#JeSuisMartinSchulz

Den Griechen gebührt unser Mitgefühl. Von Regierungen gebeutelt, die mehr ausgaben, als sie einnahmen, müssen sie nun für 60 Euro Schlange stehen.

Doch aller Anteilnahme zum Trotz: Denkt eigentlich auch irgendjemand einmal an Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident aus Leidenschaft, und vor allem daran, was aktuell in ihm vorgehen muss? Denn schließlich spielen sich die wahren Tragödien menschlicher Existenz nicht immer im Lichte der Scheinwerfer ab, sondern eher abseits desselbigen. So auch nun, da Martin Schulz – das griechische Volk im Herzen, die europäische Vision auf den Lippen tragend - an wirklich keinem Mikrofon tatenlos vorbeigeht, nur um danach weiterhin die Trümmer seines Lebenswerks zu betrachten.

Jahrelang talkte er sich landauf, landab im Dienste der „europäischen Idee“ die Stimme heiser. Ob Illner, Plasberg oder Jauch, kein Weg war ihm zu weit, keine Frage zu unterkomplex, um nicht mit ruhiger Stimme bedacht zu werden. Natürlich: Manchmal musste er auch laut werden, gar seine Betriebstemperatur auf feurige 90°C-Sauna-Optik hochfahren. Immer dann etwa, wenn jemand sich erdreistete, die reine Lehre aus Brüssel anzuzweifeln. Denn auch Begegnungen mit lästigen Ketzern wie Wolfgang Bosbach oder Richard Sulik blieben ihm im Rahmen seiner Mission nicht erspart. Ketzer, die im Gegensatz zu ihm und trotz hörbaren Zuredens den Stein der Weisen bis heute nicht gefunden haben. Sie waren und sind es, die den waschechten Europäer davon abhielten, die ihm eigene Gelassenheit zu offenbaren, welche man innerhalb seiner Partei sonst nur von Helmut Schmidt gewohnt ist.

Allen Widrigkeiten zum Trotz blieb er jedoch stark, stets die Konsequenzen seines leichten Hangs zur Hypertonie in Kauf nehmend - denn schließlich ist Martin I. kein Choleriker, er sieht nur so aus. Und letztlich: Was tut man nicht alles für das Friedensprojekt Europa? Wahlkampf zum Beispiel. Fast hätte sie ja auch geklappt, die Sache mit dem Amt des Kommissionspräsidenten. An intellektuell aufdringlichen Slogans („Für ein Europa der Demokratie. Nicht der Bevormundung“) mangelte es jedenfalls nicht. Also: Fast hätte er das Rennen gewonnen, wenn, ja, wenn ihn Jean-Claude Juncker nicht auf der Zielgeraden überholt hätte.

Ein Martin Schulz aus Würselen gibt allerdings nicht auf. Sogar seinen hoch dotierten Job als Bürgermeister des gleichnamigen Städtchens ließ er einst sausen, nur um erst als Parlamentarier, später dann als Chef des europäischen Parlaments unter nahezu unzumutbaren finanziellen Entbehrungen (200.000€ Gehalt + 110.000€ Tagegeld steuerfrei p.a. für Sitzungen im Parlament, aber auch im Café oder im heimischen Wohnzimmer) an der Umsetzung der europäischen Idee mitzuwirken.

Doch nun, da Mister Schulz alles, wirklich alles - von der aussichtsreichen Karriere als Buchhändler bis hin zur innigen Männer-Freundschaft mit Silvio Berlusconi - aufs Spiel gesetzt hat, betreten die Griechen seine Bühne und schlagen alles kurz und klein. Die wollen kein Europa Würselener Art - die wollen Cash, weil sie es können. Was Martin Schulz, der freilich ausschließlich für „ein Europa der Menschen, nicht des Geldes“ einsteht, nicht verstehen kann.

Immerhin vermeldete Schulz schon zwei Tage nach Tsipras‘ Wahlsieg, er habe „keinen Bock auf ideologische Debatten“. Allein, die Standleitung nach Athen muss wohl defekt gewesen sein. Und so sah er sich erst neulich wieder genötigt, „ideologische Abrüstung“ im Verhandlungsmarathon um Griechenland anzuordnen.

Denn Ideologie ist des Schulzens Sache nicht. Er hat es mehr mit der Freiheit, zumindest aber mit seiner eigenen. Darum empfiehlt er den Griechen für das nahende Referendum nicht nur ein „Ja“ (... „für ein Europa der Demokratie, nicht der Bevormundung“), sondern auch gleich baldige Neuwahlen. Wenn die eine Regierung nicht passt, bedarf es eben einer anderen. Bis dahin wünscht er sich eine „technokratische Regierung“, mit der man verhandeln könne. Denn der Chef des europäischen Parlaments weiß: Was in Brüssel funktioniert, kann in Athen nicht scheitern.

Bis dahin allerdings muss er tatenlos zusehen, wie die ungehobelte Boy-Group aus Athen nicht nur das Ansehen der europäischen Idee, sondern auch seine Image als kompetenter Europa-Architekt in einer Art und Weise erschüttert, die man nur von Erdbeben der Stärke 8 aufwärts kennt. Dabei ist Martin Schulz mitsamt seiner Brüsseler Brüder im Bürokraten-Geiste ja gar nicht unfähig, der ideologische Unterbau, auf dem sie operieren, keine Katastrophe. Es wirkt eben nur aktuell so. Und das ist der eigentliche Kern der griechischen Tragödie mit Martin I. in der Hauptrolle.


Zuerst auf der Achse des Guten erschienen.

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