Silvio Berlusconi - aufs Spiel gesetzt hat, betreten die Griechen seine Bühne und schlagen alles kurz und klein. Die wollen kein Europa Würselener Art - die wollen Cash, weil sie es können. Was Martin Schulz, der freilich ausschließlich für „ein Europa der Menschen, nicht des Geldes“ einsteht, nicht verstehen kann.

Immerhin vermeldete Schulz schon zwei Tage nach Tsipras‘ Wahlsieg, er habe „keinen Bock auf ideologische Debatten“. Allein, die Standleitung nach Athen muss wohl defekt gewesen sein. Und so sah er sich erst neulich wieder genötigt, „ideologische Abrüstung“ im Verhandlungsmarathon um Griechenland anzuordnen.

Denn Ideologie ist des Schulzens Sache nicht. Er hat es mehr mit der Freiheit, zumindest aber mit seiner eigenen. Darum empfiehlt er den Griechen für das nahende Referendum nicht nur ein „Ja“ (... „für ein Europa der Demokratie, nicht der Bevormundung“), sondern auch gleich baldige Neuwahlen. Wenn die eine Regierung nicht passt, bedarf es eben einer anderen. Bis dahin wünscht er sich eine „technokratische Regierung“, mit der man verhandeln könne. Denn der Chef des europäischen Parlaments weiß: Was in Brüssel funktioniert, kann in Athen nicht scheitern.

Bis dahin allerdings muss er tatenlos zusehen, wie die ungehobelte Boy-Group aus Athen nicht nur das Ansehen der europäischen Idee, sondern auch seine Image als kompetenter Europa-Architekt in einer Art und Weise erschüttert, die man nur von Erdbeben der Stärke 8 aufwärts kennt. Dabei ist Martin Schulz mitsamt seiner Brüsseler Brüder im Bürokraten-Geiste ja gar nicht unfähig, der ideologische Unterbau, auf dem sie operieren, keine Katastrophe. Es wirkt eben nur aktuell so. Und das ist der eigentliche Kern der griechischen Tragödie mit Martin I. in der Hauptrolle.


Zuerst auf der Achse des Guten erschienen.
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