Was tun ein paar unbekannte Sprachwissenschaftler und ein Journalist,
wenn ihnen langweilig ist? Nun, sie beschäftigen sich mit Sprache.
Genauer gesagt mit Worten, die „inhuman“ oder „unangemessen“ sein
sollen. Das sind dann „Unworte“.
Die bekommen die rote Karte und erfahren damit alle Jahre wieder ein
subjektiv begründetes Downgrade. Im Empörungs-Visier standen bislang die
Herdprämie, das Humankapital, der Gotteskrieger, das Tätervolk und
viele mehr. Und nun hat es also die „Döner-Morde“ getroffen,
die nicht nur zum „Unwort des Jahres“ avancierten, sondern auch den
„Gutmensch“ auf Platz zwei verdrängten. Was schade ist, denn schließlich
verdient auch er Aufmerksamkeit.
Offen gestanden, mag ich das Wort „Gutmensch“ nicht mehr hören,
geschweige denn benutzen. Mit ihm verhält es sich wie mit einem Song,
den man so lange gern hat, bis er im Radio rauf und runter gespielt wird
und damit die persönliche Exklusivität einbüßt: Man mag ihn nicht mehr,
weil Hinz und Kunz ihn hören. Das gleiche Schicksal ereilte auch den
„Gutmensch“, dessen Gebrauch (meiner subjektiven Auffassung nach) einst
nur einer elitären Clique solcher Feingeister vorbehalten war, die
gemeinhin noch alle Tassen im Schrank hatten. Er passte wunderbar zu
Menschen wie Margot Käßmann oder Jürgen Todenhöfer, die im Brustton der
Überzeugung zu Solidarität mit Taliban oder Selbstmordbombern aufriefen
und deren Verhalten durch Verweis auf eine schwere Kindheit
relativierten. Dafür bekamen sie dann ein Gratis-Ticket in den
öffentlich-rechtlichen Stuhlkreis, wo sie sich im Glanz ihrer
Gutartigkeit sonnen durften.
Seit der Begriff „Gutmensch“ jedoch auch inflationär von diversen
Spinnern genutzt wird, die „Nürnberg 2.0“ für eine gute Sache und den
Dönerverkäufer von nebenan für die größte Bedrohung des Weltfriedens
halten, verströmt er öffentlich Anrüchigkeit. Dadurch wird er an sich,
genauso wie der Ohrwurm, zwar nicht schlechter – aber es macht keinen
Spaß mehr, mit ihm zu kokettieren. Und so setzte auch die
Gesinnungspolizei von der „Unwort des Jahres“-Jury zum Zugriff an: Sie
machte dem Gutmenschen kurzen Prozess und bugsierte ihn flugs auf den
imaginären Scheiterhaufen. Dort verkokelt er nun, vermutlich auch trotz
Zweitplatzierung, im Feuer der kollektiven Empörung.
Für das erlauchte Gremium hingegen war allerdings etwas ganz anderes ausschlaggebend. Der „Gutmensch“ wurde auserkoren,
weil er das „ethische Ideal des „guten Menschen“ in hämischer Weise“
aufgreife, „um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente
zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren“. Nun erscheint mir diese
Begründung äußert fraglich. Denn ist es nicht vielleicht eher so, dass
die Jury womöglich selbst aus sogenannten Gutmenschen besteht? Aus Wesen
also, denen auf dem Weg zur Gutartigkeit mal ein paar Bösmenschen
begegnet sind, die schlichtweg die besseren Argumente hatten und danach
zu allem Übel auch noch die Gutmenschenkeule schwangen? Und falls ja:
Ist es dann in Ordnung, wenn man Begriffe nur aus gekränkter Eitelkeit
heraus aus dem Verkehr zu ziehen trachtet?
Zwar ist es richtig, Wendungen, die jeden Diskurs mittels
vermeintlich moralischer Hoheit in Schutt und Asche legen, zu
kritisieren. Wäre es dem Gremium jedoch um genau solche Begriffe
gegangen, so hätten sie auch dem „Rechtspopulist“, dem „geistigen
Brandstifter“ oder dem seit Jahrzehnten für Andersdenkende genutzten
„Nazi“ schon längst mal die rote Karte gezeigt. Was allerdings nicht
geschah. Vermutlich, weil sie ohne jene Wendungen zum Schluss noch mit
skrupellosen Bösmenschen, die gerne mal über „Humankapital“ oder
„Gotteskrieger“ reden, diskutieren müssten. Und das wäre ja vielleicht
unangenehm, weshalb man lieber den „Gutmensch“ stigmatisiert und sich
selbst somit vor Kritik immunisiert.
Doch was soll jetzt bloß mit dem „Gutmensch“ geschehen? Nun, ich halte
ihn für ausrangiert, allerdings aufgrund selbstgefälliger
Entscheidungsmechanismen keineswegs für ein Unwort. Deshalb schlage ich
vor: Schickt den Gutmenschen in Rente und sucht einen gebührenden
Nachfolger! Das freut einerseits die Jury, die dann vorerst keinen Grund
zur Empörung bei etwaiger „Häme“ mehr hätte. Solange zumindest, bis sie
den Gutmenschen-Nachfolger ins Visier nimmt. Und ich hätte derweil
wieder ein Wörtchen mehr im Vokabular, das lustige Zeitgenossen passend
umschreibt.
Zuerst erschienen am 21.02.2011 im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European".
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