Die Bestürzung war groß, als im Januar 2015 mehrere Terroristen erst
ein Blutbad in der Pariser „Charlie Hebdo“ Redaktion veranstalteten, nur
um anschließend noch vier Menschen in einem jüdischen Supermarkt zu
ermorden. Große Krokodiltränen kullerten aber auch, als der israelische
Ministerpräsident Benjamin Netanyahu einige Tage später Frankreichs
Juden anbot, nach Israel
auszuwandern.
Dass französische Juden nicht zum ersten Mal blutdürstigen Islamisten
zum Opfer fielen, ist zwar nicht schön. Aber wenn ein israelischer
Staatschef eine effektive Alternative zum mitunter tödlichen
Antisemitismus bietet, ist die rote Linie definitiv überschritten.
Besonders von Deutschland aus betrachtet, wo man bräsiges Nichtstun
öfter mal mit Besonnenheit verwechselt, kann so viel Pragmatismus nur
irritieren. Ein Land, dessen Justizminister nach einem islamistisch
motivierten Blutbad
eiligst eine Moschee besucht, versteht da keinen Spaß.
Seither hat sich viel getan. Die Bundesrepublik nahm über eine
Million Flüchtlinge und Migranten aus aller Welt auf. Der „Islamische
Staat“ erweiterte derweil sein Einsatzgebiet bis nach Europa. Nun waren
nicht nur Juden und islamskeptische Karikaturisten – Minderheiten also,
die eh niemand lieb hat – an der Reihe. Auch Konzertbesucher, Betrachter
eines Feuerwerks in Nizza, Flugreisende in Brüssel und Zugfahrer in
Würzburg fielen dem Terror zum Opfer. Diejenigen, die vor über
eineinhalb Jahren noch „Charlie“ waren, sind heute gegen „hatespeech“.
Und statt über die Maut wird aktuell über die Gefahren im Straßenverkehr
und im Fischrestaurant philosophiert. Zwar ist bislang nicht bekannt,
dass sich Fischgräten organisieren würden, um gezielt Menschen im Namen
eines großen Gottes umzubringen. Aber vielleicht weiß der „Allgemeine
Deutsche Geisterfahrer Club“ dahingehend mehr.
Der Terror erreicht Deutschland, die Schönfärber bleiben standhaft
Dass der islamistische Terror binnen eineinhalb Jahren ebenso in die
deutsche Komfortzone eingedrungen ist, dürfte jedenfalls schwer zu
bestreiten sein. Doch an der Fähigkeit, ihn schön zu reden, hat sich
auch nach den ersten Erfolgen des IS auf deutschem Boden nichts
geändert. Die deutsche Intelligentsia bewegt sich diesbezüglich konstant
auf hohem Niveau – Terrorwarnung hin, Pilzgerichte her. Der Rat zu mehr
„mürrischer Indifferenz“
beispielsweise steht nach wie vor hoch im Kurs. Denn das Schöne an
derlei Lösungen ist, dass sie elegant klingen und nichts kosten.
Problematisch werden sie hingegen dann, sobald auch Innenminister Thomas
de Maizière sie adaptiert. „Wachsam“ müsse man sein, riet er nach dem
Bombenattentat in Ansbach. Ansonsten solle man jedoch keinesfalls damit
aufhören, so weiterzuleben wie gehabt.
Daneben ist landauf landab zu hören, das Verbreiten von Angst sowie
ein erhöhtes Misstrauen gegenüber Muslimen sei das Ziel der Islamisten.
Vor allem um die Spaltung gehe es ihnen. Darum dürfe man ihnen nicht den
Gefallen tun, nun angstbeladen das Auto statt die U-Bahn zu nehmen und
angesichts arabisch aussehender Rucksackträger in Panik zu verfallen.
Falls doch, so würde man dem IS in die Hände spielen. Und das wäre fast
so schlimm wie Wasser auf die Mühlen von AfD und PEGIDA.
So gänzlich überzeugend klingt diese Logik allerdings nicht. Denn in
erster Linie spielen dem IS sicherlich nicht biodeutsche Angsthasen in
die Hände, sondern Fanatiker, die sich mit ihm solidarisieren und in
seinem Namen wahllos durch die Gegend morden. Mag sein, dass dem IS ein
allgemeines Misstrauen bis hin zum Bürgerkrieg zwischen Muslimen und
„Ungläubigen“ zupass käme. Aber man muss schon einen Aluhut der Größe
XXL tragen, um zu glauben, der IS sei nur deshalb angetreten, um
Alexander Gauland (AfD) ins Kanzleramt zu hieven.
Immer schön den dritten Schritt vor dem ersten gehen
Überhaupt stellt sich die Frage, inwiefern es wirklich der drohende
Generalverdacht gegenüber Flüchtlingen und Muslimen ist, der deutschen
Politikern mitsamt der talkenden Klasse den Schlaf raubt. Vielleicht
treibt sie auch vielmehr ein wachsender Generalverdacht gegenüber einer
Politik um, der man pauschal unterstellt, nicht wachsam genug zwischen
Terrorist und Flüchtling unterscheiden zu können. So gänzlich undenkbar
wäre das ja nicht. Vor allem nicht in Anbetracht der Tatsache, dass man
nun in München über ein Rucksackverbot zur Wiesn und in Berlin über ein
Neun-Punkte-Programm nachdenkt, während der Attentäter von Ansbach über
ausreichend Privatsphäre verfügte, um sein Einzelzimmer in einer
staatlich finanzierten Unterkunft zu einer Bombenbastel-Werkstatt
umzufunktionieren. Aber das ist freilich nur ein Verdacht, der noch
sorgfältig geprüft werden muss, bevor man ihn zur Tatsache befördert.
Denn wenn man den Verantwortlichen vom Bodensee bis zur Nordsee eines
nicht unterstellen kann, dann ist es Untätigkeit. Wann immer es
irgendwo knallt, gehen sie einen Schritt vorwärts. Nur handelt es sich
dabei eher selten um den ersten, sondern um den dritten, fünften oder
zwölften Schritt. Inbrünstig warnen sie vor „Scharfmachern“ vom rechten
Rand, denen nur am Schüren von Ängsten gelegen sei. Terroristen selbst
haben mit Angst und Schrecken bekanntlich weniger zu schaffen. Parallel
warnen sie mit Leidenschaft vor grassierender Islamophobie, sobald sich
ein Jüngling im Namen Allahs in die Luft sprengt. Eine neuerliche
Kampagne gegen Rassismus verrät hingegen alles, was man über den Umgang
mit gewaltbereiten Islamisten wissen muss.
Statt mit einer soliden Antiterror-Strategie dafür zu sorgen, dass
jegliches Misstrauen gegenüber syrischen Rucksackbesitzern automatisch
überflüssig wird, raten sie zu mehr Gelassenheit und Mut, wenn in der
U-Bahn Koranverse rezitiert werden. Und statt dem rechten Rand auf diese
Weise das Thema und damit die Erfolge wegzunehmen, betätigt man sich
erfolgreich als dessen bester Wahlkämpfer.
Deutschland bekämpft nicht die Ursachen, sondern lieber die Symptome
Wenn also die Kanzlerin angesichts der Anschläge von Würzburg und
Ansbach unter anderem feststellt, die Attentäter hätten das Land, die
Helfer und alle anderen Flüchtlinge „verhöhnt“, dann verursacht sie
damit keineswegs einen rhetorischen Unfall. Vielmehr folgt sie dem
Prinzip, wonach nicht Tote, Verletzte, das Risiko einer Wiederholung und
somit das eigentliche Problem, sondern die urdeutschen Kettenreaktionen
in den Mittelpunkt gehören. Dass der IS die Willkommenskultur verhöhnt
hat, werden wir ihm wohl nie verzeihen. Schwer Verletzte mutieren
daneben zu einem bedauerlichen Kollateralschaden, den wir ihm
vergleichsweise weniger übelnehmen.
Insofern ist es freilich nachvollziehbar, dass der ein oder andere
Amtsinhaber ein wenig sensibel reagiert, sobald ein Regierungschef wie
Netanyahu die Bühne betritt. Denn der hat nicht nur mehr Ahnung
hinsichtlich des Problems, sondern auch eine vergleichsweise effiziente
Lösung im Gepäck. Dinge also, die in Deutschland gänzlich fehlen. Dort
kennt man sich dafür aber glänzend mit den Schachzügen aus, die dem IS
vermeintlich nutzen. Und das sind gemäß deutscher Betrachtung ungefähr
alle Optionen, die im Kampf gegen den Terror denkbar wären. Racial
Profiling wie in Israel? Das treibt dem IS garantiert „alle Muslime“ in
die Hände. Eine bessere Kooperation der Geheimdienste? Bloß nicht, der
IS ist doch nur deshalb angetreten, damit der Westen seine Freiheiten
einschränkt. Eine militärische Intervention? Grundgütiger! Nichts könnte
ihm mehr schaden als eine Ausweitung seines Gebiets und munteres
Weiterköpfen im Namen Allahs.
„Boots on the ground“ helfen nicht nur gegen Terror, sondern auch gegen Fluchtursachen
Dabei gibt es aber auch etwas, das dem IS wesentlich mehr in die
Hände spielt: nämlich ein Gegner, der gar nichts unternimmt und besonnen
auf den nächsten Anschlag wartet. Im
englischsprachigen Raum
kursiert etwa die Ansicht, dass der IS sich zwar durchaus eine
militärische Intervention wünscht. Aber nur, weil er daran glaubt, dass
sich in den letzten Zügen des Gefechts die globale Apokalypse ereignen
würde, auf die er seit seinem Bestehen hinarbeitet. Folglich wird er das
Bomben und Morden im Westen solange nicht sein lassen, bis sich ein
militärisches Bündnis endlich seiner erbarmt und mal in Syrien und im
Irak vorbeischaut.
Nun muss man die IS-Satzung ja nicht wörtlich nehmen. Dass es aber
mit Anschlägen recht schnell vorbei wäre, sobald ein breites
NATO-Bündnis den „Islamischen Staat“ in einen Parkplatz verwandeln
würde, ist nicht völlig undenkbar. Die Bereitschaft, sich nur noch für
ein islamisches Zehn-Seelen-Dorf in die Luft zu sprengen, dürfte
jedenfalls vergleichsweise gering sein. Und wenn die Truppen schon mal
da sind, könnten sie sich auch gleich um die Beseitigung der
Fluchtursachen kümmern. Die sind zwar weniger im „Islamischen Staat“
angesiedelt, sondern tragen vielmehr den Namen Bashar al-Assad. Aber
eine grundsätzlich schlechte Idee wäre das jedenfalls nicht.
Allerdings würde das auch bedeuten, von der liebgewonnenen Gewohnheit
Abschied zu nehmen, die Drecksarbeit anderen zu überlassen. Der Westen
müsste den
Spielplatz
für sich einnehmen, den aktuell der Iran, Vladimir Putin und das
Assad-Regime unter sich aufteilen – also über eine langfristige Lösung
nachdenken. Bei der Gelegenheit würde ihm vielleicht sogar auffallen,
dass Putin nicht der „mäßigende“ Faktor ist, für den man ihn im
deutschen Außenministerium für gewöhnlich hält. Dass er keinesfalls den
IS, sondern die verbliebene,
halbwegs moderate Opposition schwächt,
um damit seinem Buddy Assad unter die Arme zu greifen. Und dass beide
somit mit einigem Erfolg daran arbeiten, sowohl die Fluchtursachen zu
zementieren, als auch das Business des IS florieren zu lassen.
Auf in den totalen Frieden – gerne auch mit autoritären Lösungen, vor denen heute noch gewarnt wird
Aber so weit wird es freilich nicht kommen. Denn nicht nur in den
Reihen der Linkspartei hat sich mittlerweile herum gesprochen, dass
Waffenexporte und kriegslüsterne Amerikaner die wahren Fluchtursachen
darstellen. Daneben besteht die Hoffnung, die Jungs aus Raqqa würden
schon Ruhe geben, wenn man sie nicht unnötig mit Tornados oder gar
Bodentruppen provoziert. Ohnehin soll von deutschem Boden nie wieder
Krieg, sondern nur noch totaler Frieden ausgehen. Niemand hat die
Absicht, die Ursachen von Terror und Flucht zu beheben.
Lieber wartet man mutig und tiefentspannt ab, bis zwei Leichenberge
später auch in Deutschland das geschieht, wovor jetzt noch vollmundig
gewarnt wird: nämlich die vollständige Polarisierung, in deren Folge
vollends autoritäre Gruselgestalten die Bevölkerung auf den Weg in die
Knechtschaft verweisen. Dort verlässt man sich dann auf Trump’sche
Einreiseverbote für Muslime, einen nationalen Sozialismus nach Art von
Marine Le Pen,
Kreml-Treue im Allgemeinen, Isolationismus im Besonderen. Lauter
hübsche Dinge also, die langfristig ebenso wenig gegen den Terror
helfen, dafür allerdings mit wesentlich mehr Freiheit bezahlt werden.
Aber Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden.
Mag sein, dass selbst in diesem Fall ein sonniges Gemüt weiterhilft.
Ein großzügiger Sicherheitsabstand zum Spielfeld wäre dann aber
sicherlich auch nicht übel.
Zuerst auf der Achse des Guten erschienen.
|
Besser als Besonnenheit: USS America LHA-6
(Foto: J. N. Pyka) |