Der politisch initiierte „Aufstand der Anständigen“ zählt zu den
bedeutendsten Instrumenten des deutschen Waffenarsenals. Er kommt immer
dann zum Einsatz, wenn es für eine Ethikkommission noch zu früh ist, die
gesellschaftlichen Gräben jedoch schon zu tief sind. Ausgestattet mit
gezeigtem Gesicht und eingebauter Wohlfühlgarantie umhüllt er
zuverlässig jede noch so lästige Problemzone mit einem rosaroten
Leichentuch.
Wie gut das funktioniert, hat Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D.
und Erfinder des „Aufstands der Anständigen“, bereits vor 15 Jahren
vorgemacht. Anlässlich eines Brandanschlags auf die Düsseldorfer
Synagoge rief er damals zu mehr Engagement gegen Rassismus auf,
woraufhin sich die halbe Bundesrepublik in eine Lichterkette
verwandelte.
Zwar stellte sich kurze Zeit später heraus, dass es sich bei den
Tätern nicht um biodeutsche, sondern um arabische Nazis handelte – aber
das tat dem angenehmen Geruch von Zivilcourage, der durch die
Bundesrepublik wehte, natürlich keinen Abbruch.
Nun allerdings erfährt Gerhard Schröder harte Konkurrenz. Denn auch
Ralf Stegner, Vize-Chef und amtierende Allzweckwaffe der SPD, möchte
jetzt aufstehen. Vorgestern zeigte er noch Gesicht für Europa, gestern
gegen das Betreuungsgeld. Heute hingegen treibt ihn die
Flüchtlingsproblematik in Gestalt von Hass und Gewalt gegen selbige um.
Und weil sein Gesicht allein nicht reicht, schwebt ihm nun eine
Deluxe-Version des anständigen Aufstands vor, an dem sich aber nicht nur
Otto-Normal-Bürger, sondern vorrangig Promis zu beteiligen haben.
„Gegen Intoleranz, Rassismus, verbale Hetze gegen Schwächere und
Angriffe auf Flüchtlinge muss sich die Zivilgesellschaft zur Wehr
setzen. Wenn das gerade auch die Frauen und Männer tun, die im Sport, in
der Musik oder in anderen Bereichen als Idole eine Vorbildfunktion
erfüllen können, dann ist das sehr zu begrüßen“, sagte Stegner dem Handelsblatt.
Zweifellos eine schöne Idee, die sogar noch schöner wäre, wenn sie
auch etwas modifiziert in anderen Sphären umgesetzt würde. Niemand hätte
etwas dagegen, wenn Iris Berben gegen den Iran-Deal, Mario Adorf gegen
die Rente mit 63 und Cindy aus Marzahn gegen die Frauenquote Gesicht
zeigen würden. Aber mit Steuergeld, Frauen oder Krieg und Frieden kann
jemand wie Stegner freilich auch ohne prominente Unterstützung gut
umgehen.
Die Sache mit dem Rassismus hingegen lässt sich offenbar nachhaltiger
lösen, wenn wir uns einen Herbert Grönemeyer vorstellen, der per Webcam
„Heal the world“ in Richtung Freital schmettert, Konstantin Wecker für
die Zugabe sorgt und Til Schweiger im selben Rhythmus
Facebook-Statusmeldungen tippt. Was bei Band Aid in Sachen Afrika
klappt, kann in Ralf Stegners Social-Media-Kosmos schließlich nicht
schiefgehen. „Macht mit!“,
ruft er seinen prominenten Followern auf Twitter zu, so als ginge es
darum, Rentner auf der AIDA zur morgendlichen Wassergymnastik zu
motivieren.
Theoretisch könnte man Ralf Stegner nun allerlei Niederträchtiges um
die Ohren hauen. Ihm ein wenig Unfähigkeit unterstellen, ihn daran
erinnern, dass für rechtsradikale Gruselfiguren mit pyromanischer Ader
doch die Polizei zuständig ist und es überhaupt ein bisschen hilflos
aussieht, Prominente in ein Rennen zu schicken, das die Politik nur
verlieren kann.
Aber das würde dem Sozialdemokraten mit Gesicht überhaupt nicht
gerecht. Denn dass randalierende Glatzenträger nicht die einzige Facette
der Flüchtlingscausa darstellen, hat sich auch schon in Stegners
Umkreis herumgesprochen. Wenn er nicht gerade Promis gegen rechts
akquiriert, trommelt er gegen eine Ausweitung der Liste sicherer
Herkunftsländer, für eine bessere Verteilung von Flüchtlingen sowie für
mehr Geld vom Bund.
Und natürlich für ein Einwanderungsgesetz sozialdemokratischer Prägung,
das in der Asylfrage nur nicht wirklich hilft, solange Kosovaren und
Serben, die 2015 schon längst die Syrer und Iraker überholt haben, das
tun, was ausnahmslos jeder tun würde und ihnen demnach nicht zum Vorwurf
gemacht werden kann: möglichst unbürokratisch dorthin gehen, wo mehr
Lebensqualität winkt. Ein Taschengeld und die Aussicht auf Gesetze, die
nicht immer angewendet werden, dürften auch nicht unbedingt jeden daran
hindern, die Heimat zu verlassen.
Natürlich könnten Stegner und Kollegen sich an dieser Stelle die
Systemfrage stellen, die zwischen Wohlfahrtstaat, offenen Grenzen und
dem dazwischen liegenden Graben oszilliert. Dann könnten sie vielleicht
für einen kurzen Moment von der wahnwitzigen Illusion eines
unbürokratischen Deutschlands heimgesucht werden, in dem jeder In- und
Ausländer sein Glück versuchen, aber nicht dazu gezwungen werden kann,
eine Versicherung für alle anderen zu finanzieren. Das würde zwar besser
klappen, wäre aber nicht so gut für die politische Karriere. Die
erübrigte sich dann nämlich ein wenig.
Folglich tut auch Stegner lieber das, was ein Genosse tun muss. Die
Diskrepanz zwischen sozialdemokratischen Planspielen und der Realität
kompensiert er dafür umso bravouröser mit improvisatorischem Geschick
und herzlicher Kreativität. Wenn sich schon die Flüchtlingsproblematik
nicht ordentlich verwalten lässt, der Steuerzahler jedoch unruhig wird,
weil er Verteilungsungerechtigkeit wittert und nicht versteht, warum das
Merkel’sche Gesetz („Wo ein Wille, ist auch ein Weg“) zwar in
Griechenland, nicht aber in der Nachbarschaft funktioniert, dann muss
eben die Fassade ein bisschen renoviert werden.
Insofern ist so ein prominenter „Aufstand der Anständigen“ nicht nur
eine brillante, sondern auch eine konsequente Idee. Zum einen, weil sie
gut und geschichtsbuchverdächtig aussieht. Zum anderen, weil sie bequem
umsetzbar ist. Stegner muss nicht selbst twittern - er lässt twittern.
Mit Zivilcourage hat das zwar in etwa so viel zu tun wie ein Zeltlager
mit Schloss Bellevue.
Dafür verspricht die Aktion aber weniger Stress als beispielsweise
ein Besuch bei Helfern, die allen Widrigkeiten zum Trotz freiwillig im
örtlichen Flüchtlingsheim Deutschkurse geben. Außerdem kann es ja nicht
schaden, wenn man den Bürgern nochmal klar macht, dass man derlei
Unterkünfte nicht einfach so anzündet. Vielleicht verstehen sie das ja
besser, wenn ein kompetenter Tatort-Kommissar es ihnen erklärt.
Das ist zwar weder der Punkt, noch die Lösung des Gesamtproblems. Es
hilft auch nicht den Flüchtlingen, sondern den prominenten Gesichtern.
Aber Hauptsache, es duftet nach Zivilcourage - die eben auch mal per
ordre de Stegner hergestellt werden muss.
Zuerst auf der "Achse des Guten" erschienen.
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