Mit viel Ratlosigkeit blickt Deutschland auf Antisemitismus in der muslimischen Community. Dabei profitiert der Judenhasser an sich vor allem von der Schwäche der Mehrheit. Ein klares Zeichen dagegen müsste ohne Wenn und Aber Pro-Israel sein. Doch das kann eine Nation voller „Israelkritiker“ nicht verantworten.
Mit Antisemitismus-Debatten verhält es sich wie mit Autounfällen. Schön anzusehen sind sie nicht, und doch will ein jeder stets ganz vorne dabei sein. So wie der Gaffer sich unweigerlich dem Autowrack nähern muss, verspürt der Teilnehmer der Antisemitismus-Debatte einen überwältigenden Drang, auch mal etwas sagen zu müssen. Gemeinsam ist den gesammelten Diskussionen der letzten Jahre, dass so ziemlich jeder, aber freilich nie ein Antisemit mit dabei war. Stattdessen traf und trifft man stets nur profilierte Kritiker der israelischen Regierung, ganz normale Deutsche, die nun aber wirklich genug über die Verbrechen der Nazis gehört haben wollen, oder mutige Querdenker an.
Ganz ähnlich wie der Antisemitismus geht dabei auch die Diskussion über ihn mit der Zeit. Allzu lange ist es nicht her, da im Zuge des Gazakriegs 2014 vorwiegend junge Muslime über Wochen hinweg von der Großstadt bis hinein ins kleinste Dorf gegen den „Kindermörder Israel“ mobil machten. Auch israelische Fahnen wurden verbrannt, aber eben „nur“ an so beschaulichen Orten wie Aachen. Zwischenzeitlich landeten Brandsätze an der Fassade einer Synagoge im Wuppertal, was ein deutsches Gericht später als Akt der Israelkritik einstufen sollte. In den Medien war derweil von „erlebnisorientieren Jugendlichen“ die Rede, alles Weitere lief unter Folklore. Wichtiger war ohnehin, die „Gewaltspirale“ im Nahen Osten „kritisch“ zu begleiten.
Nun allerdings, da sich nicht nur in Berlin empörte Demonstranten mit Migrationshintergrund versammelt haben, um mit brennenden Israel-Fahnen und Aufrufen zur Intifada ihre Stimme gegen die Jerusalem-Entscheidung des amerikanischen Präsidenten zu erheben, hat die Diskussion eine andere Ausfahrt genommen. Zumindest auf den ersten Blick. Neben unzweideutigen Hinweisen, doch bitte säuberlich zwischen Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik und Kritik an der israelischen Regierung zu differenzieren, finden auch vergleichsweise eindeutige Verurteilungen des munteren Treibens statt.
Insofern muss man dem Flaggenverbrenner vom Brandenburger Tor womöglich sogar dankbar sein. Ohne sein „Israelkritik on fire“ wäre die Debatte vermutlich nicht dort, wo sie jetzt ist. Wurde das Problem 2014 vornehmlich zwischen Jerusalem und Gaza lokalisiert, denkt man nun immerhin darüber nach, ob es in Deutschland eventuell doch Schwierigkeiten mit Antisemitismus in der muslimischen Community geben könnte. Ein lodernder Davidstern in unmittelbarer Nähe zum Reichstag – das war dann wohl doch zu viel der Israelkritik. Ordnung muss schließlich sein, in Deutschland mag man es lieber dezenter.
Zeitungen wiederum, die niemals um eine „Israel droht mit Selbstverteidigung“-Zeile verlegen sind, fordern in ihren Leitartikeln dazu auf, der brandneuen Importware ein lautstarkes „Nie wieder!“ entgegenzusetzen. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betont, Antisemitismus dürfe „keinen Platz haben in dieser Bundesrepublik“. In der SPD aber offensichtlich schon. Zumindest, wenn er in so elegante Apartheid-Vergleiche verpackt wird, wie man sie aus dem Munde des Außenministers kennt. Erst vor gut einer Woche gab Sigmar Gabriel in einem Gespräch mit muslimischen Jugendlichen zu Protokoll:
Nicht auf den Antisemitismus-Gehalt, sondern auf die Methoden kommt es also an. Eine clevere Strategie, die sich auch „propalästinensische“ Demonstranten hinter die Ohren schreiben sollten. Problematisch wird es erst, wenn Davidsterne lodern. Die Aufmärsche an sich laufen bei Gabriel dagegen offenbar unter ganz normaler „Israelkritik“. Eine Einschätzung, der sich auch die meisten der zuständigen Polizeibeamten anschlossen. Solange nichts anbrannte, blieben die Demonstrationen der letzten Zeit stets „friedlich“. Aufrufe zur Intifada, Palästina-Karten ohne Israel, Hamas-Flaggen, arabische Schlachtrufe oder der Evergreen „Kindermörder Israel“, der sicher nur rein zufällig an den antisemitischen Topos vom ritualmordenden Juden erinnert, gelten derweil als Ausweis von Friedfertigkeit.
Ohnehin ist der Jude im Zweifel einfach selbst schuld. Bei Netanyahus Vorgehen müsse man sich ja nicht wundern, wenn die Araber sauer werden und ihrem Ärger auch hier Luft machen, so die gängige Annahme. Wenn dabei Israelis und Juden „verwechselt“ würden, sei das natürlich bedauerlich. Nebenan in der Realität interessiert sich der durchschnittliche „Free Palestine“-Aktivist allerdings weniger für derlei Feinheiten. Ihn tangiert nicht sonderlich, ob ein amerikanischer Präsident die Botschaft nach Jerusalem, Haifa oder Eilat verlegt, weil er schon den dazugehörigen Staat nicht anerkennt. Es ist ihm auch völlig gleichgültig, ob Netanyahu Israel in eine theokratische Diktatur verwandelt oder es bis auf Tel Aviv komplett den Arabern überlässt. Ihn stört nicht, in welchen Grenzen Israel besteht, sondern dass Israel überhaupt, und zwar vor allem als Staat der Juden, existiert. Darum ergibt es für ihn auch durchaus Sinn, auf die Verlegung der amerikanischen Botschaft mit tätlichen Angriffen auf eine Synagoge in Schweden oder ein koscheres Restaurant in den Niederlanden zu reagieren. Jude bleibt Jude. Und was jüdisch ist, bestimmt der Antisemit – ganz gleich, welche Differenzierungs-Modelle man in Deutschland etabliert.
Dass der Gehalt von Antisemitismus-Debatten häufig Glückssache ist, war auch anlässlich einer weiteren Intervention zu bemerken: Justizminister Heiko Maas meldete sich zu Wort. Angesichts der jüngsten Vorkommnisse schlug er vor, den Holocaust zu einem „noch zentraleren Thema“ in Integrationskursen zu befördern. Darüber hinaus, so der Justizminister, müsse „jeder wissen, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zwei Seiten derselben Medaille sind: Auf beiden Seiten steht das Wort Rassismus.“ Worte, die gut klingen und sicherlich noch besser gemeint sind. Unglücklicherweise mangelt es ihnen in diesem Fall jedoch an Bezug zur Praxis.
Weder ist der Antisemitismus eine Spielart des Rassismus, noch ist er der eineiige Zwilling der Fremdenfeindlichkeit. Zwar teilen sich die Rassisten viele gesellschaftspolitische Vorstellungen mit den Antisemiten. Dennoch erweist sich der durchschnittliche Antisemit als wesentlich anspruchsvoller. Während Rassisten „die anderen“ als minderwertige Kreaturen ansehen, die möglichst dort bleiben sollen, wo sie her kommen, ist der Antisemit damit noch lange nicht zufrieden. Der Jude gilt ihm nicht als verachtenswertes Ärgernis, sondern als übermächtige Bedrohung, die aus seiner Sicht ständig am Strippen ziehen, zersetzen und Kriege führen ist und ohnehin hinter den Kulissen die Weltherrschaft an sich zu reißen gedenkt. Darum reicht es dem Antisemiten nicht, wenn der Jude „raus aus Deutschland“ oder „raus aus Palästina“ ist. Vielmehr muss er ganz von dieser Welt verschwinden. Konsequent zu Ende gedacht läuft der Antisemitismus mit der ihm eigenen Logik über kurz oder lang immer auf Vernichtung hinaus.
Der durchschnittliche Neonazi etwa kann sich heute keineswegs überall, geschweige denn vor dem Brandenburger Tor, zu voller Pracht entfalten. Auch dank des „Kampfs gegen Rechts“ fristet er sein Dasein vornehmlich in ostdeutschen Safe Spaces. Das ist nach wie vor zu viel, aber immerhin noch überschaubar. Anders verhält es sich mit linken Society-Antisemiten, die im Vergleich wesentlich besser integriert sind. Man trifft sie in Parteien, NGOs und Medienhäusern. Von dort aus leisten sie stets gerne Schützenhilfe, wenn einer der ihren zur Tat schreitet. Damals, als deutsche Linksextremisten in Entebbe Juden selektierten, agitierten sie gegen Israel. Heute finden sie gute Gründe, warum BDS-Aktionen wenig mit „Kauft nicht beim Juden“ und viel mit „informierten Kaufentscheidungen“ zu tun haben sollen. Selbst machen sie sich die Finger jedoch nicht schmutzig. Das eint sie mit der AfD. Linke wie Rechte bedienen gemeinsam die diversen Bedürfnisse der Mitte, die zwischen „Israelkritik“ und Vergangenheitsentsorgung rangieren und oftmals ineinander übergehen, weil jeder „Gaza = Freiluft-KZ“-Vergleich praktischerweise auch gleich die Taten der Großeltern relativiert. Und während die AfD emsig an einer Renovierung der Erinnerungskultur arbeitet, hat sie nebenher stets ein Plätzchen für diverse Randexistenzen frei.
Der Antisemit mit Migrationshintergrund ist dagegen direkter. Nicht selten lebt er in einer Welt, in der Judenhass zum guten Ton gehört und kaum einer Autorität Kopfzerbrechen bereitet. Schiebt er dann im Schulunterricht 9/11 den Juden in die Schuhe, trifft er auf ratlose Lehrer. Tritt er auf einer „propalästinensischen“ Demonstration auf, begegnet ihm „die Mitte“ mit Indifferenz oder Verständnis. Aus seinem Judenhass macht er keinen Hehl. Schließlich hatte er auch nie Anlass dazu. Und weil er seinen Wahn so ungeschminkt und offensiv, mitunter auch tätlich auslebt, gehen Juden in vielen Ecken Deutschlands präventiv auf Nummer sicher und nehmen die Kippa lieber ab. Der muslimische Antisemit ist nicht per se besser oder schlimmer als seine Kollegen aus anderen Biotopen. Er hat allerdings einen gravierenden Vorsprung, was die praktische Umsetzung seines Hasses angeht.
Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung liegt der Anteil derer, die „gut verstehen können, dass man bei der Politik, die Israel macht, etwas gegen Juden hat“, bei 40%. Der „Import-Antisemitismus“ ist also keineswegs eine exotische Rarität, sondern fester Teil eines Weltbilds, das sich vom Oberstudienrat über den Sigmar-Gabriel-Fan bis hin zum Augstein-Leser ausgebreitet hat. Würde die „Mitte“ dagegen demonstrieren, gliche das einer Selbstanklage. Da ist es klüger, für die Wahrung der „Israelkritik“ einzutreten und die Latte, die die feine Kritik vom hässlichen Judenhass trennt, möglichst so hoch zu hängen, dass man selbst noch bequem darunter hindurchpasst.
Während dem Springerstiefel-Träger eine Gesellschaft gegenübersteht, die ihm klare Grenzen aufzeigt, trifft der „Kindermörder Israel“-Demonstrant auf ein breites Bündnis an Medienschaffenden, Hobby-Nahostexperten und Politikern, die sich selbst mit der Benennung der israelischen Hauptstadt schwer tun. Kein Wunder, dass der migrantische Judenhass so viel von dem Platz einnimmt, den man dem Antisemitismus zumindest in Sonntagsreden doch „nie wieder“ einräumen wollte. Die Anhänger des brennenden Davidsterns und ihre biodeutschen Schützenhelfer verstehen sich einfach zu prächtig. Und gute Freunde kann bekanntlich niemand trennen.
Mit Antisemitismus-Debatten verhält es sich wie mit Autounfällen. Schön anzusehen sind sie nicht, und doch will ein jeder stets ganz vorne dabei sein. So wie der Gaffer sich unweigerlich dem Autowrack nähern muss, verspürt der Teilnehmer der Antisemitismus-Debatte einen überwältigenden Drang, auch mal etwas sagen zu müssen. Gemeinsam ist den gesammelten Diskussionen der letzten Jahre, dass so ziemlich jeder, aber freilich nie ein Antisemit mit dabei war. Stattdessen traf und trifft man stets nur profilierte Kritiker der israelischen Regierung, ganz normale Deutsche, die nun aber wirklich genug über die Verbrechen der Nazis gehört haben wollen, oder mutige Querdenker an.
Ganz ähnlich wie der Antisemitismus geht dabei auch die Diskussion über ihn mit der Zeit. Allzu lange ist es nicht her, da im Zuge des Gazakriegs 2014 vorwiegend junge Muslime über Wochen hinweg von der Großstadt bis hinein ins kleinste Dorf gegen den „Kindermörder Israel“ mobil machten. Auch israelische Fahnen wurden verbrannt, aber eben „nur“ an so beschaulichen Orten wie Aachen. Zwischenzeitlich landeten Brandsätze an der Fassade einer Synagoge im Wuppertal, was ein deutsches Gericht später als Akt der Israelkritik einstufen sollte. In den Medien war derweil von „erlebnisorientieren Jugendlichen“ die Rede, alles Weitere lief unter Folklore. Wichtiger war ohnehin, die „Gewaltspirale“ im Nahen Osten „kritisch“ zu begleiten.
Nun allerdings, da sich nicht nur in Berlin empörte Demonstranten mit Migrationshintergrund versammelt haben, um mit brennenden Israel-Fahnen und Aufrufen zur Intifada ihre Stimme gegen die Jerusalem-Entscheidung des amerikanischen Präsidenten zu erheben, hat die Diskussion eine andere Ausfahrt genommen. Zumindest auf den ersten Blick. Neben unzweideutigen Hinweisen, doch bitte säuberlich zwischen Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik und Kritik an der israelischen Regierung zu differenzieren, finden auch vergleichsweise eindeutige Verurteilungen des munteren Treibens statt.
Insofern muss man dem Flaggenverbrenner vom Brandenburger Tor womöglich sogar dankbar sein. Ohne sein „Israelkritik on fire“ wäre die Debatte vermutlich nicht dort, wo sie jetzt ist. Wurde das Problem 2014 vornehmlich zwischen Jerusalem und Gaza lokalisiert, denkt man nun immerhin darüber nach, ob es in Deutschland eventuell doch Schwierigkeiten mit Antisemitismus in der muslimischen Community geben könnte. Ein lodernder Davidstern in unmittelbarer Nähe zum Reichstag – das war dann wohl doch zu viel der Israelkritik. Ordnung muss schließlich sein, in Deutschland mag man es lieber dezenter.
Wettlauf der Anti-Antisemiten
So steht nun der „importierte Antisemitismus“ auf der Tagesordnung. Mit ihm ist ein Wettlauf um die Frage entbrannt, welches Team die höchste Antisemitismus-Reinheit vorzuweisen hat. Ganz vorne im Rennen liegt dabei die AfD. Deren Repräsentanten machen nun in Anti-Antisemitismus und haben plötzlich die historische Verantwortung wiedergefunden, die sie bei den letzten Höcke- und Gauland-Events noch an der Garderobe abgegeben hatten. Wenn der Judenhass von Muslimen oder gar „Merkels Gästen“ ausgeht, muss das Ansehen der Wehrmachtsoldaten eben Pause machen. Und so fragte Alice Weidel jüngst auf Twitter, ob gewaltbereiter Judenhass von Migranten „nun etwa auch zu Deutschland gehört?“. Eine legitime Frage. Zu Deutschland passt bekanntlich viel eher gepflegtes Gruseln vor den „Marionetten der Siegermächte“.Zeitungen wiederum, die niemals um eine „Israel droht mit Selbstverteidigung“-Zeile verlegen sind, fordern in ihren Leitartikeln dazu auf, der brandneuen Importware ein lautstarkes „Nie wieder!“ entgegenzusetzen. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betont, Antisemitismus dürfe „keinen Platz haben in dieser Bundesrepublik“. In der SPD aber offensichtlich schon. Zumindest, wenn er in so elegante Apartheid-Vergleiche verpackt wird, wie man sie aus dem Munde des Außenministers kennt. Erst vor gut einer Woche gab Sigmar Gabriel in einem Gespräch mit muslimischen Jugendlichen zu Protokoll:
„Die Bundesregierung habe Trumps Entscheidung sofort kritisiert und nehme sich selbstverständlich auch das Recht heraus, Israels Regierungspolitik zu kritisieren. Er selbst, sagt Gabriel, habe vor einigen Jahren nach einem Besuch in Hebron in den besetzten Gebieten davon gesprochen, dass ihn das Gesehene an Apartheid erinnere. Aber israelische Fahnen zu verbrennen, das sei die falsche Methode, um gegen israelische Politik zu demonstrieren.“
Nicht auf den Antisemitismus-Gehalt, sondern auf die Methoden kommt es also an. Eine clevere Strategie, die sich auch „propalästinensische“ Demonstranten hinter die Ohren schreiben sollten. Problematisch wird es erst, wenn Davidsterne lodern. Die Aufmärsche an sich laufen bei Gabriel dagegen offenbar unter ganz normaler „Israelkritik“. Eine Einschätzung, der sich auch die meisten der zuständigen Polizeibeamten anschlossen. Solange nichts anbrannte, blieben die Demonstrationen der letzten Zeit stets „friedlich“. Aufrufe zur Intifada, Palästina-Karten ohne Israel, Hamas-Flaggen, arabische Schlachtrufe oder der Evergreen „Kindermörder Israel“, der sicher nur rein zufällig an den antisemitischen Topos vom ritualmordenden Juden erinnert, gelten derweil als Ausweis von Friedfertigkeit.
Zwischen „ja aber“ und „selbst schuld!“
Und so erweist sich das Nie-Wieder-Land als äußerst talentiert, wenn es darum geht, den Judenhass aus sämtlichen unter Antisemitismus-Verdacht stehenden Angelegenheiten präzise zu entfernen. Junge Muslime in Deutschland werden mühelos in das nahöstliche Actio-Reactio-Schema integriert, demzufolge sie gar nicht anders können, als auf sämtliche Regungen aus Israel mit gewaltigem Furor zu antworten. Die Jerusalem-Entscheidung Donald Trumps gilt nicht als austauschbarer Anlass, um ein ohnehin bestehendes Ressentiment auf die Straße zu tragen, sondern als eindeutiger Auslöser einer legitimen Protestwelle. Und wenn Trump die Ursache und „Israelkritik“ der Inhalt des Protests ist, kann für Antisemitismus folglich nur noch wenig Platz bleiben. Allein der Begriff „Antisemitismus“ genügte, um unzählige Nahost-Experten in den abwehrbereiten Ja-Aber-Modus zu versetzen. In etlichen Leserbriefen und Facebook-Kommentaren betonen sie seither, dass Antisemitismus freilich zu verurteilen sei, Kritik an Israel aber erlaubt sein müsse und beides ohnehin nichts miteinander zu tun habe. Während ein brennender Davidstern normalerweise Sorge auslösen müsste, denkt der moderne „Israelkritiker“ bei dessen Anblick erst einmal an den israelischen Siedlungsbau. Schließlich muss man Prioritäten setzen.Ohnehin ist der Jude im Zweifel einfach selbst schuld. Bei Netanyahus Vorgehen müsse man sich ja nicht wundern, wenn die Araber sauer werden und ihrem Ärger auch hier Luft machen, so die gängige Annahme. Wenn dabei Israelis und Juden „verwechselt“ würden, sei das natürlich bedauerlich. Nebenan in der Realität interessiert sich der durchschnittliche „Free Palestine“-Aktivist allerdings weniger für derlei Feinheiten. Ihn tangiert nicht sonderlich, ob ein amerikanischer Präsident die Botschaft nach Jerusalem, Haifa oder Eilat verlegt, weil er schon den dazugehörigen Staat nicht anerkennt. Es ist ihm auch völlig gleichgültig, ob Netanyahu Israel in eine theokratische Diktatur verwandelt oder es bis auf Tel Aviv komplett den Arabern überlässt. Ihn stört nicht, in welchen Grenzen Israel besteht, sondern dass Israel überhaupt, und zwar vor allem als Staat der Juden, existiert. Darum ergibt es für ihn auch durchaus Sinn, auf die Verlegung der amerikanischen Botschaft mit tätlichen Angriffen auf eine Synagoge in Schweden oder ein koscheres Restaurant in den Niederlanden zu reagieren. Jude bleibt Jude. Und was jüdisch ist, bestimmt der Antisemit – ganz gleich, welche Differenzierungs-Modelle man in Deutschland etabliert.
Irrungen und Wirrungen
Doch wenn es um den Nahen Osten geht, gelten in Deutschland nicht nur andere Spielregeln. Auch bei der Logik gibt es ab und an Ausfallerscheinungen. Niemand würde ernsthaft behaupten, die Politik Erdogans könnte dem Ansehen der Deutschtürken schaden. Kein Mensch äußert die Befürchtung, dass Russland-Deutsche in Berlin angesichts des Vorgehens Putins in Syrien und der Ukraine zur Zielscheibe von Gewalt werden könnten. Im jüdischen Kontext hingegen erscheint der gleiche Gedankengang völlig plausibel. Dabei kommt es hinsichtlich antisemitischer Regungen in keiner Weise darauf an, was die israelische Regierung tut oder unterlässt. Das „Selbst schuld“-Argument sagt wenig über die Realität, dafür aber viel über die Bereitschaft des „Israelkritikers“ aus, im Juden oder seinem Staat ganz automatisch die Ursache jeglichen Übels auszumachen.Dass der Gehalt von Antisemitismus-Debatten häufig Glückssache ist, war auch anlässlich einer weiteren Intervention zu bemerken: Justizminister Heiko Maas meldete sich zu Wort. Angesichts der jüngsten Vorkommnisse schlug er vor, den Holocaust zu einem „noch zentraleren Thema“ in Integrationskursen zu befördern. Darüber hinaus, so der Justizminister, müsse „jeder wissen, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zwei Seiten derselben Medaille sind: Auf beiden Seiten steht das Wort Rassismus.“ Worte, die gut klingen und sicherlich noch besser gemeint sind. Unglücklicherweise mangelt es ihnen in diesem Fall jedoch an Bezug zur Praxis.
Weder ist der Antisemitismus eine Spielart des Rassismus, noch ist er der eineiige Zwilling der Fremdenfeindlichkeit. Zwar teilen sich die Rassisten viele gesellschaftspolitische Vorstellungen mit den Antisemiten. Dennoch erweist sich der durchschnittliche Antisemit als wesentlich anspruchsvoller. Während Rassisten „die anderen“ als minderwertige Kreaturen ansehen, die möglichst dort bleiben sollen, wo sie her kommen, ist der Antisemit damit noch lange nicht zufrieden. Der Jude gilt ihm nicht als verachtenswertes Ärgernis, sondern als übermächtige Bedrohung, die aus seiner Sicht ständig am Strippen ziehen, zersetzen und Kriege führen ist und ohnehin hinter den Kulissen die Weltherrschaft an sich zu reißen gedenkt. Darum reicht es dem Antisemiten nicht, wenn der Jude „raus aus Deutschland“ oder „raus aus Palästina“ ist. Vielmehr muss er ganz von dieser Welt verschwinden. Konsequent zu Ende gedacht läuft der Antisemitismus mit der ihm eigenen Logik über kurz oder lang immer auf Vernichtung hinaus.
Von gut integrierten Antisemiten und Wettbewerbsvorteilen
Insofern ist es prinzipiell überflüssig, Antisemitismus nach Farben, Richtungen und Provenienz zu ordnen; die guten Antisemiten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen einzusortieren und so zu tun, als gäbe es gefährlicheren und weniger gefährlichen Judenhass. Tatsächlich gibt es nur einen Antisemitismus. Seit über 2000 Jahren bahnt er sich seinen Weg durch die Geschichte, nistet sich in ganz unterschiedliche Milieus ein und geht dabei stets mit der Zeit. Entscheidend ist letztlich vor allem, wie gut er unter Kontrolle ist. Dass seine Träger also nicht übermütig werden, in Regierungen landen oder Gewalt anwenden. Die Zähmung des Flaschengeists ist dabei keineswegs eine ausschließlich juristische Angelegenheit, sondern obliegt gleichermaßen der Zivilgesellschaft, den Medien und der Politik.Der durchschnittliche Neonazi etwa kann sich heute keineswegs überall, geschweige denn vor dem Brandenburger Tor, zu voller Pracht entfalten. Auch dank des „Kampfs gegen Rechts“ fristet er sein Dasein vornehmlich in ostdeutschen Safe Spaces. Das ist nach wie vor zu viel, aber immerhin noch überschaubar. Anders verhält es sich mit linken Society-Antisemiten, die im Vergleich wesentlich besser integriert sind. Man trifft sie in Parteien, NGOs und Medienhäusern. Von dort aus leisten sie stets gerne Schützenhilfe, wenn einer der ihren zur Tat schreitet. Damals, als deutsche Linksextremisten in Entebbe Juden selektierten, agitierten sie gegen Israel. Heute finden sie gute Gründe, warum BDS-Aktionen wenig mit „Kauft nicht beim Juden“ und viel mit „informierten Kaufentscheidungen“ zu tun haben sollen. Selbst machen sie sich die Finger jedoch nicht schmutzig. Das eint sie mit der AfD. Linke wie Rechte bedienen gemeinsam die diversen Bedürfnisse der Mitte, die zwischen „Israelkritik“ und Vergangenheitsentsorgung rangieren und oftmals ineinander übergehen, weil jeder „Gaza = Freiluft-KZ“-Vergleich praktischerweise auch gleich die Taten der Großeltern relativiert. Und während die AfD emsig an einer Renovierung der Erinnerungskultur arbeitet, hat sie nebenher stets ein Plätzchen für diverse Randexistenzen frei.
Der Antisemit mit Migrationshintergrund ist dagegen direkter. Nicht selten lebt er in einer Welt, in der Judenhass zum guten Ton gehört und kaum einer Autorität Kopfzerbrechen bereitet. Schiebt er dann im Schulunterricht 9/11 den Juden in die Schuhe, trifft er auf ratlose Lehrer. Tritt er auf einer „propalästinensischen“ Demonstration auf, begegnet ihm „die Mitte“ mit Indifferenz oder Verständnis. Aus seinem Judenhass macht er keinen Hehl. Schließlich hatte er auch nie Anlass dazu. Und weil er seinen Wahn so ungeschminkt und offensiv, mitunter auch tätlich auslebt, gehen Juden in vielen Ecken Deutschlands präventiv auf Nummer sicher und nehmen die Kippa lieber ab. Der muslimische Antisemit ist nicht per se besser oder schlimmer als seine Kollegen aus anderen Biotopen. Er hat allerdings einen gravierenden Vorsprung, was die praktische Umsetzung seines Hasses angeht.
Gute Freunde kann niemand trennen
Diesen Wettbewerbsvorteil genießt der „importierte Antisemitismus“ auch deshalb, weil er sich auf Rückhalt aus der Gesellschaft verlassen kann. Der Neonazi trifft auf ein breites, „buntes“ Bündnis, der muslimische Judenhass wächst und gedeiht indes weitestgehend ungestört. Aus gutem Grund – schließlich müsste eine Demo gegen den jüngsten Ausbruch israelbezogenen Judenhasses ohne Wenn und Aber pro-israelisch sein. Ein Bekenntnis, das der Mitte zweifelsfrei nicht zuzumuten ist. Immerhin hat dieselbe Mitte schon alle Hände voll zu tun, das Verhalten der israelischen Regierung (egal welche) zu geißeln. Diese urdeutsche Form der „Neutralität“ hilft ausschließlich dem Aggressor, nicht dem Opfer.Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung liegt der Anteil derer, die „gut verstehen können, dass man bei der Politik, die Israel macht, etwas gegen Juden hat“, bei 40%. Der „Import-Antisemitismus“ ist also keineswegs eine exotische Rarität, sondern fester Teil eines Weltbilds, das sich vom Oberstudienrat über den Sigmar-Gabriel-Fan bis hin zum Augstein-Leser ausgebreitet hat. Würde die „Mitte“ dagegen demonstrieren, gliche das einer Selbstanklage. Da ist es klüger, für die Wahrung der „Israelkritik“ einzutreten und die Latte, die die feine Kritik vom hässlichen Judenhass trennt, möglichst so hoch zu hängen, dass man selbst noch bequem darunter hindurchpasst.
Während dem Springerstiefel-Träger eine Gesellschaft gegenübersteht, die ihm klare Grenzen aufzeigt, trifft der „Kindermörder Israel“-Demonstrant auf ein breites Bündnis an Medienschaffenden, Hobby-Nahostexperten und Politikern, die sich selbst mit der Benennung der israelischen Hauptstadt schwer tun. Kein Wunder, dass der migrantische Judenhass so viel von dem Platz einnimmt, den man dem Antisemitismus zumindest in Sonntagsreden doch „nie wieder“ einräumen wollte. Die Anhänger des brennenden Davidsterns und ihre biodeutschen Schützenhelfer verstehen sich einfach zu prächtig. Und gute Freunde kann bekanntlich niemand trennen.
Ein klares Zeichen gegen israelbezogenen Antisemitismus (by J. N. Pyka.) |