Zu den spannendsten Phänomenen, die freie Gesellschaften bislang
hervorbrachten, zählt auch und vor allem die Protestkultur. Egal was
geschieht, ganz gleich was unterlassen wird – auf jede Entscheidung,
jeden Trend und jeden Umstand folgt eine Gegenbewegung. „Ist mir egal“
gilt als fahrlässig, „Ich bin dafür“ klingt zu lasch. Wer etwas auf sich
hält, muss mindestens dagegen sein.
Denn das hat nicht nur den Vorteil, sich über Alternativen keine
Gedanken machen zu müssen, sondern klingt auch viel beherzter und
engagierter. Gegen Gentechnik! Gegen Atomkraft! Gegen Beschneidung,
Globalisierung, Kapitalismus, den Euro, wahlweise gleich ganz Europa.
Oder auch gegen Krieg, womit wir bei einer Gegenbewegung angelangt
wären, die schon so einige Jahrzehnte überdauert hat, ohne ihren Reiz zu
verlieren. Das liegt zum einen daran, dass immer noch Kriege geführt
werden und die dazugehörigen Gegner daher immer noch eine Mission haben.
Zum anderen aber auch an der Fähigkeit des Kriegsgegners, seine Umwelt
nicht zu überfordern. Er ist prinzipiell immer gegen militärische
Interventionen, weil Krieg tötet, Soldaten Mörder sind und kein Blut für
Öl fließen soll. Das klingt nicht nur gut, sondern auch so simpel, dass
sich im Grunde jeder Vorschüler zum Pazifisten rekrutieren ließe.
Wenn dagegen ein Diktator sein Volk niedermetzelt, tangiert das den
Kriegsgegner zunächst äußerst wenig bis gar nicht. Sein persönlicher
Albtraum wäre erst dann Realität, wenn eine fremde Armee sich einmischen
würde. Denn schließlich weiß er, dass es nur Soldaten sind, die töten –
nicht jedoch so harmlose Wesen wie Taliban und weitere Dschihadisten.
Blutbäder lassen sich dieser Logik zufolge auch friedlich, mal mittels
Dialog, mal durch gezieltes Schweigen, stoppen. So wirbt der
Kriegsgegner schon länger für eine Nicht-Intervention in Syrien, um
Schlimmeres zu verhindern.
Doch damit nicht genug. Gerade in jüngster Vergangenheit
demonstrierte die Friedensbewegung sehr eindrücklich, womit sie sich die
Zeit vertreibt, wenn gerade kein Ostermarsch im Terminkalender steht.
In Hamburg beispielsweise schlossen sich tapfere Pazifisten zum
Kollektiv „Die Tatortverunreiniger_innen“ zusammen, um dem Schauspieler
Til Schweiger einen Denkzettel zu verpassen. Der nämlich würde den deutschen Afghanistaneinsatz verherrlichen,
was die gendersensiblen Kriegsgegner dazu veranlasste, dessen Haus mit
Farbbeuteln zu bewerfen und das Auto seiner Lebensgefährtin friedlich
anzuzünden.
Nicht weniger pazifistisch ging es aber auch erst diese Woche an der Berliner Humboldt-Universität zu, wo Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière zum Dialog über die Rolle der Bundeswehr in der Gesellschaft ansetzen wollte.
Dass er damit die Friedensfreunde provozieren würde, war ihm offenbar
nicht bewusst. Es kam letztlich, wie es kommen musste – nämlich zu gar
nichts. Friedensbewusste Studenten ließen de Maizière durch eine
strategisch durchdachte Sprechchor-Offensive gar nicht erst zu Wort
kommen. Der Vortrag fiel ins Wasser, die Friedensfraktion trug den Sieg von dannen.
Es sind exakt solche Manöver, die die Kriegsgegner eigentlich schon
wieder nützlich erscheinen lassen. Nützlich für diejenigen, die, im
Gegensatz zum modernen Friedensaktivisten, nicht an moralischer Degeneration
leiden. Denn wenn es darum geht, die eigenen Worte durch Taten zu
widerlegen, schafft es keiner der restlichen Vollzeit-Gegner, den
Kriegsgegnern das Wasser zu reichen. Sie fordern den Dialog mit Despoten
und Dschihadisten, sind allerdings schon mit einer universitären
Gesprächsrunde überfordert. Gewalt wollen sie verhindern, indem sie
Gewalt an Sachen betreiben. Und um den Weltfrieden zu errichten,
marschieren sie als Lobbyisten derer durch die Lande, die gerne auch
künftig in Ruhe vor sich hin morden wollen. Authentisch geht anders.
Insofern müssten sich eigentlich auch sämtliche Armeen der westlichen
Welt keine Sorgen mehr um ihr Image machen. Letztlich sind es gerade
die Kriegsgegner, die ihnen kraft der ihr eigenen moralischen
Verkommenheit prima Werbung verschaffen. Und das ironischerweise, ohne
es zu bemerken.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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