Reden wir für einen Moment mal nicht über Friedrich Merz. Erinnern wir uns lieber an Helmut Kohl, anno dazumal im Mai 1991. Der Kanzler der Wiedervereinigung tourt durch die blühenden Landschaften in spe und kommt bei der Gelegenheit auch in Halle vorbei. Dort empfangen ihn aufgebrachte Demonstranten mit Pfiffen und fliegenden Eiern. Mitten drin und vorn dabei ein örtlicher Jusos-Mann, der sich später noch auf sozialdemokratische Rückendeckung verlassen können sollte. Ein Jahr zuvor, der 2. Golfkrieg nahm gerade Form an, waren es wiederum grüne Parteigänger, die sich in wütender Sorge um den Weltfrieden bei Kohls vor der Haustür einfanden. „Kohl schickt unsere Söhne für die Ölscheichs in den Wüstentod“, stand auf ihren Transparenten - was natürlich nicht stimmte, dafür aber gut aussah und sich noch besser anfühlte.
Heute, 27 Jahre später, gratuliert Jürgen Trittin, Mitglied des Jürgen-Todenhöfer-Flügels der Grünen, Annegret Kramp-Karrenbauer zum neuen Amt als Vorsitzende der CDU und freut sich über die Niederlage des Schäuble-Merz-Duos ("Don't mess with Merkel"). Kurz zuvor erlitt die links geneigte Twitteria einen kleinen Herzinfarkt, nachdem Friedrich Merz in seiner Rede SPD und Grüne nicht wie gewohnt als willkommenen Koalitionspartner, sondern tatsächlich und ganz ohne Ironie als politischen Gegner identifiziert hatte. Ein Glück, dass dieses Schreckensszenario noch einmal knapp abgewendet werden konnte.
Nun ist es ohnehin eine eher stilllose Tradition, den weltanschaulichen Gegner mit Lebensmitteln zu bewerfen. Um den alt hergebrachten Brauch, zwischen Union und Sozialdemokratie noch ein wenig Platz für Unterschiede und Konflikte zu reservieren, ist es dagegen schon etwas schade. Dass diese Konflikte nach wie vor existieren, wurde selten deutlicher als in den letzten Wochen. Friedrich Merz ist der Mann, gegen den Martin Schulz 2017 in den Wahlkampf zog. Transatlantiker, wirtschaftsliberal und eine trockene Reibungsfläche auf zwei Beinen, die schon allein durch ihren Kontostand den gegnerischen Blutdruck in die Höhe treibt. Vor allem aber brachte Friedrich Merz etwas mit, das seinen beiden Kontrahenten abgeht: einen "Überbau", der vom tagespolitischen Kleinklein unberührt bleibt. Während AKK bisher durch clever komponierte Sowohl-als-Auch-igkeit auffiel und Spahn sich routinemäßig mal am Migrationspakt, mal an Englisch sprechendem Servicepersonal abarbeitet, ließ Merz ein gefestigtes Wertereservoire erkennen, aus dem er seine Haltung zu spezifischen Themen wie Russland, Marktwirtschaft, Europa und Migration ableitet.
Sein Versprechen, die AfD gleich zu halbieren, wirkte zwar etwas zu ambitioniert - wer schon mit gauländischer Moskau-Treue und nationalem Sozialismus nach Höcke'scher Art seinen Frieden gemacht hat, wird kaum für einen Merz die Segel streichen. Das macht aber nichts. Politische Inhalte stets am AfD-O-Meter zu messen, ist sowieso eine Unsitte. Es gibt Ideen, die per se klug und auch dann noch sinnvoll sind, selbst wenn sie an den Umfragewerten der AfD nichts ändern. Die Aktien-Idee des Friedrich Merz war beispielsweise so eine. Und eine Merz-Union wäre auch dann noch gut für die politische Landschaft gewesen, wenn sie "nur" 35% eingesammelt, dafür aber mehr Profil im Gepäck gehabt hätte.
Dass es die AKK-Sympathisanten, die früher mal grün bis rot wählten, mit der Unterscheidbarkeit in der Mitte nicht so haben, ist jedenfalls keine Überraschung. Wer heute Mitte bis Ende 20 ist, hat in seinem bewussten politischen Leben nur Angela Merkel erlebt. Viel Groko, viel Einigkeit, viel Eckenlosigkeit, die ihren Höhepunkt im hohen Norden findet, wo ein CDU-Mann öffentlich eine Koalition mit den SED-Nachfolgern durchspielt. Wer dazu noch einen Twitter-Account besitzt, läuft Gefahr, Politik einzig als Spiel zwischen "Gut" und "Böse" zu betrachten, das schon dann gewonnen ist, wenn man #wirsindmehr twittert und erfolgreich den Zugang zu einem AfD-Parteitag blockiert hat. Die Bilder eines CDU-Kanzlers, der von Linken mit Eiern beworfen wird (und mit an der Brille klebendem Eiweiß die Konfrontation sucht), müssen da zwangsläufig irritierend wirken. AKK wiederum verspricht schon allein durch ihren Stil, dass der Bundesrepublik Reibungseffekte dieser Art auch künftig erspart bleiben.
Dass aber die CDU selbst, zumindest ihre Delegierten, den Konflikt genau so verachten, ist vielleicht keine neue, dafür aber nach wie vor erstaunliche Erkenntnis. Mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, dass beruflicher Erfolg und marktwirtschaftlich orientierte Ideen inzwischen auch schon innerhalb der Union als verdächtig gelten. Natürlich ist es bequem, wenn man mit (bzw. trotz) CDU-Parteibuch mit allen kann und sich weder mit Sozis noch mit Grünen streiten muss. Ein Friedrich Merz, der mit klarem Profil an der deutschen Oberfläche kratzt, unter der nach wie vor recht viele Konfliktlinien verlaufen, wäre da eindeutig zu anstrengend. Lieber noch eine Schondecke drüberlegen und hoffen, dass Diskrepanzen einfach verschwinden, solange man sie nicht anspricht. Mittelfristig wird es aber auch außerhalb der Union ziemlich sicher unbequem, wenn bestehende Konflikte nicht mehr in der Mitte, sondern zwischen den Rändern, nicht mehr zwischen Union und SPD, sondern mehr und mehr zwischen Alexander Gauland und Annalena Baerbock ausgetragen werden. Es steht zu befürchten, dass spätestens an diesem Punkt selbst ein schicker Hashtag nicht mehr sonderlich weiterhelfen wird.
Heute, 27 Jahre später, gratuliert Jürgen Trittin, Mitglied des Jürgen-Todenhöfer-Flügels der Grünen, Annegret Kramp-Karrenbauer zum neuen Amt als Vorsitzende der CDU und freut sich über die Niederlage des Schäuble-Merz-Duos ("Don't mess with Merkel"). Kurz zuvor erlitt die links geneigte Twitteria einen kleinen Herzinfarkt, nachdem Friedrich Merz in seiner Rede SPD und Grüne nicht wie gewohnt als willkommenen Koalitionspartner, sondern tatsächlich und ganz ohne Ironie als politischen Gegner identifiziert hatte. Ein Glück, dass dieses Schreckensszenario noch einmal knapp abgewendet werden konnte.
Hat Friedrich #Merz grad wirklich gesagt, dass seine HauptGegner SPD, Grüne und die FDP seien? Nicht die Rechtsradikalen? Wirklich? Wo fischt dieser Mann eigentlich? Gehts noch? #CDUbpt18— Igor Levit (@igorpianist) 7. Dezember 2018
Nun ist es ohnehin eine eher stilllose Tradition, den weltanschaulichen Gegner mit Lebensmitteln zu bewerfen. Um den alt hergebrachten Brauch, zwischen Union und Sozialdemokratie noch ein wenig Platz für Unterschiede und Konflikte zu reservieren, ist es dagegen schon etwas schade. Dass diese Konflikte nach wie vor existieren, wurde selten deutlicher als in den letzten Wochen. Friedrich Merz ist der Mann, gegen den Martin Schulz 2017 in den Wahlkampf zog. Transatlantiker, wirtschaftsliberal und eine trockene Reibungsfläche auf zwei Beinen, die schon allein durch ihren Kontostand den gegnerischen Blutdruck in die Höhe treibt. Vor allem aber brachte Friedrich Merz etwas mit, das seinen beiden Kontrahenten abgeht: einen "Überbau", der vom tagespolitischen Kleinklein unberührt bleibt. Während AKK bisher durch clever komponierte Sowohl-als-Auch-igkeit auffiel und Spahn sich routinemäßig mal am Migrationspakt, mal an Englisch sprechendem Servicepersonal abarbeitet, ließ Merz ein gefestigtes Wertereservoire erkennen, aus dem er seine Haltung zu spezifischen Themen wie Russland, Marktwirtschaft, Europa und Migration ableitet.
Sein Versprechen, die AfD gleich zu halbieren, wirkte zwar etwas zu ambitioniert - wer schon mit gauländischer Moskau-Treue und nationalem Sozialismus nach Höcke'scher Art seinen Frieden gemacht hat, wird kaum für einen Merz die Segel streichen. Das macht aber nichts. Politische Inhalte stets am AfD-O-Meter zu messen, ist sowieso eine Unsitte. Es gibt Ideen, die per se klug und auch dann noch sinnvoll sind, selbst wenn sie an den Umfragewerten der AfD nichts ändern. Die Aktien-Idee des Friedrich Merz war beispielsweise so eine. Und eine Merz-Union wäre auch dann noch gut für die politische Landschaft gewesen, wenn sie "nur" 35% eingesammelt, dafür aber mehr Profil im Gepäck gehabt hätte.
Dass es die AKK-Sympathisanten, die früher mal grün bis rot wählten, mit der Unterscheidbarkeit in der Mitte nicht so haben, ist jedenfalls keine Überraschung. Wer heute Mitte bis Ende 20 ist, hat in seinem bewussten politischen Leben nur Angela Merkel erlebt. Viel Groko, viel Einigkeit, viel Eckenlosigkeit, die ihren Höhepunkt im hohen Norden findet, wo ein CDU-Mann öffentlich eine Koalition mit den SED-Nachfolgern durchspielt. Wer dazu noch einen Twitter-Account besitzt, läuft Gefahr, Politik einzig als Spiel zwischen "Gut" und "Böse" zu betrachten, das schon dann gewonnen ist, wenn man #wirsindmehr twittert und erfolgreich den Zugang zu einem AfD-Parteitag blockiert hat. Die Bilder eines CDU-Kanzlers, der von Linken mit Eiern beworfen wird (und mit an der Brille klebendem Eiweiß die Konfrontation sucht), müssen da zwangsläufig irritierend wirken. AKK wiederum verspricht schon allein durch ihren Stil, dass der Bundesrepublik Reibungseffekte dieser Art auch künftig erspart bleiben.
Dass aber die CDU selbst, zumindest ihre Delegierten, den Konflikt genau so verachten, ist vielleicht keine neue, dafür aber nach wie vor erstaunliche Erkenntnis. Mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, dass beruflicher Erfolg und marktwirtschaftlich orientierte Ideen inzwischen auch schon innerhalb der Union als verdächtig gelten. Natürlich ist es bequem, wenn man mit (bzw. trotz) CDU-Parteibuch mit allen kann und sich weder mit Sozis noch mit Grünen streiten muss. Ein Friedrich Merz, der mit klarem Profil an der deutschen Oberfläche kratzt, unter der nach wie vor recht viele Konfliktlinien verlaufen, wäre da eindeutig zu anstrengend. Lieber noch eine Schondecke drüberlegen und hoffen, dass Diskrepanzen einfach verschwinden, solange man sie nicht anspricht. Mittelfristig wird es aber auch außerhalb der Union ziemlich sicher unbequem, wenn bestehende Konflikte nicht mehr in der Mitte, sondern zwischen den Rändern, nicht mehr zwischen Union und SPD, sondern mehr und mehr zwischen Alexander Gauland und Annalena Baerbock ausgetragen werden. Es steht zu befürchten, dass spätestens an diesem Punkt selbst ein schicker Hashtag nicht mehr sonderlich weiterhelfen wird.
Christdemokratische Tristesse, Symbolbild |