Die Amerikaner sind ein großartiges Volk. Das erkennt man schon daran, dass sie die letzten Monate überstanden
haben, ohne kollektiv ihre Fernsehgeräte aus dem Fenster zu werfen, die
Heugabeln herauszuholen oder anderweitig aktiv zu werden. Umfragen
zufolge empfinden zwar 52 Prozent der Amerikaner die diesjährigen
Präsidentschaftswahlen als eine signifikante bis gravierende
Stressursache. Dementsprechend haben also 48 Prozent der Amerikaner einen fähigen Yogatrainer – oder sie sind einfach so gelassen.
Angesichts der Umstände ist das jedenfalls überaus bewundernswert.
Zumindest will man sich lieber nicht ausmalen, wozu die Deutschen fähig
wären, wenn ARD und ZDF mitten im Wahlkampf in Dauerschleife gehackte
Merkel-Emails vorlesen und zwischendurch noch weibliche
Belästigungsopfer von Joachim Sauer und Sigmar Gabriel (respektive
Martin Schulz) interviewen würden, die den Tränen nahe schildern, wann
sie wo wie lange von ihren Peinigern angefasst wurden. Eine Spaltung
zwischen Gestressten und Entspannten wäre dann wohl noch der best case.
Oder eher der am wenigsten denkbare Aggregatzustand.
Die Amerikaner sind aber auch deshalb ein großartiges Volk, weil
ihnen die mentale Enge abgeht, die in Teilen des europäischen Kontinents
zur Grundausstattung gehört. Entwickelt jemand eine neue App oder ein
neues Produkt, wird es gleich neugierig probiert, während die Deutschen
lieber erstmal bei Stiftung Warentest nachschlagen. Wenn ein Künstler
sich aufmacht, die Welt zu erobern, dann stößt er nicht auf Normen,
sondern auf Freiheit, die es ihm überhaupt erst erlaubt, sich gänzlich
zu entfalten. Darum hat Amerika Frank Sinatra, Elvis Presley und Michael
Jackson hervorgebracht, während Deutschland auf Heino und Helene
Fischer stolz ist.
Und darum gibt es in den USA auch Figuren wie Donald Trump, die etwas
zustande bringen, obwohl – oder weil – sie polarisieren. Das mag
befremdlich wirken, ist aber insofern von Vorteil, als die Freiheit der
Freaks und der Außenseiter immer auch die eigene Freiheit ist. Ohne
diese Freiheit wäre 1980 aus einem Schauspieler vermutlich niemals ein
brillanter US-Präsident geworden.
Donald Trump ist kein Ronald Reagan, sondern dessen Gegenteil
Dementsprechend wäre es wirklich schön, Ähnliches über den
Schauspieler, Freak und Außenseiter Donald Trump zu behaupten und ihm
die Daumen zu drücken. Aber Donald Trump ist eben kein Ronald Reagan,
sondern dessen Gegenteil. Er ist eigentlich auch kein Republikaner, er
sieht höchstens so aus. Dass er die durchaus sympathische
republikanische Idee – small government at home, leadership abroad –
einstweilen versenkt hat, ist nur eine von vielen Sünden. Dass er zudem
der
Traumkandidat aller Antiamerikanisten
ist und sich wie ein verhinderter Feldmarschall auf Kaffeefahrt dem
Autokraten Vladimir Putin anbiedert, macht ihn nicht gerade
sympathischer, sondern zu einer weltpolitischen Katastrophe auf zwei
Beinen.
Donald Trump – das muss man ihm lassen – hat allerdings nicht nur die
GOP ramponiert, sondern auch den deutschen Weltanschauungskompass
durcheinandergebracht. Oder eher zurechtgerückt - Ansichtssache. Denn
wann immer in den USA gewählt wird, sind vor allem die Deutschen
gefragt. Dabei waren die Rollen früher klar verteilt und die Fronten
überschaubar. Alle vier Jahre wieder beklagte man zunächst ausgiebig die
„Spaltung“ in den USA. Dann fragte man sich, ob die Amerikaner
eigentlich wirklich wissen, was sie da tun und ankreuzen.
Auch die wohlig warme Furcht vor einem republikanisch verursachten
Weltuntergang durch frei flottierende Waffenlobbyisten und
Kriegstreiberei durfte niemals fehlen. Schließlich votierten die
Deutschen dann mehrheitlich und zuverlässig für den Demokraten, weil der
von Berlin aus betrachtet das „helle Amerika“ repräsentierte. Barack
Obama wiederum, den
92 Prozent der Deutschen 2012 gewählt hätten,
bekam noch mehr Zuneigung zuteil. Ihn hielt man nicht nur für den
leuchtenden Messias, sondern für geradezu herrlich unamerikanisch, weil
er das mit der Kriegstreiberei so brav unterließ und Guantanamo zumachen
wollte.
Im Zweifel antiamerikanisch
Nun allerdings ist es ein wenig komplizierter. Die Deutschen im
Allgemeinen, Linke im Besonderen sind nicht mehr ganz überwiegend für
die Demokratin Hillary Clinton, sondern erwärmen sich mehr und mehr für
ihren Konkurrenten. Der wiederum findet zwar sicher keine
nordkoreanischen Mehrheiten wie Obama. Vielmehr sieht man in ihm den
Prototyp des Amerikaners, auf den das Volk der Dichter und Denker
herabschauen kann, ohne eine Leiter zu benutzen: von jeglichem Anstand
befreit, pöbelnd, unzivilisiert, gewaltvernarrt. Den Typ Ami also, dem
man es ohnehin nur schwer verzeihen kann, Oma und Opa 1945 beim
fröhlichen Völkermord gestört zu haben. Mit Donald Trump gibt es endlich
einen Mann, der alles bestätigt, was man schon immer über „die Amis“
gewusst haben will.
Allerdings hat der Kostümrepublikaner genug Isolationismus im Gepäck,
um die Herzen der Deutschen, allen gerümpften Nasen zum Trotz, höher
schlagen zu lassen. Mag er auch noch so ungehobelt auftreten - die Rolle
des Kriegstreibers wird dieses Jahr nicht ihm, sondern der Demokratin
Clinton zuteil. Anstatt für sie Partei zu ergreifen, titulierte etwa
Oskar Lafontaine
sie als „Kandidatin der Wall Street und des militärisch-industriellen
Komplexes“. Eine Adelung, die sonst nur Leuten zuteil kommt, die Bush
heißen oder für niedrigere Steuern eintreten. Sind Ultralinke wie
Lafontaine also heimlich den „Anonymen Republikanern“ beigetreten?
Keineswegs. Sie müssen einfach nur sich selbst treu bleiben. Und das
heißt: im Zweifel antiamerikanisch.
Nordkorea, Vladimir Putin, Ku-Klux-Klan und Jakob Augstein
Ohnehin hat sich Donald Trump im Zuge dieses Wahlkampfs einen äußerst bunten Fanclub zugelegt. Ihm gehören nicht nur die
nordkoreanische Steinzeitdiktatur,
Vladimir Putin und der
Ku-Klux-Klan
an, sondern auch Jakob Augstein von Spiegel Online und Offline. Noch im
Februar verfrachtete der Salonlinke den GOP-Kandidaten in die Rubrik
„Ungeheuer und nackte Kanonen“. Nun hat sich Augstein die Sache
anders überlegt. Jetzt ist nicht mehr
Putins bester Mann
Trump das Ungeheuer, sondern Hillary Clinton. Denn die würde gerne
etwas gegen das russisch-syrische Schlachten in Aleppo unternehmen und
eine Flugverbotszone einrichten.
Und dazu kann jemand wie Jakob Augstein, der sich erst neulich
weniger über tote Kinder in Syrien, sondern vielmehr über deren Bilder
in westlichen Medien beschwerte und dabei von seinem
„Recht auf Wegsehen“
Gebrauch machte, natürlich nicht schweigen. Eine Flugverbotszone wäre
„in Wahrheit ein Akt des Krieges“, meint der Hobby-Clausewitz. Denn dann
steige „das Risiko eines militärischen Konflikts mit Russland“, und das
heißt: Weltkrieg ante portas. Weltfrieden hingegen gäbe es dann schon
eher mit einem Präsidenten Trump. „Was Krieg und Frieden angeht ist
seine Weste sauber“ – so das Lob, das Jakob Augstein eigens für den
verhinderten Friedensaktivisten Trump aus der Mottenkiste des
Vulgärpazifismus gekramt hat.
Nun sind Anhänger der Augstein’schen Denkschule freilich nicht dumm.
Sie haben zweifellos ein Talent für wohlklingende Antworten – vor allem
aber für Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat. Denn auch in
Syrien stellt sich nicht die Frage, ob man für oder gegen einen Krieg
ist, ob die USA einen solchen beginnen oder nicht. Die Frage ist
vielmehr, was zu tun ist, wenn Kräfte wie Assad, Putin und die Mullahs
bereits einen Krieg führen, der zudem Konsequenzen für den Westen hat.
Will man den Despoten geben was sie wollen und warten, bis Syrien zum
Friedhof geworden ist, der IS sich als Mitglied der Vereinten Nationen
vorstellt und der russische Panzer auf dem eigenen Parkplatz steht? Oder
will man ihnen Grenzen aufzeigen, ihnen etwas entgegensetzen, das sie
ein wenig mehr beeindruckt als ein runder Tisch?
Die Querfront, wie sie singt und lacht
Doch all das muss einen Feelgood-Pazifisten wie Augstein, der eine
Kolumne über den Syrien-Krieg ganz ohne das Wort „Assad“ zustande
bringt, keineswegs weiter irritieren. Nicht nur in seiner Vorstellung
„eskalieren“ Kriege ohnehin immer erst dann, wenn die Amerikaner
eingreifen. Alles darunter – Taliban, ISIS, Saddam Hussein, Gaddafi –
läuft unter Schulhofschlägerei mit guter Friedensprognose.
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich nicht nur viel
zitierte „weiße Wutbürger“ mit nationalistischer Ader hinter Trump
scharen, sondern auch aufrechte Linke wie Augstein und Lafontaine wohl
viel dafür tun würden, um Ehrenmitglied in der „Donald Trump Stiftung
für Friedhofsfrieden“ zu werden. Zwar sind es nicht acht Jahre
Interventionismus, sondern acht Jahre Obama’sches Heraushalten, das die
Welt zwischen Kiew, Damaskus, Teheran, südchinesischem Meer und
Nordkorea unfriedlicher machte. Aber für Antiamerikanisten zählt ohnehin
nie das, was die USA tun oder unterlassen. Ehre gebührt bei ihnen nur
dem Ressentiment gegen die USA an sich und dem, wofür das Land steht.
Und wenn man dann noch das Wörtchen „Weltkrieg“ spazieren führen darf,
macht das Ressentiment gleich noch viel mehr Spaß. Dann spielt es
freilich auch keine Rolle mehr, dass nicht Jakob Augstein als Erster den
drohenden Weltkrieg unter Clinton vorhersah, sondern dass es der Kreml
ist, der sich schon länger darin übt,
diese Botschaft
im Rahmen seines Pro-Trump-Wahlkampfs unter die Leute zu bringen. Ein
bisschen russische Propaganda kann schließlich nicht schaden, wenn es
gegen den „großen Satan“ geht.
Insofern drängt sich ein furchtbarer Verdacht auf: Vielleicht sind
die Anhänger Donald Trumps gar nicht so dunkelrechts, wie deutsche
Leitartikel-Macher immer meinten. Womöglich sind sie auch ein bisschen
bis sehr links. Auf alle Fälle bilden sie aber eine hübsch anzusehende
Querfront gegen den freien Westen, die ganz nebenbei noch den Job
Vladimir Putins pro bono erledigt. Und wenn ihr Idol Donald Trump es
nicht ins Weiße Haus schafft und der Dritte Weltkrieg ebenfalls
ausfällt? Dann werden sie sicher ein anderes Betätigungsfeld finden, das
ebenso vielversprechend ist. Bald wird auch in Europa gewählt - und
Jakob Augstein feilt sicher schon an seinem Empfehlungsschreiben: im
Zweifel für Marine Le Pen.
Dieser Text erschien zuerst am 07.11.2016 auf der "Achse des Guten". Jakob Augstein hat seine Meinung nach den Wahlen wieder geändert. Meine lesen Sie hier.
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Etwas mehr Respekt vor Seife und Minzbonbons wäre schön gewesen. (© J. N. Pyka)
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