Politiker sind "bestürzt", was sich erst dann wirklich verifizieren lässt, wenn man auch die zweite Hälfe solcher Aussagen kennt oder die 24-stündige Schamfrist abgelaufen ist. Der Jugendpsychologe Michael Lüders, der irrtümlicherweise für einen Terrorismus-Experten gehalten wird, weist nochmal auf die Perspektivlosigkeit und Verzweiflung der jungen, zornigen Männer mit Sprengstoff-Affinität hin. Simone Peter von den Grünen, die sich gerade in Brüssel aufhält, ist nicht nur schockiert, sondern weiß auch nicht, wie sie nun zu ihrem Termin im Saarland kommen soll. Letzteres behält sie übrigens im Interview lieber nicht für sich. Denn schließlich, so hört man, gab es ja keinen Anschlag auf Menschen, deren Angehörige und die Anwohner Brüssels. Vielmehr galt das Attentat uns allen - der Freiheit, der Demokratie, den EU-Institutionen, den Europäern, dem Islam, und eben auch der Reiseplanung der Vorsitzenden der Grünen.
Derweil wird die nächste Runde des obligatorischen Beschuldigungs-Pingpongs eröffnet. Merkel ist schuld, alle Muslime sind schuld, der Islam hat nichts damit zu tun, bloß keinen Generalverdacht in die Welt setzen. Eine fantasiebegabte Grüne aus der Schweiz äußert ihre Angst vor den Rechtspopulisten, da sind die Leichen noch nicht mal aus der Metro geborgen. Andernorts wird so intensiv hyperventiliert und gescreenshotet, dass man sich fragt, was die Menschheit eigentlich in der Prä-Twitter&Facebook-Ära bei Terroranschlägen getan hat. Mal den Fernseher einschalten, die Ereignisse zu verfolgen, sich fragen, wie es sich wohl anfühlt, gerade jetzt in den betroffenen Städten zu leben? Keine verlockende Option. Mittlerweile finden wir so viele Dinge schlimm, dass wir gar nicht mehr dazu kommen, das jeweilige Attentat, die steigenden Opferzahlen und den Terror an sich schlimm zu finden. Wobei das natürlich insofern von Vorteil ist, als jede Übersprungshandlung uns von dem Gedanken der eigenen wie auch der politischen Machtlosigkeit ablenkt.
Überhaupt, so heißt es, dürfe man jetzt bloß nicht den "einfachen Lösungen" (Grenzen dicht, Vorratsdatenspeicherung) auf den Leim gehen. Das mag ja stimmen. Nur wäre es schön, wenn es wenigstens überhaupt eine Lösung gäbe. Stattdessen rettet sich der ein oder andere in diffuse Begriffswolken und halluziniert über europäische Sicherheitsstrategien, was auch schon anlässlich des Charlie Hebdo Attentats gut klang, aber folgenlos blieb. Wir denken nicht im Albtraum daran, uns in Israel nach effektiven Anti-Terror-Maßnahmen zu erkundigen. Denn Israel gehört nicht gefragt, sondern kritisiert. Auch Brüssel kann zwar eine hübsche Kulisse für EU-Parlamentarier bilden, aber offenkundig nichts dagegen tun, dass Molenbeek zu einer europäischen Außenstelle des Islamischen Staats mutiert. Deutschland guckt derweil zu, wie Salafisten in der Fußgängerzone Nachwuchskräfte rekrutieren und Christen in deutschen Flüchtlingsheimen weiterhin verfolgt werden. Parallel dazu bemühen wir uns sehr, in Form des Türkei-Deals die Kurden zu düpieren, die derweil vom Boden aus gegen den IS die Stellung halten.
Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit, das hört man immer öfter. Und man kann es sich selbstverständlich auch denken, eventuell sogar dem Nachbarn anvertrauen. Nun allerdings verbreiten auch Politiker vermehrt derlei Phrasen. Das finden wir dann immer sehr "ehrlich" und freuen uns darüber, dass gewählte Volksvertreter uns ausnahmsweise nicht wie kleine Kinder behandeln. Die Frage ist nur, was daraus folgt. Null-prozentige Sicherheit für alle? Oder 35-prozentige bei gutem Wetter? Der Staat möchten zwar die globale Erwärmung um zwei Grad Celsius reduzieren, aber in puncto nationale Sicherheit will er sich weder auf eine hochprozentige Marke festlegen, noch eine solche zum Ziel erklären. Stattdessen konzentriert er sich auf vermeintlich ehrliche Kalendersprüche. Die klingen sicherlich prima – aber Grundlage dieses Gesellschaftsvertrags sind sie eben blöderweise nicht.
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