Sehr geehrter Herr Gabriel,
es kommt nicht gerade oft vor, dass mich eine Rede eines
Sozialdemokraten nachhaltig beeindruckt. Nun ist allerdings genau das
geschehen, und der Anlass dafür ist die Rede, die Sie vorigen Sonntag auf dem außerordentlichen SPD-Parteitag in Augsburg hielten.
Die nämlich war tatsächlich großes Kino. Und das nicht etwa, weil Sie
sozusagen mein Lieblings-Sozialdemokrat sind. Ja, das hätten Sie
vielleicht nicht gedacht, aber ich mag Sie wirklich. Vor allem, weil
Ihnen die eiskalte Überheblichkeit eines Peer Steinbrück und die
Fähigkeit, immer so miesepetrig wie Andrea Nahles in die Kamera zu
gucken, völlig fehlen. Sie dagegen sind mein persönlicher
Gute-Laune-Sozi. Dass wir nur selten einer Meinung sind, tut dem keinen
Abbruch.
Was mir nun aber bezüglich Ihrer Rede imponierte, war nicht Ihre
Aura, sondern Ihre Wortwahl. Sie sprachen vieles an, etwa das „Zeitalter
des neoliberalen Egoismus“, das endlich vorbei sein müsse (wobei ich
glaube, dass wir gar nicht in einer solchen Ära leben), oder auch den
„Kampf gegen diesen Kapitalismus“, den die Genossen nun aufnähmen.
Besonders scheinen Sie allerdings „die wahren Asozialen in diesem Land“
mitzunehmen. Damit meinen Sie die Leute, die staatlich subventionierte
Angebote und Einrichtungen nutzen, ihr eigenes Geld jedoch am Finanzamt
vorbei ins Ausland bringen.
Nun kann ich freilich nachvollziehen, dass Ihnen die Steuersünder den
Schlaf rauben. Viele Menschen schlafen schlecht, wenn sie an Geld
denken, das ihnen entgeht. Unabhängig davon frage ich mich aber, ob Sie
überhaupt so genau wissen, was es mit den „wahren Asozialen“ auf sich
hat. Ist Ihnen bekannt, dass dieser Ausdruck vor allem während der
NS-Zeit geprägt wurde? Wenn die Nazis von „Asozialen“ sprachen – und das
taten sie oft und gern –, meinten sie damit von ihnen als
„minderwertige“ definierte Menschen oder Gruppen, die der
„Volksgemeinschaft“ schaden würden und daher über kurz oder lang im KZ
landeten. Roma und Sinti, Alkoholiker, Wanderarbeiter, Prostituierte und
viele mehr wurden zuerst mit diesem Begriff gebrandmarkt, ausgegrenzt
und abschließend vernichtet.
Ich will Ihnen damit keine bösen Absichten unterstellen. Schließlich
sind Sie ja als ausgewiesener Vergangenheitsbewältiger bekannt. Die
Zuneigung ihres Vaters zu den Nationalsozialisten haben Sie mittlerweile
öffentlich-rechtlich und cross-medial, also sehr nachhaltig,
aufgearbeitet. Erst
am Montag brachen Sie mit Ihrer Tochter ins Heilige Land auf, da diese
nun auf jüdische Vorfahren mütterlicherseits gestoßen ist. Und was
Ihre Apartheid-Äußerung zu Hebron angeht, bin ich mir nicht ganz sicher,
ob Sie damals nicht schlicht mit der falschen
Menschenrechtsorganisation unterwegs waren.
Um aber wieder zum Thema zurückzukommen, erlauben Sie mir eine Frage:
Was täten Sie, wenn etwa Horst Seehofer in Bezug auf die
Hartz-IV-Debatte von Schmarotzern und Schädlingen spräche? Ich wette,
Sie würden sofort vor das nächstbeste Kamera-Team stürmen und
leidenschaftliche Oppositionsarbeit leisten.
Abgesehen davon denke ich, dass Ihre Äußerung tendenziell recht gut mit dem diesjährigen Motto der SPD
korrespondiert. Wie Ihnen ja bekannt ist, treten die Genossen heuer mit
dem Slogan „Das Wir entscheidet“ an. Das klingt zunächst prima,
zumindest für unbedarfte Mitbürger, die weder in einer Diktatur gelebt
haben noch wissen, wie eine solche funktioniert. „Wir“ – das klingt so
heimelig und gemütlich. Wir helfen uns, wir sind nie allein, wir packen
zusammen an, und zur Krönung entscheiden wir sogar. Allerdings bedeutet
die Priorität des „Wir“ eben auch, dass Gleichheit vor Freiheit steht,
das Individuum dem Kollektiv untergeordnet wird und somit der Einzelne
zum Wohle der Gemeinschaft auf ein paar Freiheiten und Grundrechte –
sagen wir mal: das Recht auf Eigentum, die Meinungs- oder die
Religionsfreiheit – verzichten muss.
Das Blöde an solchen Fantasien ist zudem, dass eben nicht alle
Menschen gleich sind. Sie müssen erst gleich gemacht werden. Diejenigen,
die wesentlich ungleicher als gleich sind, stören nur. Und zwar enorm.
Also wird zuerst Stimmung gegen sie gemacht, damit sich anschließend
niemand darüber beschwert, wenn die Ungleichen plötzlich verschwinden,
weggesperrt oder heftig sanktioniert werden. Geschieht ihnen ja recht.
Um ehrlich zu sein: Ihre Rede von den „wahren Asozialen“, kombiniert
mit dem perfekten „Wir“-istan, das die Genossen anstreben, erinnert mich
ein wenig an solche Mechanismen und Strategien. Zuerst beschwören Sie
das Gemeinwohl, um danach zu erläutern, wer nicht zum „Wir“ gehört –
nämlich in diesem Fall die Steuersünder. Wohlwissend, dass diese Gruppe
ohnehin nicht den besten Ruf genießt, da sie sich in aller Regel des
Verbrechens, viel Geld zu verdienen, schuldig gemacht hat. Sie wissen,
dass Sie damit nichts falsch machen können. Darum agitieren Sie nicht
nur gegen diese Gruppe, sondern stigmatisieren sie unzweideutig als
„wahre Asoziale“, die somit vielleicht eines Tages mit großer Zustimmung
entrechtet werden könnte. Welche Gruppe käme dann eigentlich als
Nächstes?
Lieber Herr Gabriel, vielleicht lassen Sie sich all das einfach noch
mal durch den Kopf gehen. Auch mit Blick auf die Vergangenheit, die Sie
ja sonst so gerne bewältigen. Und natürlich bleiben Sie vorerst mein
persönlicher Gute-Laune-Sozi.
Herzlichst
Ihre Jennifer Nathalie Pyka
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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