O’zapft is’ – So überleben Sie die Wies’n 2010!

Sehr geehrte Touristen, werte Zuagroaste, liebe Wies’n-Besucher von auswärts,

es stimmt uns froh, Sie (und vorwiegend auch Ihr Geld) bei uns in München begrüßen zu dürfen. Natürlich freuen wir uns einerseits auch sehr, Sie passend zur „fünften Jahreszeit“ in unserer wunderschönen Landeshauptstadt willkommen zu heißen – andererseits, und dies muss allein schon aus humanistischen Gründen erwähnt werden, bedauern wir es ebenso, dass Sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hier bei uns aufschlagen. Unter uns gesagt: Unpassender geht’s kaum. Wir bekunden hiermit unser aufrichtiges Mitgefühl - denn sobald nächsten Samstag pünktlich um 12 Uhr mittags unser Prophet und Oberbürgermeister Ude mit den magischen Worten „O’zapft is’“ Millionen von Menschen in bierselige Ekstase versetzen wird, werden gleichsam auch Ihre bisherigen, romantisch verklärten Illusionen vom größten Volksfest der Welt schonungslos in einem Meer von Hopfensaft ertränkt werden. Sie dachten also bislang, das Oktoberfest sei ein geselliges Spektakel, bei dem sich fesche Buam und Madl in volkstümlicher Kostümierung auf wankenden Bierbänken in den Armen liegen und fröhlich ihre Bierkrüge in den Himmel der Bayern halten? Dass Bierzelte das gleiche wie Wirtshäuser sind, die man zu jeder Tages- und Nachtzeit betreten kann? Geradezu ein Exempel bayerischer Gemütlichkeit? Wenn Sie all dies Fragen mit ja beantworten, na dann … Prost Mahlzeit. Es tut uns aufrichtig leid, Ihre Illusionen an dieser Stelle zerstören zu müssen. Zu Ihrer eigenen Sicherheit, und um Ihre Chancen, die heurige Wies’n auch nur annährend zu überleben, zu erhöhen, stellt Ihnen die Landeshauptstadt im folgenden einen kurzen Survival-Leitfaden zur Verfügung – damit Sie auch in ein zwei Wochen wenigstens noch „zehn Meter geh’n“ können …

Sollten Sie tatsächlich planen, an einem sonnigen (wobei: sonnig ist es um diese Jahreszeit bei uns eh nie, Petrus präferiert eher anhaltenden Niederschlag gepaart mit Graupelschauern) Nachmittag das muntere Treiben in einem der vielen Bierzelte live und hautnah erleben zu wollen, so besorgen Sie sich besser schon im voraus Karten für die Staatssammlung oder das deutsche Museum. Auf gut bayerisch: Verabschieden Sie sich von der Hoffnung auf ein nettes Plätzchen im Zelt inkl. original bajuwarischer Wirtshauskultur, das wird heut’ nix mehr. Und seien Sie nicht allzu böse, wenn die überaus höflichen Securities Sie vor dem Eingang mit einem charmanten „Naaa, keiner kummt mehr nei und jetzt schleicht’s eich!“ begrüßen werden. Halten Sie es stattdessen lieber wie die Münchner Jugend und stellen Sie Ihren Wecker auf Schlag 6 Uhr, damit Sie auch pünktlich um 8 vor dem Zelt stehen, um wiederum um 10 als Erster Ihren Platz (am besten nahe der Toiletten! Bier drängt …) im heimeligen Festzelt zu besetzen. Nun gilt es, diesen mühevoll erkämpften Quadratmeter auch vor pubertierenden Teenagern im Stimmbruch sowie aufdringlichen Australiern, Chinesen, US-Amerikanern, Schweden – also quasi der halben Welt – zu verteidigen. Grantelnde Urbayern mit Lederhosen, Gamsbart und Stammtisch-Charme suchen Sie hier übrigens vergebens. Jene haben entweder schon vor exakt einem Jahr ihre Box reserviert, oder erfreuen sich alternativ an freier Platzwahl in einem der etablierten Biergärten der Stadt. Auch wenn die übermotivierten Musikanten auf der Empore unerlässlich versuchen werden, Ihnen lautstark den Wert eines „Herzens wia a Bergwerk“ zu suggerieren – schenken Sie dieser Aufforderung keinerlei Beachtung. Hier geht’s nicht mehr um Empathie oder Nächstenliebe, sondern um’s nackte Überleben!

Aus diesem Grund sollten Sie auch ihre Kleidung dementsprechend anpassen: Das Ministerium für Gesundheit empfiehlt wettertaugliche Schutzkleidung aus Schmutz- und bierabweisendem Material. (Impfungen halten wir bislang noch nicht für nötig.) Besonders der Damenwelt wird vom Kauf hochwertig verarbeiteter Dirndl mit Pailetten-Schürzen, Swarovski-Applikationen und Goldfasern abgeraten, denn in der Regel vertragen sich solche Materialien nur schwer mit den Mageninhalten anderer Wiesn-Besucher. Insofern sollten auch die farblich passenden Highheels im Farbton „zitronengelb“ mit satin-überzogenem Pfennigabsatz, welche ja eigentlich für o.g. Dirndl gedacht waren, unbedingt im Koffer bleiben. Besorgen Sie sich zum Schutzanzug am besten noch Angler-Gummistiefel – diese eignen sich der Erfahrung nach besser, um infektionsfrei durch einen Sumpf aus in Bier aufgeweichten Brezenbestandteilen, abgenagten Hendl-Knochen, Papierservietten sowie Glasscherben zu waten. Wenden Sie sich deshalb am besten an den Feuerwehrbekleidungs-Spezialisten Ihres Vertrauens – bei dieser Gelegenheit können Sie sich gleich erkundigen, ob dieser auch verlässliche Hochsicherheits-Gasmasken im Sortiment hat. Zum Schutz der Atemwege sowie zur Vermeidung allzu großer Geruchsbelästigung zählen diese nämlich heuer zu den unverzichtbaren Wiesn-Accessoires! Denn: Die Zeiten, in denen Zeltbesucher noch im wärmenden Schutz undurchdringlicher Rauchwolken ausgelassen schunkeln durften, sind nun (zum Schutz der Gesundheit!!) passé. Bedanken Sie sich an dieser Stelle bitte bei unserem Berufs-Öko und Amts-Gutmenschen Herrn Sebastian Frankenberger. Holen Sie am besten vor Betreten eines der vielen Festzelte noch mal tief Luft – in den kommenden zwölf Stunden werden Sie nämlich vorwiegend eine delikate Mischung aus den Ausdünstungen tausender Mitmenschen, Hopfensaft, Magensäure und Bratfett inhalieren dürfen. Ein Geruchserlebnis der besonderen Art, weltweit einmalig und nur in München!

Doch keine Sorge, denn der Herrgott hat für derartige Zustände ja schließlich das Bier erfunden! Sollte es Ihnen gelingen, inmitten von tausenden, gröhlenden und wankenden Feierwütigen eine halbwegs kommunikationsbereite Bedingung zu erwischen, die Ihnen in einer Rekordzeit von mindestens 30 Minuten „a Maß“ bringt, so schicken Sie bitte augenblicklich ein Dankgebet in Richtung Himmel der Bayern. Nun können Sie loslegen – schütten Sie, soviel Sie nur können. Das ist nicht nur gut für unsere leere Staatskasse, sondern auch für Ihr seelisches Wohl. Bedenken Sie nur all die Mühen und Anstrengungen, die bereits im Vorfeld nötig waren, um sich diesen Platz mit all seinen Vorzügen (naturbelassene Bierpfützen auf sowie appetitlich anmutende Schlammwüsten unter den Bänken) zu erkämpfen. Es wäre doch schade, dieses Privileg den gierigen Mit-Touris zu überlassen, welche sich bereits wie die Hyänen in den Gängen scharen und nur auf Ihre Resignation warten. Jetzt machen Sie sich’s erstmal gemütlich (soweit dies in Ihrem Schutzanzug möglich ist) und legen sich einen vorzeigbaren Alkoholpegel zu – denn nur so können Sie Ihre 10-stündige Séance inklusive dilettantischer Bierbank-Tänzer, unzähliger Bierleichen sowie unermüdlicher, volkstümlicher Beschallung auch wirklich in vollen Zügen genießen.

Sollten es Ihnen gelingen, sich gegen 23 Uhr abends, wenn auch der letzte Anton aus Tirol seine gigaschlanken Wadln aus dem Zelt schwingt, noch halbwegs auf den Beinen zu halten, so können Sie wahrhaft stolz auf sich sein. Bedauerlicherweise ist die Stadt München nicht in der Lage, diese Leistung angemessen (bspw. in Form einer Garantie auf einen sicheren und schnellen Heimweg) zu honorieren. Im Gegenteil: Selbst der Kampf um eines der wenigen Taxis nimmt nahezu darwinistische Züge an. An dieser Stelle regiert allein das Recht des Stärkeren, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ansonsten betragen die durchschnittlichen Wartezeiten – bei einer angenehmen Dusche aus Regen, Graupel und zuweilen auch Schnee (Nochmals: Schutzanzüge und Gummistiefel schaffen Abhilfe!) – ca. 1 – 1,5 Stunden. Diejenigen, die sich lieber nicht im Nahkampf mit den Fäusten eines gestandenen, urbayerischen Mannsbilds messen wollen und zudem das Risiko einer Lungenentzündung senken möchten, können glücklicherweise noch auf die gut bevölkerte U-Bahn ausweichen. Hier ist es wenigstens schön kuschelig und warm – Freunde des intensiven Körperkontakts werden sich augenblicklich in die nahe Vergangenheit im Festzelt zurück versetzt fühlen. Genießen Sie das unvergleichliche Ambiente der Münchner Verkehrsgesellschaft inmitten tausender, ebenso alkoholisierter und exotisch duftender Mitstreiter!

Zudem möchten wir an dieser Stelle auch noch eindringlich darauf hinweisen, dass Frauen und Mädchen zu Ihrem eigenen Schutz dringend vor dem Wies’n-Besuch einen Intensiv-Kurs in KungFu-Nahkkampf-Kunst absolvieren sollten. Dies könnte von Vorteil sein, sobald ein junger Herr mit gewaltsamen Mitteln versuchen sollte, der betreffenden Dame „einen Stern, der deinen Namen trägt“ möglichst noch „heut Nacht“ zu schenken. Von allzu aufreizenden Schutzanzügen wird dringend abgeraten.

Wenn Sie all diese Anweisungen genauestens befolgen, stehen die Chancen gut, das diesjährige Oktoberfest mit nur geringen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu überleben. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen „eine friedliche Wies’n“ und bedanken uns schon mal für Ihr Geld – wir gehen davon aus, dass dies wohl ein (im wahrsten Sinne des Wortes) einmaliges Erlebnis gewesen sein wird!

Herzlichst

Ihre Landeshauptstadt München.
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