Geschichtsbewusstsein gefühlt, nicht gerührt

Es gibt viele Wege, ein etwaiges Unwohlsein in Bezug auf Transitzentren für Asylbewerber zum Ausdruck zu bringen. Aber nur in Deutschland gibt es auch genug von dieser ganz speziellen Expertise, die notwendig ist, um daraus ein vulgär-historisches Bohei zu zaubern. Und so meldeten sich also unlängst ein paar besonders ausgeschlafene Anscheins-Antifaschisten zu Wort, die in fiktiven Transitzentren eine Neuauflage der nationalsozialistischen Konzentrationslager zu erkennen meinten. Was genau sie damit eigentlich artikulieren wollten, bleibt etwas ungewiss. Ein Appell, doch gefälligst aus der Geschichte lernen, kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Denn das würde eine gewisse Grundkenntnis der Geschichte voraussetzen, die jedoch mit so wagemutigen Analogien nur bedingt vereinbar ist. Anscheinend betrachtet man Geschichte in Vergleicher-Kreisen ohnehin vielmehr als Werkzeugkasten, aus dem man sich bei Bedarf mal die Wasserwaage, mal den Zollstock herausgreift, allein, um dadurch eine bessere Figur zu machen. Ist das KZ dann erstmal überall, notfalls auch zwischen Kiefersfelden und Kufstein, dann ist es gleichzeitig auch nirgendwo – und damit erst recht nicht dort, wo es einst war: im deutschen Einflussbereich innerhalb eines deutschen, singulären Kontexts. Aber auf derlei Hauptsächlichkeiten kommt es gerade nicht an. Geschichtsbewusstsein an sich ist zwar eine prima Sache, inzwischen tut es aber auch die gefühlte Variante. Wenn man schon eine solche Vergangenheit hat, muss man schließlich auch was draus machen. Wäre ja sonst schade drum.

Seither ist sowieso schon wieder viel passiert. Die Koalition steht noch, der „Masterplan“ ebenfalls, das Transitzentrum heißt nun Transferzentrum, könnte morgen aber schon wieder zum "Verweilzentrum" mutieren. Auch sonst ist insbesondere in Berlin einiges geboten. Der Inhaber eines israelischen Restaurants veröffentlichte unlängst einen Auszug der antisemitischen Liebesbriefe, die er regelmäßig erhält, woraufhin er von Facebook gesperrt wurde. Berliner Schulen eiertanzen weiterhin um antisemitisches Mobbing. Und am Wochenende wurde ein jüdischer Syrer von sieben Landsmännern verprügelt, nachdem er sich erdreistete, einen Teil seiner Identität in Gestalt eines Davidsterns um den Hals zu tragen. Vorkommnisse dieser Art werden inzwischen zwar medial beachtet, aber die Transit-KZ-Emotionalität fehlt in diesem Rahmen dann doch irgendwie. So erfrischend der Mangel an missglückten Vergleichen ist, so aufschlussreich ist auch das Geschichtsbewusstsein, das sich in diesem Zusammenhang eher weniger Bahn bricht.

"Nie wieder KZ!" haben die Deutschen also mittlerweile gelernt. Erfreulich. In Sachen "Nie wieder Judenhass!" müssen sie dagegen wohl noch etwas üben.
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Wiener Chuzpe

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ist zweifellos vielseitig begabt. Vor allem in Sachen Flexibilität macht ihm kaum jemand etwas vor. “Die Sicherheit Israels ist für uns als Republik Österreich nicht verhandelbar“, verkündete er am Mittwoch mit ernster Miene während einer Pressekonferenz in Wien. Zu seiner Rechten stand dabei jedoch weder ein Vertreter der israelischen Regierung noch ein Repräsentant der jüdischen Gemeinde, sondern der iranische Präsident Hassan Rouhani, der kurz zuvor mit militärischen Ehren und rotem Teppich zum offiziellen Staatsbesuch in Wien empfangen wurde. Ganz so, wie es einem nuklear ambitionierten „Israelkritiker“, dessen Regime sich der Vernichtung Israels verschrieben hat, eben gebührt – doch dazu später mehr.

Wenn schon, denn schon, muss man sich also zwischen Ballhausplatz und Hofburg gedacht haben. Je brutaler das Regime, desto pompöser der Auftritt. So ein waschechter Mullah mit Hinrichtungs-Hintergrund kommt schließlich nicht alle Tage zu Besuch. Zumal, und das darf man freilich nicht vergessen, die österreichisch-iranische Freundschaft inzwischen auch ernsthaft unter Beschuss steht. Denn seit sich die USA aus dem Nuklear-Abkommen mit dem Iran zurückgezogen und zudem Sanktionen verhängt haben, müssen die Iraner und ihre verbleibenden Freunde noch enger unter dem westlich-antiwestlichen Dach zusammenrücken. Bereits am Vortag war der iranische Präsident daher ebenso herzlich in der Schweiz empfangen worden.

Ein so lukrativer Deal jedenfalls darf keinesfalls zerstört werden, da sind sich Kurz und Rouhani einig. 160 Jahre diplomatische Beziehungen verbinden schließlich – so sehr, dass die „Österreichische Akademie der Wissenschaften“ geschwind eine Ausstellung zu diesem Thema auf die Beine stellte, die der iranische Außenminister Javad Zarif im Rahmen dieses Besuchs mit seiner Amtskollegen Karin Kneissl eröffnete. Hassan Rouhani hatte gute Gründe, als er „im Namen Gottes“ für die Gastfreundschaft Österreichs dankte.

Vom Umgang mit Judenhassern: heute bekämpfen, morgen hofieren

Sebastian Kurz wiederum nutzte die Gelegenheit, sein unnachahmliches Talent im Bereich „Trittsicheres Tanzen auf zwei Hochzeiten“ zur Schau zu stellen. Im Nachgang der Gespräche mit seinem iranischen Kollegen betonte er sowohl das „seit je her gute Verhältnis zum Iran und zur iranischen Bevölkerung“ als auch die positiven Entwicklungen im Bereich der Handelsbeziehungen, die nun wieder auf dem Niveau von vor den Sanktionen angekommen sind. Ebenso wichtig sind dem Kanzler die „sehr engen menschlichen Beziehungen“ – bestimmt die zu den inhaftierten Oppositionellen und zur Todesstrafe verurteilten „Ehebrecherinnen“ – sowie die „kulturellen Beziehungen“ zwischen dem Iran und Österreich, wofür vor allem das „Kulturforum“ in Teheran steht: wohlgemerkt das „einzige westliche Kulturinstitut im Iran, das eine ununterbrochene Präsenz seit sechzig Jahren hat“, wie Kurz betont. So lange hat es nicht einmal das Goethe-Institut in Teheran ausgehalten. Darüber hinaus sei Österreich ein Land, das „sich überall für die Menschenrechte einsetzt, und natürlich auch gegenüber dem Iran“. Löbliches Engagement, das man vor allem daran erkennt, dass eine Gruppe Regime-kritischer Demonstranten an diesem Tag in weite Ferne des Regierungszentrums verbannt wurde.



Auch ein Herzensanliegen“, also neben dem Dialog in allen Formen und Farben, ist dem Kanzler die „ganz besondere historische Verantwortung“. Genauer: „Der Kampf gegen Antisemitismus und die Unterstützung Israels sind für uns zentral“, gab Kurz zu Protokoll. „Aus unserer Sicht absolut inakzeptabel ist, wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird oder zur Vernichtung Israels aufgerufen wird. Genauso haben wir natürlich kein Verständnis für die Verharmlosung des Holocaust, ganz gleich, wo diese stattfindet. Die Sicherheit Israels ist für uns als Republik Österreich nicht verhandelbar.“ Warum er dann aber mit Hassan Rouhani überhaupt einen Experten für die praktische Unsicherheit Israels mit militärischen Ehren empfängt, verriet der österreichische Kanzler nicht. Schade eigentlich. Zu gerne hätte man erfahren, wie sich beispielsweise der iranische Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb auf die „sehr engen kulturellen Beziehungen“ zwischen beiden Ländern ausgewirkt hat. Oder wie die Kurz’sche Israel-Politik, die mit wohlklingenden Worten wie „Staatsräson“ und Bildern an der Klagemauer garniert wurde, mit dem „seit je her guten Verhältnis“ zu einem Terrorregime korrespondiert, das sich tagein tagaus mit der Vernichtung Israels befasst.

Eine Fluchtursache zu Gast bei Freunden

Aber vielleicht muss man auch an dieser Stelle einfach mehr an die heilsame Kraft des Dialogs, immerhin neben Wiener Schnitzel und Walzer eine klassisch österreichische Spezialität, glauben. „Österreich ist ein Brückenbauer, ein neutrales Land, oft auch Ort des Dialogs“, erklärte Kurz – also eine Begegnungsstätte für wild entschlossene Despoten und westliche Amtsinhaber, die selbst im Angesicht zivilisatorischer Abgründe noch ihre sowohl-als-auch-ige Äquidistanz zu wahren wissen. Zwar leiden viele seiner europäischen Kollegen ebenfalls nicht unbedingt an Berührungsängsten gegenüber dem iranischen Regime. Die Fähigkeit jedoch, heute dem israelischen und morgen dem iranischen Staatschef beschwingt gegenüber zu treten, bleibt dagegen eine exklusive Domäne des österreichischen Kanzlers.

Und als solcher hat Sebastian Kurz derzeit ohnehin noch ganz andere Dinge zu tun. Die österreichische EU-Rats-Präsidentschaft hat begonnen, Grenzverläufe und Schließungen stehen auf der Tagesordnung. Die Asyl-Krise spaltet Europa, 2015 wie 2018. Insofern bietet es sich förmlich an, mit dem iranischen Präsidenten einen Mann einzuladen, der in Syrien dazu maßgeblich einen Beitrag geleistet hat. Auch und vor allem Milizen unter iranischem Kommando sind es, die sich in Syrien um die blutige Bilanz eines Kriegs kümmern, der seither mehrere Millionen Menschen zur Flucht bewegte. Zwischen dem Libanon, Jemen, Irak und Afghanistan sind die Handlanger des Regimes dahingehend ebenfalls aktiv. „Ich hoffe sehr, dass alle Staaten der Region, aber natürlich auch die großen Weltmächte einen Beitrag leisten, dass es zu einer friedlichen, zu einer politischen Lösung kommt und das Leid der Menschen beendet wird“, bemerkte Kurz dazu. Wobei seine Hoffnung der syrischen Realität ohnehin schon sehr nahe kommt: Auch ein Friedhofsfrieden mit unzähligen Toten ist ein Weg, dem dortigen Elend ein Ende zu setzen.

Dialog ohne Limit

Und so nahm der Staatsempfang seinen Lauf und endete später bei der Wirtschaftskammer, wo Rouhani im Beisein österreichischer Unternehmer einen Vortrag hielt und man sich anschließend gegenseitig zu weiteren Geschäften, notfalls unter Umgehen der amerikanischen Sanktionen, motivierte. Zuvor jedoch nutzte der iranische Präsident noch die Gelegenheit, im Rahmen der gemeinsamen Pressekonferenz und unter ausgeprägtem Schweigen seines Gastgebers einige grundsätzliche Überlegungen zur „Israel-Frage“ zu präsentieren. Die Iraner hätten „gute Beziehungen zu den Juden in aller Welt“. Nur mit den „Zionisten“ gebe es eben immer Ärger. Die würden nicht nur die Menschen in Gaza „unterdrücken“, sondern auch noch den IS in Syrien sponsern und überhaupt eine äußerst schändliche Rolle in der Region spielen. Dass die Israelis den Iranern inzwischen auch die Regenwolken klauen, wie ein iranischer General unlängst feststellte, vergaß er erstaunlicherweise zu erwähnen. Aber vielleicht gibt sich das ja im Rahmen des Dialogs, für den die Österreicher im Allgemeinen, Sebastian Kurz im Besonderen stets bereit sind. Notfalls auch in demutsvoll gebückter Haltung.

Zuerst bei den Salonkolumnisten erschienen.

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