Keine Fahrt für freie Bürger

Schon wieder ist es Sigmar Gabriel, der die Sozialdemokratie ideentechnisch auf Trab hält. Kaum hat er den „wahren Asozialen in diesem Land“ den Kampf angesagt, schon kommt er mit dem nächsten Knüller um die Ecke. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen hätte er gern – was so gesehen wenig innovativ ist, nachdem man sich mittlerweile schon an wahlkampforientiere Verbote in allen Formen und Farben gewöhnt hat.

Obwohl es letztlich Peer Steinbrück war, der durch sein Veto das Seelenheil der rasenden SPD-Wähler umgehend wiederherstellte, muss man Gabriel doch eines zugutehalten: nämlich, dass er mit seinem verkehrspolitischen Einwand, der natürlich keineswegs neu war, durchaus den Zeitgeist bediente. Nicht etwa, weil die Frage nach Schienen, Transportmaßnahmen und Flugrouten den Wähler in Stimmung versetzt, sondern weil das Auto an sich nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern auch ein hochpolitischer Gegenstand ist. Das beweist schon ein Ausflug in die Gedankenwelt der jungen und alten Grünen, von denen Gabriel durchaus noch lernen könnte.

So heißt es etwa im „Green Car Concept“ der Grünen: „Das Auto der Zukunft fährt grün – oder gar nicht“. Ob das nur wie eine Drohung klingt, oder auch so gemeint ist, sei dahingestellt. Ziel sei jedenfalls eine „zivilisierte Mobilität“, so das Konzept – woraus folgt, dass trotz gendergerechter Straßenverkehrsordnung, Umweltzonen, Abwrackprämien und weiteren Späßen nach wie vor Steinzeit auf deutschen Straßen zu herrschen scheint. Um also die unzivilisierte Ära zu überwinden, fordern die Grünen beispielsweise „verbindliche Motorabregelung bei 160 km/h“, Subventionen für Hybrid- und Elektroautos sowie „Strafzahlungen“ für Besitzer von „Spritschluckern“, mittels derer die „Sparmobil“-Fahrer belohnt werden sollen.

Während die Grünen also noch daran arbeiten, dem durchschnittlichen Autoliebhaber sein Hobby madig zu machen, indem sie das Angebot dementsprechend ummodellieren wollen, ist der grüne Nachwuchs schon weiter. So ist die „Grüne Jugend“ (GJ) unter anderem Mitglied im „World Carfree Network“, das „autofreie Lebensstile“ unterstützt und „die Abkehr von der autogerechten Planung von Städten und Kommunen“ fordert.

Denn, so die erschreckende Botschaft der autophoben Netzwerkler: „Der Automobilismus bedroht uns alle: durch Lärm, Abgase, Ressourcenverschwendung, Einschränkungen im öffentlichen Raum und tödliche Unfallgefahren.“ Umso beruhigender, dass uns wenigstens die GJ vor der automobilen Apokalypse bewahrt – zum Beispiel, indem sie Autofahrern gezielt auf die Nerven geht. Mal blockieren ihre Mitglieder Parkplätze, mal okkupieren sie radelnd den ein oder anderen Kreisverkehr, und wenn sie dann noch Zeit haben, verschönern sie „besonders umweltschädliche Spritschleudern“ mit „kritischen Aufklebern“.

Nun könnte man im Grunde darüber streiten, inwieweit Autos, noch dazu solche, die sich ein bisschen schneller fortbewegen, der Gesundheit, Mutter Natur und dem Weltfrieden schaden. Dem steht allerdings die alternativlose Aura entgegen, die die meisten Auto- und Tempo-Verächter umgibt. „Es gibt keine guten Gründe gegen ein Tempolimit“, wird etwa bei „Spiegel Online“ behauptet, während die Grünen allein durch Sprache („gewissenlose PS-Protzerei“, „Egoismus“) jedem SUV-Fahrer den moralischen Status eines AKW-Betreibers oder Steuersünders verleihen.

Dabei gibt es natürlich einen guten, wenn nicht gar sehr guten Grund für weniger Autophobie und mehr automobile Autonomie: Freude am Fahren. Denn es soll ja tatsächlich noch Menschen geben, die beim Gedanken an ihr Auto nicht nur an Erderwärmung und Von-A-nach-B-Kommen, sondern wahlweise an Freiheit, Freizeit, Lebenslust, Tuning, das Aufheulen eines Zwölfzylindermotors, Faszination Technik, Prestige, kurz: Spaß, denken.

Nur scheint genau das in Zeiten, in denen ökologisch-korrektes Verhalten mehr und mehr einem religiösen Bekenntnis gleicht, ein viel zu profanes und daher ungültiges Argument zu sein. Besser ist es demnach freilich, Mutter Natur zu Liebe mit dem Elektroauto durch die Welt zu schleichen und für spontane Spritztouren nicht das Cabrio, sondern den Bus zu nutzen.

Insofern wäre es auch falsch, Ideen wie das Tempolimit oder Strafen für Sportwagen-Besitzer mit herkömmlichen Verboten, etwa dem Verbot von normalen Glühbirnen, zu vergleichen. Das eine ist nervig, aber noch zu verkraften, das andere greift dagegen direkt in die individuelle Freiheit an. Denn das Auto mutiert nicht nur zum politischen Feindbild – vielmehr bilden die dazugehörigen Abwehrreflexe den Inbegriff eines lustfeindlichen Zeitgeists.

Sobald es um das grüne Ganze geht, hat das persönliche Streben nach Glück, das sich durchaus ebenso materiell – warum auch nicht? – manifestieren kann, eine untergeordnete Rolle zu spielen. Schade eigentlich.


Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.

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