Weder hat der Iran-Deal den Nahen Osten sicherer gemacht,
noch den Iran von seinen nuklearen Ambitionen abgebracht. Mit den
europäischen Befindlichkeiten korrespondiert er dafür umso besser. Der
Abschied der USA aus dem Atomabkommen trifft die selbsternannten
„Friedensdiplomaten“ daher auch nicht politisch, sondern im Kern ihrer
Identität.
Der Nahe Osten ist das Lieblingsprojekt der Europäer. Kaum
ein Erdteil bewegt sie mehr. Kein Ort und kein Elend, weder die
humanitäre Krise Venezuelas noch der real existierende Gulag Nordkoreas,
verleiten sie zu so ausgeprägten Mahnungen, Warnungen und Sorgenfalten,
wie es die Region zwischen Israel und Afghanistan vermag. Dabei
sympathisiert der Europäer als solcher, der Deutsche im Besonderen,
ansonsten eher weniger mit unaufgeräumten Verhältnissen. Er hat es gern
übersichtlich und ordentlich, was besondere Beziehungen in Richtung
Morgenland zunächst etwas erschwert. Gleichzeitig gilt es, der selbst
auferlegten Verpflichtung zur gründlichen Schiedsrichterei zuverlässig
nachzukommen. Nahost ist einfach zu verlockend, um lediglich zu
schweigen.
Um diesem Dilemma zu entkommen, haben europäische Beobachter,
Politiker und Diplomaten im Laufe der Zeit ausgeklügelte Strategien
entwickelt: Sie schauen gerne weg, wenn es zu chaotisch wird, etwa in
Syrien oder in Jemen. Und sie werden gerne laut, wenn sich die
Gelegenheit ergibt, auf der Weste der Amerikaner und der Israelis einen
Fleck zu identifizieren. Jihadisten, Despoten und Terror-Banden trifft
dagegen erstmal keine Schuld, handelt es sich bei ihnen doch bloß um
Opfer zionistisch-imperialistischer Bestrebungen. So lässt sich
entspannt Nahost-Politik betreiben, ohne dass es wehtut.
Die Ming-Vase unter den internationalen Verträgen
Dem Hang zur Ordnung und der Sehnsucht nach Geschichtsbuch-trächtigen
Auftritten mit moralisch anmutendem Charme entsprang 2015 auch das Iran-Abkommen.
Während internationale Abkommen gewöhnlich einem Zweck dienen, war der
Iran-Deal (JCPOA) stets Zweck an sich. Das Abkommen stellt gewissermaßen
die Ming-Vase unter den internationalen Verträgen dar. Ob es hält, was
es verspricht, gilt als eher zweitrangig – Hauptsache, man hat es. Und
weil man einst viel Mühe, Arbeit und Schweiß darin investierte, hat es
gefälligst auch am Leben zu bleiben.
Entsprechend beleidigt reagiert man auf dem Kontinent, wenn
Störenfriede wie der israelische Premierminister die kostbare Ming-Vase
vehement als billige Mogelpackung bezeichnen. Und dementsprechend am
Boden zerstört zeigen sich die Europäer nun, nachdem der amerikanische
Präsident das kostbare Gut einfach gegen die Wand schmetterte und
anschließend öffentlichkeitswirksam auf den Scherben herumtrampelte.
Dass die USA sich unter Donald Trump nicht nur aus dem Abkommen
zurückziehen, sondern auch noch verstärkte Sanktionen gegen den Iran zu
verhängen gedenken, nehmen ihnen die Europäer mehr als nur übel.
Kämpferisch treten sie nun an, ihr Lieblingsprojekt doch noch am Leben zu erhalten. Umgehend warf die EU-Außenbeauftragte
Federica Mogherini
die rhetorischen Beatmungsgeräte an, immerhin sei JCPOA doch
„entscheidend für die Sicherheit Europas, der Region und der ganzen
Welt“. Schade nur, dass sich derlei Erkenntnisse noch nicht bis in die
nahöstlichen Gefilde herumgesprochen haben, wo der Iran mitsamt seiner
Handlanger grenzübergreifender und blutiger als zuvor unterwegs ist.
Seltsamerweise ist es um die Sicherheit unzähliger Iraner, Syrer, Iraker
und Jemeniten nach wie vor nicht so gut bestellt, wie man in Brüssel
meint.
Im antiimperialistischen Bällebad
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vergesellschaftet seine
persönliche Kränkung gekonnt. Seinerzeit als Außenminister selbst an den
Verhandlungen beteiligt,
beklagt er nun einen „schweren Rückschlag für die Friedensdiplomatie“ sowie eine „
Tragödie für den Iran“. Und Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, wirft Donald Trump vor, seine Wahlkampfversprechen sogar „
zum Nachteil des Weltfriedens“ umzusetzen. Dabei ist es erst ein paar Wochen her, da der US-Präsident aus europäischer Perspektive zuletzt den
Weltfrieden gefährdete – nämlich, als er gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien leerstehende Chemiewaffen-Lager des Assad-Regimes bombardierte.
Wenn es um den viel zitierten Weltfrieden geht, macht Donald Trump
offenkundig niemandem etwas vor. Kein Wunder, dass ihm die Gefährdung
des „Friedens in Nahost“ da umso leichter von der Hand geht. „Donald
Trump bringt die USA, Israel und die gesamte Region zurück an den Rand
eines großen Krieges“, so die Diagnose auf „
Spiegel Online“,
wo man den Nahen Osten offenkundig für eine friedliche Oase hält, die
erst dank des Mannes im Weißen Haus außer Balance geraten ist.
Schließlich wird Amerika ja nun von „moralisch Verwahrlosten“ regiert,
während Hassan Rohani durch „geistig moralische Überlegenheit“ glänzt,
wie
ein Mitarbeiter von „Panorama“
(ARD) feststellt. Eine Einschätzung, die eventuell auch Georg Restle,
besorgter Redaktionsleiter beim ARD-Magazin „Monitor“, teilen würde.
„Und das am 8. Mai: Oberster Kriegstreiber sitzt im Weißen Haus“,
twitterte er
anlässlich der amerikanischen Atomentscheidung. Es sind wertvolle
Einordnungen wie diese, für die man gerne den GEZ-Beitrag entrichtet:
Der Ami ist der neue Adolf.
Zu gerne würde man die Europäer für einen Moment aus dem
antiimperialistischen Bällebad abholen und sich mit ihnen so über den
Nahen Osten unterhalten, wie es unter Erwachsenen üblich sein sollte.
Spätestens dann würden sie vielleicht sogar feststellen, dass es
durchaus einige Wege gibt, den Atom-Deal zu analysieren, zu kritisieren
und zu bewerten. Die einen verdammen ihn von Grund auf, die anderen
halten ihn für gut gemeint, jedoch schlecht gemacht, und wieder andere
plädierten bislang für eine der Bedrohung angemessene Korrektur anstelle
einer Annullierung. Tatsächlich ist es sogar möglich, einen (und damit
nicht zwingend
diesen) Deal zu befürworten, ohne dabei die
Bedrohung durch das iranische Regime zu negieren. Und es ist ebenso
machbar, Trumps Entscheidung und die Implikationen für die
transatlantische Partnerschaft
zu diskutieren, ohne dabei die Gesprächsatmosphäre mit antiamerikanistischen Reflexen zu verunreinigen.
Knick in der Optik
All das ist im Rahmen des Möglichen, potentiell sogar unter
Beteiligung der Europäer – vorausgesetzt, sie bringen auch ein wenig
Realitätsbezug mit. Entscheidend ist nämlich in erster Linie nicht, wie
man das Agreement bewertet, sondern wie man die Teheraner Realität
überhaupt wahrnimmt. Hält man jedoch Hassan Rohani für einen „moderaten
Reformer“ und das Mullah-Regime an sich für einen etwas übermütigen,
aber eben doch durch viel Kultursensibilität und Geld zähmbaren Rowdy,
erübrigt sich die Diskussion. Man kann nur dann über den Umgang mit der
iranischen Führung sprechen, solange alle Beteiligten sich einig sind,
mit wem sie es in Teheran zu tun haben.
Viele Europäer beeindrucken ihre Umwelt dahingehend allerdings mit
einem vergleichsweise sonnigen Gemüt. Ist von einem Abkommen die Rede,
denken sie nur an
ihren Deal, an dem sie kein Komma geändert
sehen wollen. Wo Israel eine existentielle Bedrohung ausmacht, erkennen
die Europäer vielmehr „hysterische“ Israelis, die sich lediglich bedroht
„fühlen“. Und wenn eine aufgestachelte Menge durch Teheran marschiert
und „Death to USA, death to Israel!“ skandiert, nimmt man das zwischen
Brüssel und Berlin erst einmal nicht zur Kenntnis, verbucht es auf
Nachfrage höchstens als nahöstliche Verbal-Folklore. Denn die Europäer
im Allgemeinen, die Deutschen im Besonderen, haben sich schon länger
angewöhnt, ausschließlich das Gute im iranischen Regime zu sehen:
geheimnisvolle Ayatollahs, die brav die Hände schütteln sowie
Staatsunternehmen, die eifrig Baukräne und Turbinen ordern. Eine
Disziplin, in der weder die Israelis noch die amerikanischen
Mullah-Gegner mithalten können.
Es ist dieser Knick in der Optik, der jedes europäische Gespräch über
das Nuklear-Abkommen in ein Feuerwerk der Logik verwandelt. Seit die
Vereinbarung 2015 in Kraft trat, hat der Iran alles unternommen, um sein
Gegenüber am Verhandlungstisch ausgesucht idiotisch aussehen zu lassen.
Sein Streben nach Vorherrschaft von Teheran über Bagdad bis nach Beirut
und Damaskus hat das Regime seither beständig intensiviert. Es lässt
seine Handlanger nicht nur im syrischen Bürgerkrieg mitmorden, sondern
auch den heißen Krieg mit Israel proben. Und wenn die Mullahs eine neue
atomar bestückbare
Mittelstreckenrate
ins Sortiment nehmen, zögern sie keine Sekunde, dies ihrer Umwelt auch
unübersehbar mitzuteilen. Wo die Mullahs atomar zumindest oberflächlich
einen Gang runterschalten, geben sie seit Bestehen des Deals auf
konventionellem Wege umso mehr Gas. Europäisches Geld macht es möglich.
Identitätspolitik, getarnt als Diplomatie
Gleichwohl spielen Hauptsächlichkeiten wie diese insbesondere in der
deutschen Diskussion eine erstaunlich marginale Rolle. „Der Iran hält
sich an die Regeln“, betonen Federica Mogherini und ihre Freunde stets –
was wenig über den Iran und viel über die Natur des Abkommens aussagt,
an dem die Europäer so hängen. Dass der Iran bei Vertragsschluss log und
dies weiterhin tut, wertet man vielmehr als grünes Licht für ein
kraftvolles „Weiter so!“. Mehr als die Natur der Atom-Inspektionen
interessiert sie die Aufhebung der Sanktionen. Denn europäischer Logik
folgend wird sich ein auf Vorherrschaft und Gewalt fixiertes Regime
schon mäßigen, solange man nur genügend Handel mit ihm treibt.
Insbesondere den Deutschen wird dabei oft vorgeworfen, es ginge in
puncto Iran ausschließlich ums Geschäft. Mehr als halbgare Diplomatie
sei von ihnen, deren Streitkräfte es wohl nur gerade so von Berlin bis
nach Potsdam schaffen würden, ohnehin nicht zu erwarten. Beides mag
stimmen, wird den Deutschen und ihren europäischen Mitstreitern aber
keinesfalls in Gänze gerecht. Denn in der Hauptsache dient das Abkommen
den Befindlichkeiten derer, die es einst abschlossen und anschließend
stolz vor die Kameras traten. Mag das Agreement auch noch so untauglich
sein, den Nahen Osten zu befrieden, der iranischen Bevölkerung zu mehr
Lebensqualität zu verhelfen und die Mullahs von ihren nuklearen
Ambitionen abzubringen – für die Pflege des europäischen Selbstbilds
eignet es sich dafür aber prima.
Wenn die Europäer über den Iran, den Deal und das nun naheliegende
Scheitern sprechen, blicken sie weder nach Teheran, noch auf die blutige
Realität, sondern vor allem auf sich selbst. Auf ihre
„Friedensdiplomatie“, ihre „historische Errungenschaft“ und ihren
Gefühlshaushalt, dem „ein bisschen Frieden“ seit je her besser bekommt
als Realismus und Tatkraft. Und wenn es schief geht, sind nicht die
Schurken schuld, sondern die USA und Israel, die nichts Geringeres als
den Weltfrieden bedrohen. Jahrzehnte lang eingeübte Israelkritik und
ausgeprägte Amerika-Skepsis zahlen sich aus. Am wohlsten fühlt man sich
nicht innerhalb der westlichen Allianz, sondern als neutraler
Vermittler, der kultursensibel Verständnis auch für die brutalsten
Despoten aufbringt.
Nur logisch also, dass das einzig verbleibende Argument für den
Erhalt des Atom-Deals vor allem darin besteht, dass man ihn
höchstpersönlich und eigenhändig geschlossen hat. Wenn
Sicherheitspolitik jedoch mit Identitätsstiftung verwechselt wird,
sollte man das Heft des Handelns möglicherweise doch lieber anderen
überlassen. Dem Frieden zuliebe.
Zuerst bei den Salonkolumnisten erschienen.