Nun sind Appelle dieser Art nicht bahnbrechend neu. Überhaupt könnte man sich fragen, ob Heiko Maas sonst keine anderen Sorgen hat – die Mietpreisbremse oder Bikini-Werbung etwa. Aber abgesehen davon kann ich den Justizminister da schon sehr gut verstehen. Geteilte Arbeit ist halbe Arbeit, und Arbeitsteilung fördert die Effizienz. Der Punkt ist nur, dass ich gerade erst meine Steuererklärung durchs Fenster gereicht habe und eigentlich dachte, meine Pflichten fürs Vaterland seien damit fürs Erste getan. Denn nun können wieder Straßen und Schulen sowie Gedichtwettbewerbe für talentierte Israelkritiker finanziert werden. Aber das reicht angesichts des Ernsts der Lage offenbar nicht.
Dabei ist Maas‘ Idee auch insofern nicht uninteressant, als Genosse Gabriel erst neulich vorschlug, bei der Besteuerung von Vermögen die Beweislast umzukehren. Eine praktische Idee, die dem Generalverdacht zu frischem Charme verhilft. Der wiederum hat hierzulande zwar einen miesen Ruf. Aber wenn es um die Finanzen geht, kann man schon mal eine Ausnahme machen.
Der Bürger als solcher ist also, zumindest von Berlin aus betrachtet, ein eher zwielichtiges Wesen. Zum Zeichen setzen ist er aber gerade noch gut genug. Vorausgesetzt freilich, Heiko Maas drückt ihm eine Gebrauchsanweisung samt Wegbeschreibung in die Hand. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn der Bürger plötzlich unbeaufsichtigt Gesicht zeigte - etwa für Atomkraft oder gar gegen neuerliche Rettungspakete für Griechenland.
Wenn die Kanzlerin zum Bürgerdialog ruft
Unabhängig davon frage ich mich aber, wohin die von Heiko Maas geplante Reise eigentlich gehen soll. Immerhin bin ich ja gefordert und soll zurückrufen. Höchstwahrscheinlich würde der Justizminister antworten, dass nichts Geringeres als ein weltoffenes und liberales Deutschland auf dem Spiel steht. Nur ist mir nicht ganz klar, wo genau dieses Deutschland eigentlich sein soll. Weltoffen geht es vielleicht auf allen Hierarchieebenen von Google und Facebook zu, oder über den Dächern von London, Hong Kong und New York. An Orten also, an denen das „bunt sein“ gerade keine Rolle spielt, wenn Verträge und Ehen geschlossen werden. In Deutschland hingegen ist es eher andersrum. Da wird empfohlen, einen Syrer sympathisch zu finden, nur weil er Syrer ist – und nicht etwa, weil er zufällig die gleiche Musik hört und auch sonst ein cooler Typ ist.Das mit dem Liberalismus überzeugt mich ebenfalls nicht so recht. Wenn die Kanzlerin zum „Bürger-Dialog“ ruft, stehen Menschen landesweit Schlange, um dort ihren Wunschzettel vorzulesen und mehr staatliche Betreuung zu fordern. Und wenn angesichts des Blutbads in der „Charlie Hebdo“ Redaktion darüber spekuliert wird, inwiefern man nun „Charlie“ sein soll oder lieber doch nicht, dann demonstrieren die Deutschen durchaus eindrücklich, dass sie von Freiheit so viel Ahnung wie von Weltoffenheit haben. Denn dass Freiheit immer erst an den Rändern angegriffen wird und die Freiheit der Minderheit automatisch die der Mehrheit ist, leuchtet ihnen nicht ein. Darum sind sie weder Charlie noch Vermögender.
Der Arbeiter, das widerspenstige Wessen
Dient die Aufforderung aus dem Justizministerium also womöglich gar nicht der Weltoffenheit, sondern mehr dem Überleben der SPD? Immerhin weiß mittlerweile jeder Praktikant im „Vorwärts“-Archiv, dass gerade der Arbeiter ein denkbar widerspenstiges Wesen ist. Sexistische Werbung sieht er eben doch lieber in seinem Spint als auf dem Index. Und nach Feierabend guckt er Bundesliga, anstatt einer Diskussion über „Islamischen Feminismus“ im Willy Brandt Haus zu lauschen. Insofern hat die SPD es wirklich nicht leicht: Ihre Klientel ist einfach zu trottelig für das progressive Wunderland, in dem Manuela Schwesig und Heiko Maas schon ein- und ausgehen.Für den Arbeiter trifft es sich dagegen gut, dass er nun auch eine sozialdemokratische Alternative wählen kann, die praktischerweise sogar seinen Mindestlohn im Angebot hat. Selbst die AfD hat begriffen, dass nur ein umverteilender Politiker ein guter Politiker ist. Sie bevorzugt dabei eben bloß die andere Richtung. Wenn Steuergeld dann nicht in den islamischen Feminismus oder den Tank eines Elektroautos, sondern in die Taschen des kleinen Mannes mit vielen Kindern fließt, dann freut das vor allem diejenigen SPD-Wähler, die dank sozialdemokratischer Politik überhaupt erst vom Staat abhängig gemacht wurden.
Wenn 82 Millionen Wahlkämpfer ein Zeichen setzen sollen
Indes macht sich der weltanschauliche Gegner auf, das „links-rot-grün verseuchte 68er-Deutschland“ zu bekämpfen. Meinte die AfD das ernst, so müsste sie allerdings bei sich selbst anfangen. Mit den Grünen hat man beispielsweise die Chlorhuhn-Phobie samt Klagelied über Konzerne gemein, die dem Bauern aus der Region das Leben schwer machen. Mit der Linkspartei könnte die AfD ohnehin gleich koalieren: Im Osten teilt man sich die Wähler, bundesweit die Aversion gegenüber den USA und das zärtliche Liebäugeln mit Putins Russland. Und mit der SPD wird sich die AfD vor allem deshalb Wähler teilen, weil die deutsche Jammer-Klientel, die bei der Kleinigkeit nach dem Staat ruft, zu attraktiv ist, um sie sich entgehen zu lassen.Eventuell ist das der Grund, weshalb die vielerorts geforderte „sachliche Auseinandersetzung“ mit der AfD so grandios scheitert. Denn dann würde ja auffallen, dass – zumindest mit Ausnahme der Flüchtlingspolitik - nicht nur die SPD so Einiges mit dem Gegner gemeinsam hat.
Insofern ist es freilich klüger, wenn Heiko Maas sich weiterhin um den Kampf gegen rechte Hetzereien kümmert. Schließlich sind auch Justizminister nur Menschen, und Menschen verfolgen eben Interessen. Die einen wollen einfach in Ruhe gelassen werden und ansonsten selbst entscheiden, wie viele Zeichen sie setzen. Die anderen hingegen möchten gern wieder gewählt werden. Daher benötigen sie Hilfe im Kampf um die Deutungshoheit und Stimmanteile, die ihnen die AfD samt angeschlossenem Online- wie Offline-Protest gerade streitig macht. Unter normalen Umständen wären da zwar die Jusos, Gewerkschaften und die Friedrich-Ebert-Stiftung gefragt. Aber warum sollte eine 19-Prozent-Partei ganz allein Gesicht zeigen, wenn für diesen Job potentiell 82 Millionen Wahlkämpfer, auch als „wir alle“ bekannt, zur Verfügung stehen? Gerade Sozialdemokraten in Not sollte man derlei Manöver wirklich nicht übel nehmen.
Zuerst auf der Achse des Guten erschienen.
Geschlossene Fenster, viele Gardinen, keine Gesichter - © J. N. Pyka |
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