G20 und das Schaulaufen der Jammerlappen

Wenn gewaltaffine Linksextremisten rund um den G20-Gipfel in Hamburg ganze Stadtviertel lahmlegen, hat freilich jeder eine Meinung parat. Besonders interessant sind dabei die vielen Wortmeldungen, wonach es überaus bedauerlich sei, dass die gewalttätigen Ausschreitungen nun all die friedlichen und kreativen Proteste aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verdrängen würden. Hört man sich aber bei den nicht-gewaltbereiten G20-Phobikern um – alternativ bieten sich ebenso Katja Kipping oder Jakob Augstein an – dann überwiegt vor allem eines: Empörung über das Verhalten der Polizei, nicht etwa über die mannigfaltigen Verwüstungen durch das Treiben vermummter Straftäter. Nun fehlt mir tatsächlich jegliche praktische Protesterfahrung. Auch die Studie des Berliner „Instituts für Protest- und Bewegungsforschung“, die zum Thema produziert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

In einem Punkt bin ich mir nichtsdestotrotz relativ sicher: Wäre es meine Demo, die vom „Schwarzen Block“ zur Deckung genutzt und dementsprechend torpediert würde, und wäre es mein Anliegen, in dessen Namen radikale Straftäter Autos anzünden und Pflastersteine auf Polizisten werfen, dann wäre ich extrem erbost. So extrem erbost, dass ich mich nicht nur verbal stante pede davon distanzieren, sondern auch nebenan in der Praxis alle Hebel in Bewegung setzen würde, um diesen Irrsinn auf größtmöglichen Abstand zu halten.

Aber bei den gut gelaunten G20-Demonstranten herrscht offenbar ein etwas entspannteres Verhältnis zur Gewalt. Allem Anschein nach überwiegt dann eben der „gemeinsame Feind“; selbst wenn der weder über einen Tiefgaragenstellplatz noch über eine Vollkasko-Versicherung verfügt und stattdessen nur einen Kleinwagen besitzt – beziehungsweise besaß. Dabei ist die Gleichung denkbar simpel: je weniger „Schwarzer Block“, desto weniger Gewalt und desto niedriger der Polizeibedarf. Je weniger Vermummte, desto mehr Aufmerksamkeit für all die schicken „Capitalism kills“-Transparente und kreativen method-acting-Einlagen zugunsten des Klimas. Die friedlichen Widerständler haben es ein Stück weit selbst in der Hand, was aus ihren Plänen für eine bessere Welt werden soll: Entweder werfen sie sich weiterhin für pyromanisch veranlagte Randalierer in die Bresche und bejammern dabei ausgiebig ihr Schicksal, oder aber sie distanzieren sich konsequent von jeglicher Gewalt.

Spätestens an dieser Stelle ließe sich dann auch tatsächlich über all den Unfug diskutieren, den die pazifistischen gesinnten G20-Kritiker liebevoll auf ihre Plakate gemalt haben. Warum der Kapitalismus nicht tötet, sondern die durchschnittliche Lebenserwartung signifikant erhöht, beispielsweise. Oder über die Frage, weshalb man in den Breitengraden, in denen der angewandte Anti-Kapitalismus herrscht, nur selten „kreative Proteste“ zu sehen bekommt.

Allerdings wird es dieses Wochenende ohnehin nicht so weit kommen. Was prinzipiell okay ist – aber den Jammerlappen hinsichtlich der mangelnden Aufmerksamkeit sollte man im Kampf gegen das System dann wenigstens etwas sparsamer einsetzen.


"Occupy Wall Street" Demonstranten in San Francisco:
weniger gewaltaffin, genauso viel Unsinn auf den Plakaten (by J. N. Pyka)


Dieser Text erschien ebenfalls bei den Salonkolumnisten.

1 Kommentar:

  1. Danke liebe Frau Pyka,
    für die Einschätzung der Situation, die ich teile.

    Diese "Demonstranten" haben ein gestörtes Demokratieverständnis. Sie fordern für sich die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, sind aber nicht bereit anzuerkennen, dass Politiker die gleichen Rechte haben. Auch sie haben das Recht auf Versammlungsfreiheit. Die "Demonstranten" wollen es ihnen verwehren. Das ist zutiefst undemokratisch. Sie wollen eine Diktatur, in der jeder nur das machen darf, was die "Demonstranten" erlauben.

    Ich halte es für angebracht in diesem Zusammenhang an die oft strapazierte Forderung: "Wehret den Anfängen" zu erinnern. Auch die Nazis haben mal mit Straßenterror angefangen. Was in einem schwachen Staat daraus werden kann haben wir alle erlebt. Unsere Politiker sollten aus der Geschichte lernen und einen starken Staat fordern.

    Herzlich, Der Neue

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