Immer mehr
Konservative haben immer weniger mit den Ideen zu tun, für die sie einstmals
standen. Stattdessen klingen sie nicht nur wie Rudi Dutschke – sie übernehmen
auch zunehmend Marotten des weltanschaulichen Gegners von links. Sie haben
keine Ahnung, wofür sie sind, wissen stattdessen aber ziemlich gut, wogegen. Im
Zuge dessen verbrüdern sie sich mit jedem, solange er nicht Merkel heißt, dafür
aber gut „Merkel muss weg!“ rufen kann. Zurück bleibt nicht nur eine intellektuelle
Leerstelle, in der sich die Ränder entfalten, sondern auch die Frage, ob der
Konservatismus bloß einen Stresstest durchlebt oder durch einen Populismus
sozial-nationalistischer Couleur ersetzt wird.
Lesezeit: länger als üblich
Konservatismus trifft
auf Vulgär-Konservatismus
Auf zur Revolution!
Mit Angela Merkel in
der Echo-Kammer
My safe space is my castle
Mehr Erdogan wagen!
Von Trumpern,
Anti-Trumpern und Anti-Anti-Trumpern
Kritiker der
AfD-Kritik, Meister der Meta-Akrobatik
Groß im „dagegen“,
klein im „wofür?“
„Gegen links“ ist das
neue „konservativ“
Was vom
Konservatismus übrig bleibt
Lesezeit: länger als üblich
In gewisser Hinsicht ist Donald Trump ein Genie. Mit Blick
auf seinen neuen Job muss er zwar noch ein wenig üben. Das Krankenversicherungssystem
überfordert
ihn ebenso wie die Gewaltenteilung. Ohnehin scheint Politik im Allgemeinen
nicht unbedingt sein Spezialgebiet zu sein. Und doch hat er es geschafft, in
ihm völlig unbekannten Gefilden nichts Geringeres als eine kleine Revolution
loszutreten. Denn seit seinem Debut auf der politischen Bühne ist von der
„Grand Old Party“ der Reagans und Bushs – immerhin die einzige konservative
Partei, die es in den USA gibt - erstaunlich wenig
übrig geblieben. Der amerikanische Konservatismus sieht so aus, als wäre er
einem Hurrican zum Opfer gefallen. Ob der amtierende Präsident wirklich an
bestimmte politische Ideen oder bloß an sich selbst glaubt, ist dabei nach wie
vor ungeklärt. „America first“ bleibt allerdings unabhängig davon das Gegenteil
dessen, was die GOP einst ausmachte: Protektionismus statt Freihandel,
Ablehnung der Einwanderungsgesellschaft statt klarem Bekenntnis zu ihren
Vorzügen, „big spending“ statt „small government“.
Sein eigenes Land hält Donald Trump im Gegensatz zu all
seinen Vorgängern nicht für großartig, sondern für ein düsteres Höllenloch, das
zu lange von fremden Mächten, „Globalisten“, Mexikanern, Chinesen und lästigen
Europäern übervorteilt und zerstört wurde. Nur er allein könne es wieder
richten, für klassisch republikanische Vokabeln wie „liberty“ und das
Individuum an sich bleibt daher wenig Zeit. Lieber sind ihm Autokraten, in
deren Angelegenheiten er sich freilich nicht
einmischen will. Staatsführer wie Vladimir Putin etwa, in dem Trump einen
„great leader“ erkannt hat und dem er stets zuverlässig zur Seite springt, wenn
dessen Ehre von hinterlistigen amerikanischen Geheimdiensten beschmutzt wird.
Auf die russischen Geheimdienste und Wikileaks ist ohnehin mehr Verlass. Wäre
der anfangs oftmals aufgestellte Ronald-Reagan-Vergleich eine Aktie, wäre sie
spätestens an dieser Stelle im Keller gelandet. Donald Trump hat nicht nur
gegen die Demokraten und Hillary Clinton, sondern auch gegen das Establishment
der GOP mitsamt deren intellektuellen Erbes gewonnen. Seither steht der
Trumpismus unter seinen Wählern hoch im Kurs. Unklar ist, ob er den
Konservatismus nur kurzfristig abgelöst hat oder langfristig ersetzen wird.
Dabei ist der Trumpismus als Idee keineswegs eine
amerikanische Erfindung. Seine Wurzeln hat er in Europa, wo das antiliberale
Ressentiment seit je her dankbare Abnehmer findet. Das Erfolgsrezept des
Kostüm-Republikaners Trump besteht aus einer ordentlichen Portion Front
National, einem Hauch Viktor Orban und je einer Prise Wilders, Strache und
Farage. Und doch bewegen sich amerikanische Trends stets zuverlässig in eine
Richtung: Über kurz oder lang schwappen sie immer über den Atlantik.
Dementsprechend macht der Trend zum ausgeprägten Facelifting auch vor dem
Terrain des europäischen Konservatismus nicht halt. Teams sortieren sich um,
neue Allianzen werden geschmiedet, alte wiederum entsorgt. Auch und vor allem
in Deutschland, wo die Konservativen des Konservatismus‘ ein wenig überdrüssig
erscheinen. Einstmals fest in der Christdemokratie verwurzelte
Unions-Mitglieder verschreiben sich pegidaesk der Rettung des Abendlands,
Sympathisanten George W. Bushs werfen sich für dessen Gegenentwurf
Donald Trump in die Bresche. Während vehemente Kritiker der Israel-Kritik ihr
Repertoire um Kritik der Höcke-Kritik erweitern und verstaubte „Schuldkult“-Thesen
aufpolieren, erkennen bürgerlich Liberale in den Dresdner Wutbürgern tapfere
Widerstandskämpfer, mit denen sich durchaus eine Partnerschaft „in crime“
einrichten ließe.
Konservatismus trifft
auf Vulgär-Konservatismus
Nun hat der Konservatismus in Deutschland freilich einen
eher schweren Stand. Die Christdemokraten im Geiste Adenauers sind
weitestgehend unter der Erde, Angela Merkel punktet derweil zunehmend in grünen
Gegenden. Übrig bleibt die AfD, die im europäischen Vergleich wie eine
Spätgeburt erscheint. Emsig bemüht sie sich um das Label „konservativ“,
erreicht dabei aber höchstens den Pegel des Vulgär-Konservatismus. Zwar sind viele
Menschen der Ansicht, Angela Merkel sei die beste Wahlkämpferin der AfD. Immerhin
hätte sie doch rechts der Mitte ein Vakuum hinterlassen, in dem sich nun
Alexander Gauland und die Seinen breitmachen und heimatlosen Christdemokraten
ein kuscheliges Zuhause bieten. Diese Theorie geht allerdings nur dann auf, wenn
man große Teile des Adenauer’schen Erbes zu austauchbarem Beiwerk degradiert.
Die zärtliche Zuneigung gegenüber Russland, das Liebäugeln mit
markt-feindlichen Instrumenten und eine „erinnerungspolitische Wende um 180
Grad“ zählten jedenfalls nie zu den Haupt-Zutaten der klassischen Christdemokratie.
Ginge es der AfD um eine Neuauflage der 90er-Jahre CDU, müsste sie sich bloß geregelte
Zuwanderung, sichere Grenzen, weniger Alternativlosigkeit in der europäischen
Währungspolitik und das klassische Familienmodell auf die Fahnen schreiben.
Stattdessen bietet sie aber ein Ticket ins Abendland mit
voller staatlicher Verpflegung und putinistischen Annehmlichkeiten inklusive.
Kritik an der Flüchtlingspolitik und der Fokus auf innere Sicherheit sind Konsens-taugliche
Verpackungen für ein Gesamtpaket, in dem sich eine Gegenrevolution zu
wesentlich Errungenschaften der Moderne verbirgt. Die AfD ist kein politischer
Dienstleister, der sich auf den schnöden Vertrieb bestimmter politischer
Maßnahmen beschränkt. Sie ist auch keine Zweck-Partei, die explizit darauf
hinarbeitet, irgendwann überflüssig zu sein. Sie übt sich vielmehr in der Rolle
des Revolutionsführers, der ein ganz neues Land verspricht und dessen Währung
in Gefühlen, Sehnsüchten und urdeutschen Reflexen besteht. Ihr Anliegen ist
nicht der Kurswechsel, sondern der Systemwechsel.
Auf zur Revolution!
Das Problem der AfD besteht indes darin, dass ihr das „Volk“
fehlt, welches für dementsprechende Wahlergebnisse sorgen könnte. Bei
Umfragewerten von rund 8% ist eine Revolution derzeit eher nicht zu erwarten.
Dennoch kann sie sich auf etliche Bewohner des einstmals konservativ-bürgerlichen
Lagers verlassen – denn dort greift nun ebenfalls das Revolutionsfieber um sich.
Ähnlich wie unter den Republikanern hat sich auch im Terrain zwischen CDU/CSU,
FDP und AfD ein Klimawandel vollzogen, der bürgerliche Ideale und Prinzipien
auf wundersame Weise abschmelzen lässt. Klassische Kernthemen wie das Eintreten
für einer eher schlanken Staat und die soziale Marktwirtschaft nach Ludwig
Erhardt vermodern mittlerweile in den Akten. Berechtigte Kritik am Islam sowie
an der Flüchtlingspolitik wiederum wurde soweit entstellt, dass sie nur noch
wenig bis gar nichts mit dem ursprünglichen Kern zu tun hat. Die Fähigkeit,
zwischen Problem und Krise, zwischen großer Herausforderung und Weltuntergang
zu differenzieren, scheint irgendwo auf dem Weg vom Konservatismus zum
Vulgärkonservatismus verloren gegangen zu sein.
Ersetzt wurde sie durch eine prickelnde Leidenschaft für
Apokalypsen aller Art. Auch exotische Vergleiche stehen im Abendland hoch im
Kurs: Deutschland 2017 fühlt sich wahlweise wie 1933 oder wie die DDR an,
während man sich selbst die Tracht des „neuen Juden“ überwirft. Ausgehend von
legitimer Kritik an linken Zeitgeisterscheinungen und großkoalitionären
Fehlentscheidungen haben viele bürgerliche Stimmen irgendwann eine Ausfahrt
genommen, die geradewegs in eine Sackgasse führt, in der eine Islamisierung bis
morgen früh um zehn als einzig valide Zukunftsprognose gilt und Angela Merkel
an allem schuld ist. Die Trennlinie zu Linken und Mittigen verläuft nicht mehr
entlang unterschiedlicher Meinungen, sondern entlang grundverschiedener
Wahrnehmungen der Realität. Einer Realität, die von einem Endzeitkampf gegen
den Islam beherrscht wird und den Blick auf andere Bedrohungen – etwa die im
Osten – vollends versperrt.
Mit Angela Merkel in
der Echo-Kammer
Natürlich ist die Bundeskanzlerin keine Heilige, Kritik an
ihr kein Frevel. Es gibt viele gute Gründe, ihre Politik kritisch zu betrachten
- auch und vor allem aus klassisch konservativer Warte, von wo aus es etwas
befremden muss, wenn die Chefin der Christdemokraten insbesondere links der
Mitte populäre Ideen stibitzt. In den Sphären jedoch, in denen sich der „neue
Konservatismus“ heimisch fühlt, ist Merkel-Kritik längst zu einer Kunstform
mutiert, die ganz eigenen Gesetzen folgt. Die Kanzlerin, die von Linken und
Mittigen schon zum „leader of the free world“ befördert wird, dient auf der
anderen Seite als Projektionsfläche für alles, was auch Bürgerlichen
mittlerweile Unwohl bereitet. Dazu zählt vor allem der als „dekadent“ und
„wohlstandsverwahrlost“ empfundene Westen, dessen Stärken als Schwächen und
dessen Schwächen als hinreichendes Argument für einen Systemwechsel gewertet
werden. Gäbe es Angela Merkel nicht, die neuen Konservativen müssten sie glatt
erfinden.
Nur so ist zu verstehen, warum die Bundeskanzlerin selbst an
von gebürtigen Briten begangenen Terroranschlägen schuld ist. Lässt sie Asylbewerber
unkontrolliert einreisen, steht die Welt kurz vor dem Untergang. Will sie
Asylbewerber hingegen abschieben, überführt man sie des Opportunismus. Oder
aber man stimmt einfach weiterhin einen Ton an, der so klingt, als würden nach
wie vor zehntausend Menschen pro Tag die Grenze passieren. Denn der moderne
Abendlandverteidiger zählt sich nicht nur zu einer besonders früh aufgewachten
Minderheit unter schlafenden Deutschen. Er weiß auch bei jeder sich neu
auftuenden Frage schon im Voraus, wo die Bösen und wo die Guten stehen. Eine
ergebnisoffene Herangehensweise auf Basis dessen, was ist, liegt ihm oftmals
genauso fern wie die Erkenntnis, dass der aufgeklärte Deutungsmarkt nicht nur
„entweder oder“, sondern ebenso „sowohl als auch“ im Angebot hat.
My safe space is my castle
Und so gleichen die neuen konservativen Abendlandverteidiger
immer öfter dem Zerrbild, das hysterische Linke einst mit viel Phantasie von
ihnen zeichneten. Im Gegenzug borgen sie sich aber auch zunehmend Methoden und
Marotten von ihrem weltanschaulichen Gegner, namentlich den Linken – Methoden
und Marotten, die sie selbst ehemals leidenschaftlich aufspießten. Die Rhetorik
eines Rudi Dutschkes etwa haben sie praktischerweise gleich in Gänze übernommen.
Die „Umvolkung“ wiederum ist zum neuen Waldsterben geworden, unter
Weltuntergang läuft nichts mehr. Wo Linke sich als Opfer des Kapitalismus, des
Imperialismus oder schlicht der „Gesellschaft“ sehen, schickt man sich auch
rechts der Mitte um den Opferstatus an. Der Glaube an das Individuum, das sein
Schicksal selbst in die Hand nimmt, hat ausgedient. Der moderne
Kostüm-Konservative flüchtet derweil lieber in seinen „safe space“, von wo aus
er ausgiebig sein Dasein in einer „DDR 2.0“ bejammert. Der Glaube an eine
„Meinungsdiktatur“ mitsamt Bevormundung durch eine links-grüne Elite ist kein
Stilmittel, sondern eine als real empfundene Option, die ihm den Schlaf raubt.
Man gruselt sich vor Frühsexualisierung an Schulen, hat aber
nichts gegen den Vorschlag der AfD, „Familienkunde“
mit Fokus auf die Ehe in den Schulunterricht zu integrieren. Man empört
sich über ein Fehlen objektiver Berichterstattung, fiebert aber dem (nun mehr
verschobenen) Erscheinen von „Breitbart Deutschland“ - freilich ein Hort der
journalistischen Objektivität - entgegen. Man legt sich für ein Ende der
„politischen Korrektheit“ ins Zeug, wischt sich aber mit dem Jammerlappen die
Tränchen ab, sobald Gegenwind aufkommt. Die neuen Konservativen stören sich
eher weniger an Eliten oder einer „kulturellen Hegemonie“ an sich. Sie fürchten
nicht Bevormundung per se, sondern lediglich Bevormundung durch die Falschen. Insgeheim
träumen sie eigentlich nur selbst davon, Elite zu sein, Deutungshoheit zu
beanspruchen, den Nanny-Staat zu okkupieren und anderen zu erklären, wie sie zu
leben haben. Das ist selbstverständlich in Ordnung. Es hat nur wenig mit dem
ur-liberalen, emanzipatorischen Reflex zu tun, den sich neue Konservative gerne
ans Revers heften.
Mehr Erdogan wagen!
Überhaupt mutiert das liberale Antlitz mehr und mehr zur
Staffage, hinter der sich die einstmals vergleichsweise notorische Intoleranz
gegenüber allzu viel Autorität verflüchtigt. Ein Despot wie Erdogan wird sich
zwar gemeinhin nicht auf sonderliche Sympathie von Seiten deutscher
Neu-Konservativer verlassen können. Aber wenn er dann mal „den Richtigen“
einsperrt, kann sich das auch ganz schnell wieder ändern. Islam hin,
Meinungsfreiheit her, ein „antideutscher Verräter“ wie der Journalist Deniz
Yücel hat es schließlich nicht anders verdient – so der gar nicht so
klammheimliche Freudentenor,
der sich anlässlich Yücels Verhaftung im abendländischen Gefilde entfaltete.
Ähnlich verhält es sich mit Viktor Orban, über dessen „illiberale
Demokratie“ sich schon mal hinwegsehen lässt, solange er tapfer als Posterboy
der geschlossenen Grenzen und Antipode zu Angela Merkel die Stellung hält. Und
auch Vladimir Putins Russland muss sich nicht vor Kritik derjenigen fürchten,
die sich noch bis vor kurzem für den Universalismus der Menschenrechte
aussprachen. Der Mann, der seine Nachbarn überfällt, in Syrien die
Fluchtursache namens Assad unterstützt, Homosexuelle im eigenen Land drakonisch
sanktioniert und allzu lästige Journalisten gelegentlich mit einer Kugel im
Kopf belohnen lässt, kann sich unter Neo-Bürgerlichen auf latente bis offene
Sympathie, mindestens aber auf einen großzügigen Weichzeichner mitsamt
selektiver Wahrnehmung verlassen. Immerhin verteidigt er ja das Abendland vor
der um sich greifenden Dekadenz westlicher Couleur. Sollten Putins Destabilisierungsversuche
vollends fruchten, dürfte den konvertierten Konservativen zumindest der „Nützliche
Idiot“ in Gold sicher sein.
Offenbar sind Diktatur und Autokratie eben nicht per se
schlecht – zumindest nicht, solange lediglich „die Richtigen“ darunter leiden
oder es wenigstens so aussieht. Linke Freunde der diktatorischen
Internationalen sollten allmählich erwägen, sich warm anzuziehen: Ihre
Monopolstellung im Bereich der angewandten Erbärmlichkeit scheint keineswegs
mehr gesichert.
Von Trumpern,
Anti-Trumpern und Anti-Anti-Trumpern
In den USA hat sich die politische Landschaft derweil rund
um den Präsidenten völlig neu arrangiert. Neben den Vollblut-Trumpern, den
Anti-Trumpern (beleidigte Demokraten) und den Never-Trumpern (deprimierte
Republikaner) formiert sich inzwischen auch die „Anti-Anti-Trump-Front“. Ihr
gehören wiederum republikanisch gesinnte Zeitgenossen an, die Donald Trump zwar
nicht immer inhaltlich verteidigen können oder wollen, seine Kritiker aber noch
wesentlich entsetzlicher als seine Taten finden. Das Spezialgebiet der
Anti-Anti-Trumper besteht in der Kritik der Trump-Kritik. Sie kommen immer dann
zum Einsatz, wenn der Präsident ins Sperrfeuer der Demokraten, der Medien, des
Geheimdienst-Ausschusses oder den Trägerinnen rosa-farbiger
Häkelmützen-Trägerinnen gerät. Anti-Anti-Trumper zu sein ist folglich ein
Fulltime-Job, der einige anspruchsvolle Pirouetten erfordert.
Zugegebenermaßen liegen Vertreter dieser Zunft mit ihrer
Kritik nicht völlig daneben, wenn sich etwa in Washington D.C. antizionistische
Feministinnen mit anderen Verächtern des Westens zusammentun, um gegen den
Präsidenten mobil zu machen. Und doch stellt sich nach über hundert Tagen im
Amt die Frage, ob pinke Häkelmützen, beleidigte Demokraten und gelegentlich zur
Parteilichkeit neigende Journalisten ein größeres Problem sind als ein
Präsident, der Geheimdienst-Informationen an den russischen Außenminister
weitergibt und ein eher eigentümliches Verhältnis zur Gewaltenteilung pflegt.
Anti-Anti-Trumper sind immer dann in Top-Form, wenn sie sich
auf der Metaebene bewegen. Zurück in der Realität fehlen ihnen hingegen die Worte,
die sie mit geschickten Ablenkmanövern ersetzen. „But her emails!“, „What about
Obama?“, der Verweis auf scheinheilige Linke und „Fake News“ wären nur einige
Formationen, die Anti-Anti-Trumper mittlerweile perfekt beherrschen. Nicht
wenige von ihnen haben offenbar noch nicht mitbekommen, dass ihr Messias nicht
mehr der „underdog“ ist und ihre Partei sich aktuell nicht in der Opposition,
sondern in der Verantwortung befindet.
Kritiker der
AfD-Kritik, Meister der Meta-Akrobatik
Ähnlich verläuft die Frontlinie auch in Deutschland, wo sich
Donald Trump, vor allem aber die AfD und Pegida auf Profis in Sachen
Meta-Akrobatik verlassen kann. Komme, was wolle, und sei es auch ein zweiter
Björn Höcke, ein dritter Wolfgang Gedeon oder gar ein Händler von
Nazi-Devotionalien im Bundesvorstand – „die anderen“ in Gestalt von Angela
Merkel, Heiko Maas, dem „links-grünen Mainstream“, arroganten Eliten mitsamt
ihrer „Lügenpresse“ sind schlimmer. Immer. Vertreter der Kritik der AfD-Kritik
machen sich im Gegensatz zu Anhängern der „Alternative“ nicht zwingend deren
Programm zu Eigen. Sie sind lediglich der Ansicht, dass nichts entsetzlicher
oder wenigstens ebenso entsetzlich wie diejenigen sein könnte, die sie zu ihrem
Feindbild erkoren haben. Die Vorstellung, sowohl einem Alexander Gauland als
auch einem Heiko Maas, ebenso einer Claudia Roth wie auch einem Donald Trump
mit Skepsis zu begegnen, gilt als abwegig, wenn nicht gar als Verharmlosung des
Status Quo. Ähnlich wie Linke, die auf Kriminalität unter Asylbewerbern mit
Verweis auf brennende Flüchtlingsheime reagieren, sind auch die neuen
Konservativen nicht imstande, Kritik der AfD stehen zu lassen, ohne sie mit
einem großen „aber“ zu relativieren. Die politische Auseinandersetzung verwechseln
sie mit einem DFB-Pokalspiel, in dem nur eines von zwei Teams gewinnen kann.
Dementsprechend läuft der Kostüm-Konservative auch nicht
zwingend selbst bei Pegida mit. Vehement verteidigt er aber diejenigen, die es
tun. Schließlich würden diese ja nur auf „widrige Umstände“ – Islamisierung, Flüchtlinge,
Merkel, Maas - reagieren. Eine interessante These, die man schon aus dem linken
Lager kennt, wo etwa ein Islamist selten wie ein eigenverantwortlicher Mensch,
sondern wie ein Mündel erscheint, das sich ja lediglich gegen die Zumutungen
„der Gesellschaft“ wehrt. Wo die Linke den Arbeiter gegen den Migranten ausgetauscht
hat, den es paternalistisch zu instrumentalisieren gilt, entdeckt nun der
Konservatismus im „kleinen Mann“ ein Subjekt, das sich vorzüglich in die eigene
Privat-Revolution einfügen lässt.
Groß im „dagegen“,
klein im „wofür?“
Im Laufe der Zeit haben zahlreiche Neu-Konservative ihre
Prioritätenskala einem kompletten Relaunch unterzogen. Das Bekenntnis zum
Westen, zur liberalen Weltordnung, zum Individualismus, zur transatlantischen
Partnerschaft und zum Parlamentarismus ist auf die hinteren Plätze gerückt,
während die Opposition zu allem, was als links gilt, ganz weit oben rangiert. Entscheidend
ist mittlerweile nicht mehr die Frage nach dem „Wofür?“, sondern nach dem
„Wogegen?“ - eine Strategie, die schon die Protagonisten der „Konservative
Revolution“ in der Weimarer Republik anwandten und damit das Klima schufen, in
dem sich die Nationalsozialisten entfalten konnten. Im Zweifel verbrüdert man
sich heute mit jedem; Hauptsache, er heißt mit Nachnamen nicht Merkel und kann
stattdessen gut „Merkel muss weg“ rufen. Legitim ist dabei alles, was „die
Richtigen“ ärgert. Eine praktische Devise, die theoretisch auch eine Allianz
mit Holocaust-Leugnern und National-Bolschewisten ermöglicht.
Überhaupt hat der neue Konservatismus ein wenig vergessen,
wofür er einstmals stand. Seiner Kritik das Eigene gegenüberzustellen, ist ihm
zu lästig geworden. Kritik am Islam etwa bedeutet für ihn nicht mehr zwingend
Kritik an einer Ideologie, die das Individuum verachtet und mitunter gewaltsam
zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterscheidet. Stattdessen mutiert sie zu
einem Rundum-Wohlfühlpaket, in dem sich breit angelegte Kritik an der Moderne
verbirgt. Liberale Gesellschaften gelten dem Abendland-Verteidiger per se als
zu schwach. Deren Ringen um Balance zwischen Freiheit und Sicherheit interpretiert
er als dekadentes Hobby einer abgehobenen Elite. Dem politischen Islam werden
nicht mehr die Errungenschaften des Westens, der Individualismus und die
Freiheit an sich entgegengestellt, von denen bekannt ist, dass sie am Ende noch
immer gesiegt haben. An die Überlegenheit des Bikinis gegenüber der Burka glaubt
der neue Konservatismus gar nicht erst. Seine Prinzipien hat er indes liebevoll
durch Fatalismus und Kulturpessimismus ersetzt. Wichtiger als kleine Schritte
hin zum Positiven sind ihm sein Feindbild und ausgiebiges Recht-haben um jeden
Preis.
„Gegen links“ ist das
neue „konservativ“
Dem weltanschaulichen Gegner setzt der jammerdeutsche
Konservative nun bevorzugt eine üppige Portion Nihilismus entgegen. Man ist
nicht mehr gegen links, weil links als teilweise wenig progressiv, stattdessen
aber als latent autoritär und anti-aufklärerisch entlarvt wurde. Man ist nicht
mehr gegen links, weil Linke den eigenen Idealen diametral gegenüber stehen –
zumal deren Steckenpferde ja ohnehin schon in den eigenen Stall integriert
wurden. Im Grunde ist man nur noch deshalb gegen Linke, weil sie eben links
sind. Und damit erstmal automatisch für alles, was Linke an den Rand des
Nervenzusammenbruchs treibt. „Gegen links“ ist das neue „konservativ“. Der
Kampf gegen links dient keinesfalls einem höheren Zweck, sondern mutiert
allmählich zum Zweck an sich. Zu einem imaginären Endzeitkampf, der nicht der
Verteidigung eigener Werte, sondern bloß der Abwehr gilt.
Die Protagonisten des Vulgär-Konservatismus beeindrucken im
Zuge dessen vor allem durch moralische Flexibilität. Fraglich bleibt daher
auch, inwiefern ihr einstiges Bekenntnis zu bestimmten Idealen überhaupt jemals
ernst zu nehmen war, oder aber lediglich ein nice-to-have darstellte, das zur
gegebenen Zeit als brauchbar, generell jedoch als austauschbar galt.
Nun scheint es ein grundlegender Betriebsfehler des Menschen
zu sein, dass er sich stets leichter gegen als für etwas mobilisieren lässt.
Die Irrungen und Wirrungen zwischen Mitte und rechten Grenzgebieten zeugen
allerdings nicht bloß von einer ideellen Kernschmelze. Sie bieten darüber
hinaus auch den Ideologen, die an den Rändern aktiv sind, den notwendigen
Sprit. Denn diejenigen, die hinsichtlich des „Wofürs“ klare Vorstellungen
haben, wissen ziemlich gut, wie sie sich das Unmutspotential der nicht mehr
ganz so konservativen Grenzgänger zunutze machen. Was zwischen den Grenzen als
pessimistische Hoffnungslosigkeit daher kommt, haben die Steven Bannons und
identitär Bewegten schon etwas länger zu Ende gedacht. Wo der neue
Konservatismus gegen die Dekadenz des Westens polemisiert und den Kampf gegen
den politischen Islam schon als verloren gegangen bewertet, öffnen sich die
Türen hin zum Widerstandsgedanken und zum Systemwechsel, auf den die Ränder
hinarbeiten. Der jammerdeutsche Abendlandverteidiger avanciert zum nützlichen
Idioten der Radikalen, die bislang bloß davon träumten, ihre Ideen im
bürgerlichen Spektrum verankern zu können.
Was vom
Konservatismus übrig bleibt
Zurück bleibt die Frage nach dem Konservatismus an sich und
seinen ideellen Überresten; ob er nur einen Stresstest absolviert oder nicht
doch in einem Populismus sozial-nationalistischer Prägung aufgehen wird, der
wenig mit den ursprünglichen Werten des konservativ-bürgerlichen Lagers zu tun
hat. Auch in diesem Bereich sind die Amerikaner dem Kontinent einen Schritt
voraus. Dort laufen sich die dahingehend durchaus erfahrenen Republikaner schon
für die nahenden Mid-Term-Elections warm. Überaus viel versprechen sie sich
dabei davon, die anstehenden Wahlen in ein Referendum über die etablierten Medien zu
verwandeln. „Fake News“ wird ein zentrales Kampagnen-Thema
sein. Nur selten hat es auf intellektueller und ideeller Ebene eine attraktivere
Bankrott-Erklärung gegeben. Wo man einstmals für niedrigere Steuern ins Rennen,
wird nun gegen eine Institution freier Gesellschaften mobil gemacht. Zurück
bleibt eine Leerstelle, die vormals von klassischen GOP-Idealen gefüllt wurde.
Donald Trump und seine Partei stehen nicht für Ideen. Vielmehr fungieren sie als
Allzweck-Waffe gegen „den Feind“, die sich je nach Belieben und Tagesform
aufladen lässt.
Erste Schritte unternahmen die Trumpisten dahingehend bereits
Anfang des Jahres, als in Maryland die „Conservative Political Action
Conference“ (CPAC) – das Mekka der US-Konservatismus - stattfand. Wo sich die
Teilnehmer noch vor einem Jahr gegen einen Besuch Donald Trumps verwahrten (schließlich
sei dieser ja kein Konservativer) und den Populismus in Breitbart-Manier als
Bedrohung werteten, wurden heuer sowohl der Präsident als auch Steven Bannon unter
großem Jubel empfanden. Auf das ideelle Fundament und dessen Wandel
angesprochen, erwiderte
der amtierende CPAC-Initiator Matt Schlapp, die Trump Anhänger seien eine
wundervolle Ergänzung der konservativen Bewegung. Schließlich würden sie dabei
helfen, zu gewinnen.
Die Frage ist nur, um welche Ideale und Ideen es beim
Gewinnen überhaupt noch geht. Sowohl dies- als auch jenseits des Atlantik.
Land of the free, Zweigstelle Kalifornien - diesmal Revolutions-freie Zone |