Voller Spannung und mit der Feder im Anschlag blickt die deutsche
Medienwelt gen München, wo am Montag der Prozess gegen Uli Hoeneß
beginnt. Dass der eine oder andere Redakteur sich schon mal warmläuft,
ist absolut verständlich. Bei „Spiegel Online“, der Heimat der
eierlegenden Wollmilchsau, geschieht dagegen noch mehr. Überpünktlich
zum Prozessauftakt schickt man dort schon heute das stärkste Pferd ins
Rennen: Nina Weber, Biochemikerin und Krimiautorin sowie Redakteurin im
Ressort Gesundheit.
„Tipps und Tricks für Allergiker“, „Neues aus der Krebsforschung“
oder „Volkskrankheit Burnout“ waren gestern. Heute hingegen entdeckt das
Ressort sein Herz für Börsenzocker und behandelt deren Leiden. In einem
bedingt aufschlussreichen Stück beleuchtet Frau Weber mit der Präzision
eines Gehirnchirurgen das Thema „Börsenspekulation als Sucht“ – verbunden mit der Frage, ob Aktienhandel süchtig machen kann, worin sich „Experten“ freilich einig sind.
Was hier verheißungsvoll angeteasert wird, verbleibt jedoch
bedauerlicherweise im Rahmen der Theorie. Praktisch dagegen erfahren wir
nämlich nur, dass laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
„rund 1,3% der Männer und 0,3% der Frauen in Deutschland spielsüchtig“
sind (also gerne Automaten füttern oder Lotto spielen – das böse B-Wort
interessierte die Studienmacher dagegen nicht), „Börsenzocker“ einen
höheren Bildungsabschluss als „andere Spielsüchtige“ aufweisen und sich
dummerweise kaum ein Banker zu „Volker Premper, leitendem Psychologen an
der AHG Klinik Schweriner See“, verirrt.
Was dem Stück an bahnbrechenden oder wenigstens themenrelevanten
Erkenntnissen und kausalen Zusammenhängen fehlt, wird allerdings durch
ideologisch gewürzten Einheitsbrei auf Metaebene wieder kompensiert. Wir
lernen: Wer an der Börse mit seinem eigenen Geld spekuliert, gehört in
Therapie. Ob er einfach mal Mc Donalds Aktien kauft, weil ihm sein
BigMac so gut mundet, ob er sich mit Fundamentaldaten und
Unternehmensbilanzen befasst, ob er sich mit Puts oder Calls absichert,
ob er nach Feierabend spielt oder damit seinen Lebensunterhalt
bestreitet – all das ist völlig irrelevant. So verweist das SPON’sche
Team für gesundheitliche Aufklärung im Abspann des Artikels sicherlich
nicht umsonst an die Selbsthilfegruppe „Anonyme Spieler“ und „stationäre
Behandlungseinrichtungen“. Service, wie man ihn von einem Leitmedium
erwartet.
Es scheint wohl eher dem deutschen Streben nach Gleichheit
geschuldet zu sein, reflexartig alles, was auch nur ansatzweise nach
Summen und Dingen riecht, die das durchschnittliche Monatsgehalt sowie
den Alltag eines SPON-Redakteurs überschreiten, zu dämonisieren. Dazu
nehme man das, was man sich unter einem Daytrader vorstellt. Dann setze
man dieses Wesen mit dem Dauergast einer zwielichtigen Spielhölle am
Hauptbahnhof gleich und konstruiere anschließend ein Problem, das keines
ist.
Heraus kommen dabei publizistische Sternstunden wie diese: Er
habe immer einen Pager dabei gehabt, um Kurse zu checken, sagte Hoeneß
der “Zeit”. “Manchmal war es sogar im Fußballstadion so, wenn das Spiel
ein bisschen langweiliger war, habe ich heimlich auf meinen Pager
geschielt.”
Was für ein Skandal! Wo kämen wir denn hin, wenn hinterher noch
jeder, der vielleicht 100-, 200- oder 700-Tausend Euro im Markt hat,
seine Positionen im Blick hätte? Dann schon lieber dem eigenen Sparbuch
beim Schrumpfen zusehen.
Was die Experten aus dem Gesundheitsressort mitsamt ihrer versierten
Leser, die eine Aktie nicht von einer Anleihe unterscheiden können,
dagegen vollständig übersehen, ist folgendes: Eigenverantwortung. Wenn
ein Uli H. eine halbe Million Dollar auf Apple setzt und sich die Aktie
drei Minuten später auf Talfahrt begibt, muss weder die von Sigmar
Gabriel glorifizierte Kassenbon-geplagte Kassiererin noch Lieschen
Müller dafür haften – sondern einzig eben jener Uli H. und seine Brüder
im Geiste.
Spiegel Online mag kein Risiko. Wenn Privatpersonen es dennoch mit
ihrem eigenen Geld eingehen, schlimmstenfalls daran verdienen, sich aber
vielleicht auch verspekulieren, verschulden und süchtig werden, schadet
das weder dem Gesundheitssystem noch der Volkswirtschaft. Und erst
recht nicht dem Arbeitsplatz eines durchschnittlichen
(Gesundheits-)Redakteurs.
Zuerst auf der "Achse des Guten" erschienen.
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