Das Wunder von Stuttgart: Wolfgang Gedeon und der Antisemitismus der Anderen

Gäbe es in Deutschland eine Castingshow mit dem Titel "Deutschland sucht den Super-Verschwörungspraktiker", dann wäre der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon vom Bodensee ein brandheißer Kandidat. Denn schließlich vereint er in seinen Schriften nicht nur zeitgenössische Israel-Kritik nach Grass und Todenhöfer, sondern auch Schlussstrich-Mentalität, christlichen Antijudaismus, Relativierung der Shoah und jede Menge Verschwörungstheorie. Als ich Ende April erstmals darüber schrieb, hielt ich dieses Multitalent noch für eine Randnotiz, die außer ein paar Lesern auch weiterhin niemand zur Kenntnis nehmen wird. Schließlich lagen seine gesammelten Werke seit Jahren in Bibliotheken und im Netz herum, und keiner der vielen AfD-Experten in diesem Land störte sich daran oder beschäftigte sich überhaupt mit ihnen.

Ende Mai tauchten Gedeons Ansichten dann plötzlich in Auszügen in der BILD auf. Und von dort aus nahm die Geschichte ihren Lauf - inklusive des Eiertanzes, den die AfD sich selbst liefert und der mit jedem Tag lustiger wird. Zwar ist Gedeon nachweislich ein passionierter Rundbrief-Schreiber. Aber so wirklich gewusst haben will man von seiner Verschwörungspraxis freilich nichts. Der Bundesvorstand stellt sich jedenfalls - taktisch nicht unklug - gegen ihn, ein paar andere Funktionäre auch.

Wenn da nur nicht die Kollegen im Stuttgarter Landtag wären. Die nämlich wollen ihren Experten für zionistische Angelegenheiten offenbar nicht hergeben. Am 21. Juni sollen sie über Gedeons Ausschluss aus der Fraktion abstimmen, wofür eine 2/3-Mehrheit (16 von 23 Stimmen) notwendig ist. Bei einer Probeabstimmung kam man aber nur auf 10 Stimmen. Fraktionschef Jörg Meuthen richtet derweil aus, Antisemitismus habe in der AfD keinen Platz. Und weil das so ist, muss er extra noch eine Drohkulisse aufbauen: Wenn Gedeon nicht fliegt, geht er selbst.

Glücklicherweise ist bis zum 21. Juni allerdings noch genug Zeit für weitere Stunts dieser Art. Gedeon selbst, der gerade sein Wahlkreisbüro einrichtet, wittert jedenfalls eine "Kampagne." Darüber hinaus stellt er fest, er sei kein Antisemit, sondern nur Antizionist. Schuld sind die Medien. Also die Zionisten.

Parallel dazu macht Partei-Kollege Rottmann, der bei der Antisemitismus-Diskussion im Landtag im "I love Israel" Leiberl auftrat, mit einer Sternstunde der Logik auf sich aufmerksam:

"Wir dürfen keinen Antisemitismus in unserer Fraktion dulden.
2.) Ich schätze in der Fraktion den Kollegen Gedeon sehr und
3.) bin ich davon überzeugt, dass wir eine Lösung finden werden.
Ich weiß noch nicht, wie diese Lösung aussieht."

Fürwahr, eine Lösung muss her. Vielleicht eine Fahrt nach Auschwitz, oder zwanzig Stunden Stolpersteine putzen? Man wird sehen. Ein anderer AfD-Abgeordneter findet außerdem, die ganze Diskussion sei "schlimmer als in der Nazi-Zeit". Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis der nächste alternative Hinterbänkler die Sophie-Scholl-Gedenkmedaille für Wolfgang Gedeon ins Spiel bringt.

Ich bin daher der Ansicht, dass die BaWü-AfD ihren professionellen Antizionisten einfach behalten sollte. Die SED-Nachfolgepartei wirft Inge Hoeger und Annette Groth - beides passionierte Matrosinnen der Gaza-Flottille - ja auch nicht aus der Bundestagsfraktion. Ehrlicher Antisemitismus ist besser als unehrlicher. Und der Wähler sollte wissen, was er bekommt, bevor er seine Bestellung tätigt. Gerade der Transparenz wegen sollte das ja wohl möglich sein. Der "Wiedergutwerdung" (Eike Geisel) zu Liebe übrigens auch.



Wer Antisemit ist, entscheiden immer noch die Antizionisten - source: http://www.wgmeister.de/



Nachtrag (15.06.2016): Einmal mehr wird die Geschichte rund um den Nicht-Antisemiten Wolfgang Gedeon um ein bedeutsames Detail bereichert. Wie sich nun herausstellt, hat der Philosoph vom Bodensee zwar keine jüdischen Freunde. Dafür hat er aber etwas viel Besseres: eine jüdische Uhr. Und das wiederum ist der unumstößliche Beweis dafür, dass er kein Antisemit sein kann. An der Uhr sollt ihr sie erkennen. Alles weitere hier, ab Minute 1.54:



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