Deutschland führt ja bekanntlich gerade eine hitzige Debatte über
Flüchtlinge. Unklar ist nur, wo genau die überhaupt stattfindet.
Natürlich, es wird viel doziert, gesagt und gesprochen. Hier das Team
„Alle raus!“, dort die „Alle rein!“-Fraktion. Dazwischen Til Schweiger,
ein Busfahrer und ein paar Inhaber bekannter Positionen, die zwischen
Taschengeld und europäischer Solidarität oszillieren. Das alles wäre
zweifellos brillanter Stoff für ein Woody-Allen-Drehbuch, vielleicht
noch ein Fall für Sigmund Freud. Aber das Label „Debatte“ mutet dann
doch etwas euphemistisch an.
Derweil tauchen die immer gleichen Bilder am Horizont auf.
Flüchtlinge, die sich in mazedonische Züge drängen. Weinende Kinder auf
Kos. Dann wieder Flüchtlinge an der ungarischen Grenze. Dazwischen
dunkle Deutsche in Heidenau und helle Deutsche, die Kuchen
vorbeibringen. Wer daneben gerne wissen möchte, wie es nun angesichts
von 800.000 Neuankömmlingen weitergeht, wo sie wohnen und arbeiten
sollen, wird rasch auf den „Kampf gegen rechts“ und das Leid der
Flüchtlinge verwiesen. Das eine ist zwar nicht falsch, das andere
zweifellos tragisch, nur eben nicht die Antwort auf die Frage.
In einer besseren Welt gäbe es Wege, dieser Möchtegern-Debatte zu
entgehen. In Deutschland existieren dafür jede Menge Neurosen. Dabei
würde es schon reichen, nochmal zwei Monate zurück in glücklichere
Zeiten zu spulen, als die einzige Person, über die man sich aufregen
konnte, Martin Schulz hieß.
Indes gibt es nun ein „wir“, dem magische Kräfte nachgesagt werden.
„Wir schaffen das!“ ist die Formel für Anfänger. Fortgeschrittene
dagegen fragen lieber nach: „Wenn nicht wir, wer dann?“ Schade nur,
dass nie geklärt wird, wer dieses „wir“ eigentlich ist.
Einigkeit herrscht hingegen insoweit, als Deutschland ein
Einwanderungsland ist. Das ist so sicher wie Norbert Blüms Rente und die
Alternativlosigkeit der Energiewende. Allein: Diese These klingt nicht
wirklich überzeugend. Denn Einwanderungsländer erkennt man in erster
Linie daran, dass sie Zuwanderer nicht kollektiv wie Mündel, sondern wie
erwachsene Menschen behandeln und ihnen zugesteht, in Freiheit und mit
Eigenverantwortung ein neues Leben zu beginnen.
Deutschland dagegen ist ein Land für Menschen, die ohne Murren einen
beträchtlichen Anteil ihres Einkommens und ihrer Würde abgeben, um sich
danach vorschreiben zu lassen, wie man den Müll trennt. Ein Land, in dem
man zwar gerne die soziale Kälte beklagt, aber gleichzeitig ein Markt
für eine App existiert, die es jedem ermöglicht, Falschparker mühelos
beim Ordnungsamt zu verpetzen. Ein Ort, an dem der Staat in Begleitung
der parlierenden Klasse alles daran setzt, „Gerechtigkeitslücken“
zuzubetonieren und sich ansonsten der Dampfwalze bedient, um vorhandene
Ungleichheiten plattzumachen. Denn unter der Gleichheit, die einst neben
Freiheit und Brüderlichkeit rangierte, versteht man hier nicht
Gleichheit vor dem Gesetz, sondern harmonische Ergebnisgleichheit in
allen Lebenslagen.
Deutschland ist ein Land, das keine Unterschiede erträgt. Es
debattiert lieber über eine höhere Erbschaftssteuer, um so endlich etwas
gegen die Ungerechtigkeit zu unternehmen, die sich durch die
Co-Existenz reicher und armer Familie breitmache. Derweil begnügt sich
NRW mit einer „Hausaufgabenbremse“, um wenigstens auf diese Weise den Abstand zwischen Kindern aus sozial schwachen und jenen aus bildungsnahen Elternhäusern zu verringern. Und wenn eine grüne
Politikern die Forderung erhebt, auch weniger schlanke Damen bei
Misswahlen ins Rennen zu schicken, weil diese sonst durch
90-60-90-Vorgaben ausgegrenzt werden, dann gilt das nicht etwa als Beleg
von geistiger Umnachtung, sondern als legitime
Antidiskriminierungsmaßnahme.
Wie soll man also sichere von unsicheren Herkunftsländern abgrenzen,
wenn man schon mit dem real existierenden Unterschied zwischen arm und
reich völlig überfordert ist? Und wann wird in Bezug auf das Asylrecht
wenigstens sprachlich zwischen Kriegsflüchtlingen, die gerade noch dem
Islamischen Staat entkommen sind, und Wirtschaftszuwanderern vom Balkan,
die schlicht ein besseres Leben führen möchten, differenziert? Wenn es
an allen Universitäten nur noch „Studierende“ gibt, oder erst sobald
jede Chefetage zu 50% weiblich besetzt ist?
Stattdessen muss es die überraschende Erkenntnis tun, dass Flüchtlinge
Menschen (und nicht etwa Pferde, Katzen oder Wühlmäuse) sind. Dass es
tüchtige und faule, anpassungsbereite und integrationsunwillige, gut und
schlecht ausgebildete Menschen gibt, hat sich dagegen noch nicht
herumgesprochen. Der syrische Arzt, der gut gefüllte Portemonnaies zur
Polizei trägt, ist demnach genauso ein Mensch wie der ein oder andere
Islamist in Suhl, der einen zerfledderten Koran mit der Faust rächt und
dafür mit Schützenhilfe von Bodo Ramelow belohnt wird. Auch das ist nur
konsequent in einem Land, das immer dann zuverlässig gegen Islamophobie
vorgeht, sobald irgendwo ein Jüngling unter Berufung auf Allah ein
Blutbad nimmt.
Vor allem aber: Wie soll man Flüchtlinge in einen Arbeitsmarkt
integrieren, auf dem ungefähr genauso viele Verordnungen, Richtlinien
und Gesetze gelten wie es Arbeitnehmer gibt? Deutschland agiert zwar
vorbildlich, wenn es darum geht, hochqualifizierte Frauen per Quote in
die Führungsetage zu manövrieren. Der Unterschied zwischen „gleichen
Rechten“ und „Grundrecht auf Chefsessel“ interessiert uns nicht.
Aber wie sieht es mit bildungsfernen Zuwanderern und deren Jobchancen
aus, solange ein Mindestlohn existiert? In jedem Land der Welt gibt es
einen Berufsstand, in dem traditionell viele Zuwanderer – zumindest die
erste Generation – vertreten sind: den des Taxifahrers. In Deutschland
dagegen gibt es nicht nur Andrea Nahles, deren schützende Hand solche
Einwanderer vor diesem Schicksal bewahrt. Daneben existieren auch noch
Gerichtsurteile, die die Mindestlohn-freie Alternative namens Uber
gleich mit verbieten.
Natürlich wäre Taxifahren für wenig Geld nicht schön. Aber ein
kleines Einkommen ist besser als gar keines. Zudem ist es würdevoller
wie auch integrationsfördernder als Arbeitslosengeld. Als vor mehr als
hundert Jahren Tausende von Iren und Italienern die erbärmlichsten
Bauten New Yorks bezogen, besaßen sie nicht viel mehr als der Flüchtling
aus Eritrea von heute. Es gab auch keine Integrationsexperten und kein
Taschengeld, dafür nur Freiheit, miese Jobs und die wage Aussicht auf
ein besseres Leben. Das reichte, um sich durchzuwurschteln und
motivierte vor allem die Kinder der Einwanderer, es mal besser zu
machen. Angenehm war das sicher nicht, aber es war möglich. Einwanderung
und Flucht aus Armut sind nur selten erbaulich und fast immer eine
Herausforderung, die sich nicht gleich morgen auszahlt.
Das Einwanderungsland Deutschland hingegen wird voraussichtlich das
tun, was es am besten kann: verwalten und bevormunden. Flüchtlinge
fungieren primär als schutzbedürftige Mündel, weil das die Rolle ist,
die sich am leichtesten handhaben lässt. Wenn sie keinen Job finden,
sollen sie halt vom Staat leben. Und wenn sie besonders viel Pech haben,
werden sie von Angela Merkel gestreichelt.
Individualismus dagegen nervt. Keiner mag ihn, wir können auch nicht
mit ihm umgehen – weder mental, noch praktisch. Und wer schon die
autochthone Bevölkerung für intellektuell unauffällige Wesen hält, die
erst dann das Zündeln sein lassen, wenn Udo Lindenberg es ihnen im
Rahmen eines „Aufstands der Anständigen Deluxe“ vorsingt, wird mit neuen
Gästen nicht anders verfahren.
Wo 1600 Zöllner zwecks Kontrolle des Mindestlohns eingestellt werden,
dürften mittelfristig auch anderweitig Arbeitsplätze entstehen.
Gebraucht werden Kindergärtner, Lehrer, Polizisten, Beamte im Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge, Richter für Asylverfahren sowie
JVA-Beamte, Staatsanwälte und Richter ob inhaftierter Schleuser. Zu den
Psychologen gesellen sich dann Streetworker und Integrationsexperten.
Nicht wenige davon haben ein Interesse daran, ihren Kundenstamm
nachhaltig zu erweitern, zumindest aber zu erhalten. Und natürlich
bedarf es zusätzlicher Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen. Die werden
sich darüber wundern, dass die meisten Arbeitgeber außerhalb des
Fachkräftemangel-Universums lieber einen Bewerber mit perfekten statt
ausbaufähigen Deutschkenntnissen einstellen werden, wenn sie schon 8,50€
die Stunde zahlen müssen. Spätestens dann dürften all die neu
eingestellten Sozialarbeiter zum Einsatz kommen, die den völlig
desillusionierten und zu recht deprimierten Einwanderern in ihren
Sozialwohnungen höflich mitteilen, dass der Handel mit Rauschgift
hierzulande strafbar ist.
Zumindest kurzfristig dürfte all das noch günstiger als die Rettung
Griechenlands sein. Mittelfristig wird Wolfgang Schäuble die schwarze
Null wohl neu interpretieren müssen. Insoweit ist es nicht einmal völlig
falsch, wenn Sigmar Gabriel, Andrea Nahles und Thomas de Maizière nun
„Wir schaffen das!“ rufen. Die Frage ist nur, ob die Flüchtlinge das in
naher Zukunft genau so sehen werden.
Zuerst am 31.08.2015 auf der "Achse des Guten" erschienen.
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