Gauck und die sieben Zwerginnen

Dass nun auch Bundespräsident Gauck unter die Sexisten gegangen ist, wäre vermutlich niemandem so rasch aufgefallen, wenn „Spiegel Online“ nicht eifrig mitgeholfen hätte. „Sexismusdebatte: #Aufschrei gegen Gauck“ hieß es da vorigen Mittwoch, unübersehbar als Top-Thema auf der Startseite platziert. Ach du Schreck, noch ein prominenter Sexist! Was mag da bloß geschehen sein? Hagelte es etwa Handküsse, oder, noch schlimmer, Tanzkarten?

Nicht doch. Der Bundespräsident hat viel mehr verbrochen, wie sich bei der Lektüre herauskristallisiert: „In einem offenen Brief kritisieren junge Frauen Bundespräsident Joachim Gauck für dessen Äußerungen zur Sexismusdebatte.“ Der Anlass dafür war ein Interview, in dem er die #aufschrei-Debatte rund um Brüderle als „Tugendfuror“ bezeichnete und zudem meinte, hierzulande keine „besonders gravierende, flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen“ ausmachen zu können.

Damit hat er natürlich eindeutig eine rote Linie überschritten. Schuldig im Sinne der Anklage, die zunächst aus sage und schreibe sieben Frauen bestand, welche ihr Siegel unter den Brief gesetzt hatten. Vor allem das Wörtchen „Tugendfuror“ verlangt den Damen augenscheinlich wirklich zu viel ab. Dieses stehe nämlich dem Begriff „Furie“ verdächtig nahe und würde damit die „Wut von Frauen lächerlich machen“ und als „Überemotionalität deklassieren“.

Insofern ist der feministische Furor freilich sehr nachvollziehbar. Klar: Viele Menschen, vielleicht sogar mehr als sieben, sind nicht immer einer Meinung mit dem Bundespräsidenten. Das soll in einer Demokratie gelegentlich vorkommen. Sexismus im Allgemeinen, der alltägliche im Besonderen, ist jedoch eine viel zu ernste Sache, um abweichende Ansichten erdulden zu können. Entsprechend groß ist die „Sorge“ im feministischen Biotop, nachdem gerade er „als Bundespräsident und großer Verfechter der Freiheit sich von dieser wichtigen Debatte“ abgrenze und „sie nicht als wichtiges Thema“ begreife.

Nun ließe sich das Problem gerade mit Verweis auf die Freiheit äußerst schnell lösen. Gauck sieht die Sache so, die Feministinnen eben anders, und dass beide Parteien keinen Kerker fürchten müssen – auch dann nicht, wenn sich einer von beiden beleidigt fühlt –, ist einer der Vorzüge freier Gesellschaften. So einfach könnte es sein, ist es aber bei Weitem nicht, wie ein Blick auf den Blog „Mädchenmannschaft“, das Zentralorgan der organisierten Geschlechtergerechtigkeit, beweist: „Gaucks Freiheit bedeutet alles zu sagen. Alles zu denken, was ist und was man so fühlt, frei von Schranken. (…) Gaucks Freiheit fehlt der Gerechtigkeitsbegriff.“

Gut zu wissen, erscheinen die Spielregeln für den Umgang mit #aufschrei nun doch endlich klar. Freiheit, besonders die zu etablierende „gerechte Freiheit“, gilt eben selektiv. Frauen können #aufschrei-en, Briefe schreiben, in Talkshows Mumpitz verbreiten, „Otto“-T-Shirts boykottieren, bloggen, blubbern, kurz: ihre Freiheitsrechte voll ausnutzen. Sie dürfen Brüderle als „geilen Bock“ und den Bundespräsidenten als „alten weißen Typen“, der gefälligst weniger „Gelaber“ produzieren möge, bezeichnen. Sie dürfen und können nicht nur, nein, sie sollen sogar offen sein, damit alle Menschen und Menschinnen Gelegenheit haben, mit den Anliegen sowie der demokratischen Ader des modernen Feminismus Bekanntschaft zu machen. All das entspricht der Freiheit, wie Gauck sie definiert.

Feministische bzw. gerechte Freiheit hingegen kennt natürlich klare Grenzen. Sie verlaufen dort, wo frau sich beleidigt fühlt. Freiheit mit Schranken, dafür ohne Risiken. Kritische Kommentare über #aufschrei gehen gar nicht, Deklassierung erst recht nicht, und wer meint, die Euro-Rettung oder Mali wären relevanter als die Leiden einer Ingenieurin, die am Telefon für eine Sekretärin gehalten wird, möge auf ewig für seine Sünden büßen. Die Frage, wo genau Sexismus beginnt, gleicht ebenso einem Kapitalverbrechen, da sie im Zweifel Gefühle verletzen könnte. Wer sich zur Sache äußern will, muss zunächst den feministischen Beleidigungshorizont ausloten wie auch den dazugehörigen Gefühlshaushalt erkunden. All das entspricht der „gerechten“ Freiheit, wie die Femininjas sie definieren.

Auch Gauck hätte wissen müssen, dass ihm seine Freiheit nur zwei Wege offen lässt: entweder Solidarität – oder Solidarität. Nun möge sich der „alte weiße Typ“ umgehend bessern. „In Zukunft müssen andere Statements von ihm kommen“, lautet die Anweisung einer der Briefschreiberinnen. Auf Missachtung wird sicher Strafe folgen. Welche das sein wird, bleibt allerdings noch abzuwarten. Joachim Gauck sollte sich aber auf jeden Fall schon mal warm anziehen.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.